Hoffnung auf vorzeitige Amnestie bleibt

Ein Jahr nach dem Urteil in Belarus: Ex-Stuttgarterin Kolesnikowa hat kaum Kontakt zur Außenwelt

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INTERVIEW
Diana Hörger

Vor einem Jahr ist die belarussische Oppositionelle Maria Kolesnikowa zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Die Musikerin hatte zuvor in Stuttgart gelebt. Eine Freundin erzählt, wie es ihr heute geht.

Sie kämpfte mit viel Mut für die Freiheit und ist eine Symbolfigur der demokratischen Bewegung in Belarus. Vor genau einem Jahr (6. September) ist Maria Kolesnikowa in Minsk zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Lange Zeit hat sie als Künstlerin in Stuttgart gelebt und dort hat sie noch viele Unterstützerinnen und Unterstützer. Dazu gehört auch die Stuttgarter Regisseurin Jasmin Schädler. Sie hatte zusammen mit Maria Kolesnikowa die Kunst-Initiative "InterAKT" gegründet. In der Sendung SWR4 BW hat sie über die Situation ihrer Freundin "Mascha" gesprochen.


SWR: Frau Schädler, ist es Ihnen momentan möglich, Kontakt zu Maria Kolesnikowa zu halten und wissen Sie, wie es Ihrer Freundin geht?

Jasmin Schädler: Wir selber haben keine Möglichkeit, direkten Kontakt mit Maria aufzunehmen. Das einzige, was ihr manchmal erlaubt wird, ist ein wenige Minuten langer Video-Call mit ihrem Vater und ihrer Schwester. Das sind die einzigen Beiden, die wirklich punktuell mit ihr Kontakt halten können. Und das beschränkt sich auf das Wichtigste. Wir versuchen natürlich über Social Media und auch über künstlerische Aktionen immer wieder aufmerksam zu machen. Sowohl auf ihr Schicksal, als auch auf das Schicksal der anderen Beteiligten.

Wie geht es Ihnen denn speziell heute an diesem Tag damit, dass ihre Freundin seit einem Jahr im Gefängnis und in einer Strafkolonie ist?

Es ist ein total absurdes Gefühl zu wissen, dass eine gute und enge Freundin und Kollegin in so einer Situation ist, in einer Strafkolonie zu leben. Wir haben natürlich alle damit gerechnet, dass sie nicht freigesprochen wird. Leider. Aber Maria ist eine sehr optimistische Person, die immer das Beste auch aus den schlechtesten Situationen rausholt.

Maria Kolesnikowa ist im Zuge der Proteste gegen Machthaber Lukaschenko zu elf Jahren Haft verurteilt worden.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/BelTA | Ramil Nasibulin)
Maria Kolesnikowa ist fast ein Jahr nach ihrer Festnahme im Zuge der Proteste gegen Machthaber Lukaschenko zu elf Jahren Haft verurteilt worden.

Als der Angriffskrieg gegen die Ukraine Anfang des Jahres losging zum Beispiel. Die Strafkolonie, in der Maria sitzt, ist ja relativ nah an der ukrainischen Grenze. Und sie konnte dort auch die Kriegsgeräusche relativ gut wahrnehmen. Sie ist politische Gefangene. Und wenn man unter diesem Label geführt wird, muss man eine Markierung tragen. Das soll die anderen Gefangenen, die eben nicht in diese Kategorie fallen, darauf hinweisen, dass sie mit diesem Menschen keinen Kontakt haben sollen. Das steht normalerweise auch unter Strafe. Also, es ist eine Isolation in der Gruppe. Und dieses Abzeichen ist Gelb. Und die Uniformen, die die Gefangenen dort tragen müssen, sind blau. Für sie war das dann direkt wieder was Positives, weil sie sich so mit der Ukraine solidarisieren konnte.

"Als politisch Gefangene muss Maria eine Markierung tragen. Das soll andere Gefangene darauf hinweisen, nicht mit ihr zu sprechen."

Vor einem Jahr, bei der Verhaftung, hatten Sie gesagt, Sie würden gemeinsam mit anderen Stuttgarter Freunden alles tun, damit Kolesnikowa freigelassen wird. Es gab ja auch einen Brief an die Bundesregierung. Ist Ihre Erkenntnis nach einem Jahr, dass gegen dieses Regime irgendwie nichts auszurichten ist? Dass man dem nichts anhaben kann?

Die Situation hat sich natürlich auf jeden Fall noch einmal verschärft durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Lukaschenko hat dadurch tatsächlich auch wieder mehr Rückhalt in den Teilen der Bevölkerung, die nicht schon vorher klar der Opposition angehört haben, sondern eher so im unpolitischen Mittelfeld unterwegs sind. Da gibt es eben dieses Argument: Wenn ich gefallen wäre oder wenn ich nicht mehr an der Regierung wäre, dann würde es euch jetzt genauso gehen wie den Menschen in der Ukraine. Gleichzeitig ist Belarus nicht komplett unbeteiligt. Es gab ja schon auch an der Grenze durchaus Interaktionen. Und es gibt genug Menschen in Belarus, die sehr offen auch gegen diesen Krieg sind. Und die Leute, die im Exil leben, sowieso. Ich bin so ein bisschen hin- und hergerissen. Auf der einen Seite habe ich das Gefühl, der Krieg hat da noch mal Rückschritt verursacht. Und gleichzeitig aber auch diese Offenlegung davon, wie ungerecht das alles ist. Und wie undemokratisch auch diese Verhältnisse sind, in denen sich Putin und Lukaschenko bewegen. Aber ich denke, Mascha würde das auch so sehen, dass Hoffnung immer das Wichtigste ist und dass wir immer die Hoffnung in uns tragen müssen. Nur dann kann überhaupt was passieren. Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass das ohne wirklich aktive Unterstützung von außen nicht so richtig vorwärts gehen kann.

"Ich habe das Gefühl, der Krieg gegen die Ukraine hat in Belarus einen Rückschritt verursacht."

Maria Kolesnikova, Oppositionelle aus Belarus, während einer Gerichtsverhandlung.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/BelTA/AP | Ramil Nasibulin)
Maria Kolesnikova, Oppositionelle aus Belarus, während einer Gerichtsverhandlung.

Wie viel Hoffnung haben Sie denn, dass Sie Maria Kolesnikowa vor September 2023 wiedersehen können?

Es ist so - und deswegen bin ich da tatsächlich sehr hoffnungsvoll - dass es in Belarus immer wieder ganz komische Amnestien gibt. Und dann auch die Menschen, die das betrifft, total überrascht sind, dass sie plötzlich wieder frei sind. Das könnte ich mir schon vorstellen. Ich denke, Lukaschenko wird immer wieder abwägen, wo Mascha für ihn gefährlicher ist. Und sicherlich ist sie aktuell am sichersten in dieser Haftanstalten. So absurd es klingt. Deswegen ist es wichtig, dass sie da ist. Und gleichzeitig könnte es sein, dass genau das irgendwann der Grund sein wird, dass sie freigelassen wird und dann vielleicht doch wieder gezwungen wird, außer Landes zu gehen. Weil eben ihre Anwesenheit so ein starkes Symbol ist. Immer noch.

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