Das Stuttgarter Ballett hat sich von seinem Musikdirektor Mikhail Agrest getrennt. Das teilte das Ballett am Montagabend schriftlich mit. Tamas Detrich, Intendant des Stuttgarter Balletts, sah nach eigener Aussage das Vertrauen in Agrest als zutiefst beschädigt an. "Aufgrund von vergangenen und aktuellen Ereignissen sehe ich mich gezwungen, mich schützend vor meine Tänzerinnen und Tänzer zu stellen", heißt es in der Mitteilung. "Wenn Tanz und Musik nicht mehr in Einklang stehen, dann verfehlen wir unser Ziel. Ich bin zutiefst enttäuscht."

Auseinandersetzung während einer Probe
Auslöser für die Entlassung des Musikdirektors soll eine Auseinandersetzung während einer Probe des Stücks "Onegin" von John Cranko gewesen sein. Das bestätigte Detrich im Gespräch mit dem SWR. Für ihn war dieser Zwischenfall allerdings nur der Höhepunkt in einer Reihe von Vorfällen. So habe Mikhail Agrest bei einer Probe zu Marcia Haydees "Dornröschen" Textnachrichten auf seinem Handy verschickt anstatt zu dirigieren. Detrich habe ihn danach in sein Büro zitiert und zur Rede gestellt. "Ich war schockiert", so Detrich.
Agrest zeigte sich überrascht
Musikdirektor Agrest zeigte sich überrascht von der Pressemitteilung des Stuttgarter Balletts. Von einer Trennung zu sprechen, sei zu früh, ließ er den SWR wissen. Außerdem hätten sich Agrest und das Ballett darauf verständigt, während des Rechtsstreits keine Erklärungen gegenüber der Presse abzugeben. Nun sehe er sich aber zu einer Reaktion gezwungen.
Das Stuttgarter Ballett verteidigte sich am Folgetag gegen den damit verbundenen Vorwurf, es habe "das in einer solchen Situation übliche Stillschweigen gebrochen". So habe man deswegen beispielsweise monatelang nicht auf entsprechende Nachfragen von Journalisten zum Konflikt reagiert. Stattdessen sei es Agrest selbst gewesen, der das Stillschweigen gebrochen habe, indem er bereits im November ein Interview gegeben und am Montag im Gerichtsgebäude mit Journalisten gesprochen habe, teilte die Sprecherin des Balletts am Mittwoch dem SWR mit.
Bühnenschiedsgericht schlägt Vergleich vor
Bei einer Probe am 13. Oktober 2021 sei es zu einer "Diskussion im künstlerischen Bereich mit Reid Anderson", dem ehemaligen Intendanten des Stuttgarter Balletts, gekommen, schrieb Agrest dem SWR. Seitdem habe er nicht mehr für das Ballett tätig sein dürfen. Ein pflichtwidriges Verhalten seinerseits sieht Agrest nicht. Er klagte vor dem Bühnenschiedsgericht in Frankfurt, das den Fall am Montag verhandelte und einen Vergleich zwischen ihm und dem Stuttgarter Ballett mit dem Ziel einer gütlichen Einigung vorschlug. Das Verfahren ist also noch nicht abgeschlossen. Ballettintendant Tamas Detrich bezweifelte am Dienstag im Gespräch mit dem SWR allerdings, ob das Vertrauen zwischen Ballett und Agrest wieder aufgebaut werden könne. "Das ist kaputtgegangen", sagte er.
Von St. Petersburg nach Stuttgart
Der Russe Mikhail Agrest hatte erst im Herbst 2020 den Musikdirektor-Posten von seinem Vorgänger James Tuggle übernommen. Zuvor war er unter anderem über ein Jahrzehnt am weltweit renommierten Mariinsky Theater in St. Petersburg tätig.