Der Schriftzug "Amt" ist auf einer Computertastatur hinter einem Netzwerkkabel zu sehen. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jens Büttner)

Überlastung der Ämter in Krisenzeiten

Stuttgart: Ukrainer müssen in Stuttgart lange auf Arbeitsbescheinigung warten

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Frieder Kümmerer
Frieder Kümmerer (Foto: privat)

Schnell und unkompliziert - so sollte es für die Menschen aus der Ukraine gehen, wenn sie in Baden-Württemberg ankommen. Doch in den zuständigen Ämtern gibt es einen Bearbeitungsstau.

Die Landesregierung hatte Anfang März versprochen, eine schnelle und einfache Abwicklung der Anmeldung von den Geflüchteten abzuwickeln. Doch viele machen die Erfahrung, dass es alles andere ist als unkompliziert. Und schon gar nicht schnell. Vor allem wenn es darum geht, dass die Geflüchteten arbeiten dürfen. Dazu brauchen sie eine sogenannte Fiktionsbescheinigung. Bis Geflüchtete die bekommen, dauert es in Stuttgart oft Wochen.

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Bei den Fiktionsbescheinigungen hakt es

Fast 7.000 geflüchtete Ukrainer Leben inzwischen in Stuttgart. "Also, mühsam kommen wir zurande", sagt die Leiterin vom Ordnungsamt Stuttgart, Dorothea Koller, dem SWR. "Wir haben es jetzt geschafft, die ganzen Anmeldungen vorzunehmen. Wo wir noch hinterherhinken, sind die Fiktionen." Bei diesen Fiktionsbescheinigungen handelt es sich um vorübergehende Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen. Ohne diese Bescheinigungen können Geflüchtete nicht selbst Geld verdienen und arbeiten.

Personalmangel und aufwändige Verfahren

Grund dafür, dass das Ordnungsamt nicht hinterherkomme, sei auch der Personalmangel. "Speziell die Ausländerbehörde hat aktuell ein Drittel der Stellen nicht besetzt", sagt Koller. Auch in anderen Abteilungen sei der Personalmangel gewaltig. "Und das war schon vor dem Ukraine-Krieg so." Man habe manche Bürgerbüros vorübergehend schließen müssen, damit man genügend Personal für die Erfassung der Geflüchteten habe.

"Ich kann nur sagen: Wir arbeiten mit Hochdruck."

Dazu komme, dass die Vorgänge nach der Erfassung der Geflüchteten komplizierter seien, als man im ersten Moment denke. "Man denkt, da werden die erfasst und dann geht das automatisch in das Register und jenes Register", sagt Koller. Und weiter: "Das ist mitnichten so. Überall müssen die Daten wieder neu angelegt werden, das macht den hohen Aufwand." Außerdem gebe es kein alphabetisches oder chronologisches System, nach dem vorgegangen werde. "Man schnappt sich einen Stapel und arbeitet ihn ab." Dadurch könne es sein, dass ein Geflüchteter oder eine Geflüchtete schon nach einer Woche die Bescheinigung hat und jemand anderes erst nach acht Wochen. "Ich kann nur sagen: Wir arbeiten mit Hochdruck."

Geflüchtete wollen arbeiten - und dürfen es nicht

Nikita Vdovichenko ist 23 Jahre alt, kommt aus der Ukraine und spricht auch Deutsch. Bei Kriegsausbruch war er im Urlaub, im Ausland. "Dann wollte ich in die Ukraine gehen, aber meine Mutter hat gesagt: Nein, du kommst nicht hierher. Und ich will meine Mutter nicht nervös machen." Also kam er nach Stuttgart, um mit seinen Deutschkenntnissen auch anderen Geflüchteten zu helfen.

"Ich warte seit dem 4. April auf meine Fiktionsbescheinigung."

Er könnte hier auch arbeiten, sein eigenes Geld verdienen und für sich sorgen. Aber: "Ich warte seit dem 4. April auf meine Fiktionsbescheinigung". Solange er nicht sein eigenes Geld verdient, kann er auch keine Wohnung beziehen und diese selbst bezahlen. Dabei hat er genügend Anfragen. "Ich werde gefragt, ob ich als Übersetzer oder als Dolmetscher helfen kann. Ich habe alle Möglichkeiten, ich kann arbeiten. Aber ich darf es leider im Moment nicht."

Job-Perspektive für Geflüchtete aus der Ukraine im Gastgewerbe?

Hartmut Zacher, der Regionalchef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), sieht insgesamt für geflüchtete Menschen vor allem im Gastgewerbe Job-Perspektiven. "Das ist auch eine Chance für die Gastronomen und Wirte, die faire Bedingungen bieten", so Zacher. Gerade das Gastgewerbe sei weltoffen: Dort würden schon immer Menschen unterschiedlichster Herkunft arbeiten - auch aus Osteuropa. "Die Branche ist ideal für den Quereinstieg: Von der Küche bis zum Service - hier haben auch Beschäftigte ohne Berufsausbildung gute Chancen. Und Fachkräfte werden ohnehin dringend gebraucht - vom Barkeeper bis zur Hotelfachfrau", betont Zacher.

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