In Marbach am Neckar (Kreis Ludwigsburg) kommen jeden Dienstag für einen halben Tag Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Belastungen beim sogenannten Kontaktstüble im DRK-Heim am Schulzentrum zusammen. Manchmal sind es bei dem gemeinsamen Angebot von Diakonie und Landkreis bis zu 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Sie frühstücken gemeinsam, spielen, gehen spazieren, manchmal wird gebastelt, gebacken, und es gibt auch Ausflüge zusammen. All das stand plötzlich von einer Woche auf die andere vor dem Aus. Weil der Landkreis sparen muss. Die Sozialarbeiterin kommt schon seit dem 18. März nicht mehr. Und das Kontaktstüble sollte sogar komplett schließen. Das wollte die Gruppe aber nicht hinnehmen.
Besucher des Kontaktstübles wehrten sich gegen Schließung
"Das Kontaktstüble ist mein Ankerpunkt. Hier ziehe ich Energie, kann aber auch abschalten und mich austauschen", sagt etwa Ninetta Sedita. Und hat mit anderen aus der Gruppe selbst die Initiative ergriffen. Sie schrieben Landrat Dietmar Allgaier einen Brief und suchten Kontakt zu den Medien. "Das hat mir einfach das Herz gebrochen, dass hier Schluss sein sollte", so Sedita. "Ich habe sogar schon überlegt, ob ich privat Treffen anbieten soll."
Nicht alle können selbst für das sorgen, was ihnen guttut. Deswegen muss das Kontaktstüble bleiben.
So weit kam es dann aber nicht. Das Kontaktstüble wird nun vom zweiten Projektpartner, der Diakonischen Bezirksstelle, alleine weitergeführt. Mit ganz viel ehrenamtlicher Unterstützung - und auf Kosten anderer Angebote: "Das heißt auch, dass ich beispielsweise drei Sozialberatungen weniger in der Woche mache", sagt Rainer Bauer. Er ist Gemeindediakon und Geschäftsführer der Diakonischen Bezirksstelle in Marbach.
Projektpartner Diakonie kurzfristig vor vollendete Tatsachen gestellt
"Von der Schließung des Kontaktstübles habe ich Mitte März erfahren, wenige Tage, bevor der Beschluss dann auch umgesetzt wurde", erklärt Bauer. "Und zwar, indem die Sozialarbeiterin vom Kreis sagte, dass in der darauffolgenden Woche das Kontaktstüble das letzte Mal stattfinden werde." Das sei nicht nur sehr kurzfristig gewesen, sondern auch "ohne Absprache mit uns. Und wir sind seit 30 Jahren Kooperationspartner", so Bauer.

Es gehe aber nicht nur um die Organisation und Finanzierung des Angebots. Sondern Menschen, die ins Kontaktstüble kommen, könne man nicht einfach so vor den Kopf stoßen. "Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Belastungen haben kaum Alternativen, andere Menschen zu treffen und haben Schwierigkeiten mit der Alltagsgestaltung", erklärt Bauer. "In der Regel ist auch wenig Geld vorhanden, weil die Krankheit unter anderem oft Arbeitslosigkeit als Auswirkung hat. Dann kann man seine Freizeitgestaltung nicht so machen, wie man es gerne möchte", dann fehle einfach gesellschaftliche Teilhabe und Ansprache.
Eine Besucherin, die schon lange dabei ist und anonym bleiben will, bestätigt das: "Menschen werden so leicht aus dem Leben gerissen, wenn sie den Job verlieren oder etwas anderes aus der Bahn gerät." Für diese Menschen sei das Kontaktstüble eine Anlaufstelle. "Wenn sie sich hier nicht mehr treffen, dann verabreden sie sich auch nicht für etwas anderes."
Die Bedürfnisse der Besucherinnen sind unterschiedlich
Viele sind zufällig bei diesem Angebot gelandet, weil sie eigentlich nur basteln wollten, andere gezielt, wieder andere wie Ninetta Sedita wurden von ihrer Betreuerin ermutigt, doch in die Gruppe zu kommen. Jetzt hat Sedita seit Kurzem auch ihren Nachbarn überzeugt mitzukommen, damit er nicht so einsam ist und Kontakte knüpfen kann. Helmut Gerner, der Zeit seines Lebens viel familiär durchgemacht hat, sagt, er komme hier zur Ruhe. "Hier ist es harmonisch, hier bin ich ich."
Es wäre schlimm, wenn das Kontaktstüble wegfällt. Es ist ein richtiger Halt für mich.
