Junger Mann aus dem Kreis Reutlingen beim "Fensterln" schwer verletzt

Sturz vom Dach einer Jugendherberge im Zollernalbkreis als Arbeitsunfall anerkannt

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Ein 17-Jähriger war zu einer mehrtägigen Ausbildungsveranstaltung in einer Jugendherberge im Zollernalbkreis. Am ersten Abend versuchte er, über das Dach ins Mädchenzimmer zu klettern. Er stürzte ab.

Vor über sieben Jahren ist der junge Mann aus dem Kreis Reutlingen beim "Fensterln" verunglückt. Jetzt hat das Landessozialgericht in Stuttgart den Sturz als Arbeitsunfall anerkannt. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Versuch im November 2014, einen gemeinsamen Abend mit anderen Auszubildenden fortzusetzen, Teil eines gruppendynamischen Prozesses gewesen sei.

Landessozialgericht Baden-Württemberg (Foto: dpa Bildfunk, Bernd Weissbrod)
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat festgestellt: Der Weg über das Dach war "unvernünftig", aber nicht "fernliegend".

Zuvor hatte sich der lernbehinderte Jugendliche erlaubterweise bei den Mädchen in seinem Nachbarzimmer aufgehalten, bis ein Betreuer den Abend für beendet erklärte und alle auf ihre Zimmer schickte. So schildert es das Sozialgericht in seiner Urteilsbegründung. Der Jugendliche kündigte den Mädchen demnach an, über das Dach zurückzukommen.

Gruppendynamischer Zugzwang

Die jungen Frauen hielten die Ankündigung für Spaß, wenigstens eine Teilnehmerin, glaubt das Gericht, habe zum damals 17-Jährigen aus dem Kreis Reutlingen gesagt, dass er "das sowieso nicht machen" würde.

Bleibende Schäden nach dem Sturz

Als der junge Mann es dann doch versuchte, verlor er auf dem Dach den Halt, stürzte aus etwa acht Metern Höhe und brach sich mehrere Knochen. Nach mehreren Operationen ist die Bewegungsfähigkeit eines Arms noch immer massiv eingeschränkt.

BG: "Kein Arbeitsunfall"

Die Berufsgenossenschaft lehnte es später ab, den Sturz als Arbeitsunfall anzuerkennen. Sie begründete das damit, dass der Entschluss, über das Dach ins Mädchenzimmer zu klettern, "in keinem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Teilnehmer der Ausbildung" stehe. Der Unfall sei privat und unversichert geschehen. Hinzu komme, dass der junge Mann alkoholisiert gewesen sei.

Weg durch die Instanzen

Der junge Mann hatte geklagt. Das Sozialgericht hatte die Entscheidung der Berufsgenossenschaft aufgehoben. Die Berufsgenossenschaft hatte Berufung eingelegt. Diese Berufung hat das Landessozialgericht jetzt zurückgewiesen.

Durchgängig versichert

Das Gericht in Stuttgart ging nämlich davon aus, dass der Kläger im Rahmen des Seminars bei allem unfallversichert war, was mit der Ausbildung zu tun hatte. Dazu gehörten auch die gruppendynamischen Prozesse.

Jugendliche Selbstüberschätzung

Die Selbstüberschätzung des jungen Manns sei "jugendtypisch" und "nicht völlig vernunftwidrig" gewesen. Da eine Aufsichtsperson den Flur überwachte, sei der Weg über das Dach zwar unvernünftig und leichtsinnig, aber durchaus naheliegend gewesen.

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SWR