Vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart streiten die Deutsche Bahn, die Stadt Stuttgart und der Flughafen Stuttgart darüber, wer die immensen Mehrkosten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 zu tragen hat. Die Bahn fordert, dass sich die Projektpartner an möglichen Kosten von bis zu 11,8 Milliarden Euro beteiligen.
Stadt Stuttgart und Flughafen: Können Mehrkosten nicht stemmen
Am vierten mündlichen Verhandlungstag machten Stadt und der Flughafen Stuttgart am Dienstag deutlich: Sie könnten sich die Mehrkosten gar nicht leisten, wenn die Bahn vor Gericht gewinnen sollte. Nach wie vor bleibt aber unklar, ob die Forderungen der Bahn gegenüber den Projektpartnern womöglich bereits verjährt sind. Seit knapp einem Jahr wird vor dem Verwaltungsgericht verhandelt. Für das Gericht war es vorerst die letzte mündliche Verhandlung. Theoretisch könnte in zwei Wochen ein Urteil fallen.
Flughafen Stuttgart: Mehrkosten wären existenzbedrohend
Die Stadt Stuttgart erklärte vor Gericht, dass die Geldmittel der Landeshauptstadt knapp werden. "Für das Haushaltsjahr 2025 muss die Stadt bereits einen Kredit von 770 Millionen Euro aufnehmen", erklärte Winfried Porsch, der Anwalt der Landeshauptstadt. Sollten die Mehrkosten von Stuttgart 21 im Sinne der Bahn auf die Projektpartner (Land Baden-Württemberg, Stadt Stuttgart, Flughafen Stuttgart und Verband Region Stuttgart) verteilt werden, kämen auf die Landeshauptstadt noch rund 1,3 Milliarden Euro zu, die sie beizusteuern hätte.
Ähnlich argumentiert der Flughafen Stuttgart. Rund 600 Millionen müsste das Unternehmen dann noch bezahlen. "Das wäre existenzbedrohend", erklärte Christian Bosse, Anwalt des Flughafens. Zur Einordnung: Im Jahr 2022 hat der Flughafen Stuttgart nach eigenen Angaben einen Umsatz von 203,8 Millionen Euro erzielt. Der Anwalt vom Verband Region Stuttgart, Frank Meininger, ergänzte: "Wir sind damals eine Festbetragsförderung eingegangen für das Projekt."
Ulrich Quack, Anwalt der Bahn, erklärte dazu schlicht: "Auch die Bahn ist finanziell nicht auf Rosen gebettet." Tatsächlich fehlen der Bahn seit dem Haushaltsurteil im vergangenen Jahr rund 12,5 Milliarden Euro für Neubauprojekte und Instandhaltungsmaßnahmen.
Sind die Ansprüche der Bahn bereits verjährt?
Auch eine weitere Frage blieb vor Gericht bisher ungeklärt: Kann die Bahn überhaupt noch Ansprüche gegenüber den Projektpartnern geltend machen? Denn dafür muss die Klage innerhalb einer dreijährigen Frist eingereicht werden. Doch ab wann laufen die drei Jahre?
Laut Bahn läuft die Frist ab dem Zeitpunkt, als die Verhandlungen mit dem Land Baden-Württemberg über die Mehrkosten - die sogenannten Sprechklauselgespräche - gescheitert sind. Damit sei die Klage fristgerecht im Dezember 2016 eingegangen. Dass also eine Verjährung ihrer Ansprüche schon eingetreten sei, sieht die Bahn nicht gegeben.
Wusste die Bahn schon länger von Mehrkosten?
Das Land, die Stadt Stuttgart, der Flughafen und der Verband Region Stuttgart sehen das anders. Sie argumentieren: Die Verjährungsfrist laufe ab dem Zeitpunkt, an dem die Bahn darüber Kenntnis hatte, dass die Kosten von Stuttgart 21 den Kostenrahmen von 4,526 Milliarden Euro überschreiten. Das ist der Betrag, der im Finanzierungsvertrag aus dem Jahr 2009 ursprünglich vereinbart wurde.
Das Land Baden-Württemberg geht davon aus, dass die Bahn bereits 2009 wusste, dass der Kostenrahmen nicht gehalten werden kann. So erklärt es der Anwalt Henning Berger. Die Bahn habe das bewusst nicht kommuniziert, um das Projekt Stuttgart 21 nicht zu gefährden. Damit würde die Verjährungsfrist deutlich früher beginnen und ablaufen. Die Klage der Bahn sei damit nicht zulässig.
Bahn will Protokolle aus Aufsichtsrat zurückhalten
Henning Berger erklärte, man könne die Protokolle des Bahn-Aufsichtsrats als Beweismittel anfordern. Die müssten beweisen, dass die Bahn bereits vorher Kenntnis über die Mehrkosten hatte. Die Bahn reagierte zurückhaltend. "Die Protokolle sind sehr sensibel, die werden wir nicht ohne weiteres zeigen", sagte Bahnanwalt Quack. Denn darin würde es auch um Unternehmenspolitik und Strategien gehen. "Wir werden nichts verbergen", erklärte Quack weiter. "Aber wir wollen, dass die Wahrung der Vertraulichkeit gewährleistet ist."
Hintergrund zum Milliardenprojekt Stuttgart 21: Chronologie der Kostenexplosion
Seit den ersten Plänen für eine Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs sind die prognostizierten Kosten für das umstrittene Bahnprojekt in die Höhe geschnellt. Wir dokumentieren die Kostenexplosion.
Gericht berät sich - wie geht es weiter?
Richter Wolfgang Kern erklärte zum Ende der Verhandlung: "Wir haben genügend Beratungsbedarf nach vier Verhandlungstagen." Man wolle sich nun zur Beratung zurückziehen. Am 7. Mai soll ein Ergebnis verkündet werden. Das könnte schon ein Urteil sein oder der Beschluss, dass noch weiter verhandelt werden muss und zum Beispiel mit der Beweisaufnahme beim Thema Verjährung weitergemacht wird.
Selbst wenn es in zwei Wochen zu einem Urteil kommen sollte, wird der Prozess noch Monate oder Jahre dauern. Sowohl die Bahn wie auch das Land hatten bereits vor Prozessbeginn angekündigt, dass sie in die nächste Instanz ziehen wollen, falls das Urteil gegen sie ausfallen sollte.