Allen gemeinsam ist, dass das Kontaktstüble zum festen, oft einzigen Termin in der Woche geworden ist. "Das Kontaktstüble ist ein richtiger Halt für mich. Es wäre schlimm, wenn es wegfällt", sagt Helga Pegors. Sie ist mit 90 Jahren die älteste Besucherin und von Anfang an, also seit gut 30 Jahren, dabei. Andere Angebote etwa in Ludwigsburg seien keine Alternative für sie. Zum einen müsse man da ja hinkommen. Zum anderen aber auch, weil sie einfach in keine andere Gruppe will. "Hier in Marbach ist Zusammenhalt, wir sind eine Gemeinschaft", sagt sie.
Alle wünschen sich, dass die professionelle Betreuung bleibt
Was jedoch schon weggebrochen ist: die Betreuung durch den sozialpsychiatrischen Dienst. Zwei Sozialarbeiterinnen teilten sich die Beratung im Kontaktstüble. Als die eine im Dezember in Rente ging, wurde sie nicht ersetzt. Und jetzt ist auch seit Mitte März die Betreuung durch die zweite Mitarbeiterin des Landkreises weg. "Das war ja eigentlich auch super für die Sozialarbeiterinnen vom sozialpsychiatrischen Dienst", sagt Monika Rotbauer, eine der beiden ehrenamtlichen Helferinnen beim Kontaktstüble. "Die konnten ihre Beratung einfach hier machen - Zeitersparnis!" Keiner hier will, dass die professionelle Betreuung dauerhaft wegbricht. Formulare ausfüllen, die gesetzliche Lage kennen - dafür sei schon wichtig, dass auch weiterhin jemand vom Landkreis komme.

Landratsamt: "Das Kontaktstüble ist keine Pflichtaufgabe"
Die Einzelberatungen für die Klienten und die Angehörigen fänden weiterhin in gewohntem Umfang statt, heißt es auf SWR-Anfrage aus dem Landratsamt - nur halt nicht mehr im Kontaktstüble. Dies sei eine freiwillige Leistung gewesen. Die allgemeine Beratung als Pflichtaufgabe des Landkreises werde man natürlich weiterhin erfüllen. Argumentiert wird mit dem harten Sparkurs, den der Kreis Ludwigsburg zur Haushaltskonsolidierung einschlagen muss. "Es wurde mehrfach angekündigt, dass es zu Einschränkungen von freiwilligen Leistungen und zu Einschnitten bei Standards kommt", erklärt Kreis-Sprecher Andreas Fritz.
Rainer Bauer von der Diakonie sieht das anders. "Durch das Psychiatriegesetz des Landes ist der Kreis verpflichtet, wohnortnahe Angebote zu schaffen und zu unterhalten", sagt er. Alles also jetzt eine Frage der Definition? Schon seit 2007 besteht eine Vereinbarung zwischen Akteuren im sozialpsychiatrischen Bereich für eine bessere, flächendeckende Versorgung und Zusammenarbeit. 2017 wurde sie erneuert. Dadurch ist ein enges, flächendeckendes Netzwerk entstanden, das auch von Ehrenamtlichen gestützt wird. Monika Hövel, die als zweite Ehrenamtliche in Marbach unterstützt, sagt, das Kontaktstüble sei ein sehr integratives Angebot. "Das ist doch auf einen Blick zu erkennen, warum es das braucht!"
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Kreis Ludwigsburg muss mindestens 56 Millionen Euro einsparen
Die Finanzlage ist überall angespannt, alle Kommunen und Landkreise müssen sparen. Der Kreis Ludwigsburg muss mindestens 56 Millionen Euro einsparen und hat dafür Anfang des Jahres ein Programm erarbeitet. Alle freiwilligen Aufgaben werden auf den Prüfstand gestellt; mehr als 900 wurden dafür identifiziert. Diese werden bis Juli genau unter die Lupe genommen und mit Preisschildern versehen. Das betrifft bei den Angeboten für psychisch kranke Menschen nicht nur das Kontaktstüble in Marbach, sondern auch die "Stuben" in Bietigheim und Vaihingen an der Enz.
Ende Juli wird dann über das Sparpaket entschieden. "Bis dahin werden auch freiwerdende Stellen nicht nachbesetzt", sagt Pressesprecher Andreas Fritz und appelliert an alle, Geduld zu haben. Im sozialpsychiatrischen Dienst arbeiten den Angaben nach derzeit elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf 8,75 Vollzeitstellen - für den gesamten Kreis. "Ich hoffe, dass alle Beteiligten im Landratsamt sich besinnen und das Angebot nicht dauerhaft wegbricht", sagt Rainer Bauer.