Künstlerinnen und Künstler haben das Reiterdenkmal von Kaiser Wilhelm I. auf dem Stuttgarter Karlsplatz mit einem roten Tuch verhüllt.
Die Aktion ist Teil des Katholikentags, bei dem sich Gläubige unabhängig von der Kirchenleitung in Stuttgart treffen. Das rote Tuch soll das Denkmal bis zum Ende des Katholikentags verhüllen, der bis einschließlich Sonntag stattfindet.
"Wir verhüllen, weil wir darauf aufmerksam machen wollen, als Eyecatcher. Wir wollen das Denkmal nicht umstoßen, sondern zum Nachdenken anregen."

Grund dafür sei, dass der Kaiser für den deutschen Nationalismus stehe, der während seiner Amtszeit Ende des 19. Jahrhunderts an Fahrt aufgenommen habe. Unter Nationalismus versteht man in der Politikwissenschaft, dass das eigene Land glorifiziert und andere dagegen verächtlich gemacht werden. Das Deutsche Reich habe unter seiner Führung außerdem damit begonnen, andere Länder zu kolonialisieren, so die Kritik an dem Kaiser.
Katholikentag Stuttgarter 2022: Verhülltes Denkmal auf dem Karlsplatz
Vom heutigen Mittwoch bis einschließlich Sonntag findet in Stuttgart der 102. Katholikentag statt. Auch auf dem Karlsplatz sind verschiedene Veranstaltungen geplant. Dort steht in der Mitte das Reiterdenkmal. Das mit Sockel rund acht Meter hohe Reiterstandbild zeigt Kaiser Wilhelm I., wie er auf das Neue Schloss blickt.

FDP-Politiker Haag fordert, Kaiser-Wilhelm-Denkmal zu verändern
Der Stuttgarter FDP-Politiker Friedrich Haag ist dagegen, das Denkmal auf Dauer zu verhüllen. Doch so wie in der Vergangenheit darf es seiner Ansicht nach auch nicht einfach stehen bleiben. Es abzureißen, komme aber auch nicht in Frage. Jemand solle es umgestalten, fordert der Landtagsabgeordnete im SWR. Er denke dabei an eine Ergänzung des Denkmals auf kreative Art, die einen Bezug zu den Themen Frieden und Europa habe.
Kopfschütteln auf Twitter über die Stuttgarter Verhüllungsaktion
Dass Kaiser Wilhelm I. für die Zeit des Katholikentags verhüllt ist, gefällt nicht allen.
Twitter-Nutzer @PiwowarczykJ zum Beispiel, der nach eigenen Angaben Historiker und selbst Kolonial-Experte ist, schüttelt in seinem Tweet mit dem Kopf:
Ähnlich sieht es @sus_oe:
Kritik: Katholische Kirche lenkt von eigenen Problemen ab
Manche Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer kritisieren, die katholische Kirche solle sich anstatt solcher Aktionen eher um Missbrauchsopfer kümmern. Damit meinen sie offenbar die Amtskirche als Institution und Organisation. Der Katholikentag, in dessen Rahmen die Verhüllungsaktion stattfindet, wird allerdings nicht von ihr organisiert und veranstaltet.
Historiker: Kaiser Wilhelm I. hat Grundstein für Kolonialpolitik gelegt
Der Historiker Markus Himmelsbach ist Experte für Kolonialismus am Linden-Museum in Stuttgart. Er war unter anderem Mit-Kurator der Ausstellung "Schwieriges Erbe. Linden-Museum und Württemberg im Kolonialismus". Er begrüßt es, dass durch die Verhüllungsaktion die Diskussion um den Kolonialismus auch auf dem Katholikentag geführt wird. "So eine Verhüllung, das generiert Interesse und Neugier. Und wenn es mit einem roten Stoff gemacht ist, fragt man sich, was steckt eigentlich darunter."
Kaiser Wilhelm I. sei in diesem Zusammenhang nicht so aktiv gewesen wie Wilhelm II., der hauptsächlich mit dem Kolonialismus in Verbindung gebracht wird, so der Historiker weiter. Aber als Staatsoberhaupt habe Wilhelm I. dafür gesorgt, dass der Großteil des deutschen Kolonialbesitzes in seiner Zeit schon erworben wurde: unter anderem Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia), Kamerun, Togo und Deutsch-Ostafrika (Tansania, Burundi und Ruanda). "Er hat wirklich den Weg für die ganze Kolonialpolitik bereitet."
Hunderte Denkmäler für Kaiser Wilhelm I.
Das Exemplar in Stuttgart wurde 1898 enthüllt. Die Verantwortlichen im damaligen Württemberg wollten damit die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich betonen.
Im Jahr 1888 entstanden in Deutschland rund 400 Denkmäler, um Kaiser Wilhelm I. zu ehren. Auch im rheinland-pfälzischen Koblenz ist er prominent auf einem Pferd zu sehen, nämlich am "Deutschen Eck", wo Rhein und Mosel zusammenfließen.