Ab Mittwoch

Wiedergutmachungskonferenzen nach der Stuttgarter Krawallnacht beginnen

Stand

Am Mittwoch beginnen die Wiedergutmachungskonferenzen der Stadt Stuttgart - nach der Krawallnacht im Juni 2020. Was das bedeutet, erklärt Sozialarbeiter Wolfgang Schlupp-Hauck im Interview.

Wolfgang Schlupp-Hauck: Täter-Opfer-Ausgleich ist ein Mediationsverfahren im Rahmen des Strafrechts. Das heißt, das kann vor der Gerichtsverhandlung wie auch danach von unserer Seite aus stattfinden, denn es ist ein freiwilliges Angebot. Beide Seiten müssen zustimmen. Was das Besondere bei der Krawallnacht ist, dass es nicht ein einzelner Täter und ein einzelnes Opfer war, sondern ein riesiges Gruppengeschehen war. Und insofern haben wir uns da eine besondere Form ausgedacht: die Wiedergutmachungskonferenz. Das heißt, dass zwei oder drei Täter, zwei oder drei Polizisten und ein oder zwei Ladenbesitzer jeweils eine Gruppe bilden, die über das sprechen, was passiert ist, wie sie das erlebt haben, um dann gemeinsam über Wiedergutmachung zu reden.

SWR-Moderatorin Diana Hörger: Wie kann man was gutmachen, was auch in der Gesellschaft vielleicht so eine Art Schock ausgelöst hat? In Stuttgart hatten sich die meisten sowas bis dato nicht vorstellen können. Kann man da auch so eine Art Wiedergutmachung herstellen?

Bei allen Straftaten ist der Begriff Wiedergutmachung schwierig. Schmerzen, die wir hatten, die bleiben. Und Sachen, die kaputt gegangen sind, kann man reparieren. Aber für gesellschaftliche Dinge ist die Frage mehr: Was können die Jugendlichen, die da beteiligt waren, für ein anderes Bild von sich abgeben als das, was sie in der Nacht abgegeben haben? Was können sie Positives tun? Es gibt eine Jugendliche, die dabei war, die gern eine Kunstaktion machen würde. Einer hat gemeint, man sollte um den Eckensee herum aufräumen. Das müsste man dann mit Gartenbauamt besprechen. Also, solche Ideen sind da. Es gehört natürlich dann auch dazu, dass man mit den Jugendlichen und mit der Jugendarbeit das Thema bespricht und aufarbeitet.

Randalierer zogen im Juni 2020 durch die Stuttgarter Innenstadt (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/Julian Rettig | Julian Rettig)
Im Prozess um die Stuttgarter Krawallnacht im Juni 2020 sind die ersten Urteile gefallen.

Sie betreuen beim Jugendamt Stuttgart zurzeit knapp 30 junge Menschen, die an der Krawallnacht beteiligt waren. Wie sprechen die denn über diese Nacht im Juni? Und weshalb haben sie damals mitrandaliert?

Schlupp-Hauck: Was mir auch gefallen ist bei denen, die bei uns eingelaufen sind, dass das eine sehr situative Entwicklung war. Es hat angefangen damit, dass man sich plötzlich stark gefühlt hat, man hat mitgemacht und wurde von anderen angefeuert. Im Prinzip so, wie es am Schulhof im Kleinen passiert, wenn zwei sich kloppen und die Menge außenherum feuert an. Dann macht man Dinge, die würde man nicht so machen, wenn man überlegen würde. Diese psychologisch aufgeheizte Stimmung: Das wird mir von den meisten geschildert wird. Dazu noch der Corona-Frust, dass man nicht raus kommt, nicht feiern konnte. Und dann kommt auch immer wieder sowas: Die Polizei, die kontrolliert halt alles. Da ist dann manchmal so ein Ärger da. Und einer hat es auch ausgesprochen: 'Endlich waren mir mal die stärkeren!' Jetzt hat durch die Haft, die Zeit oder dadurch, dass man von anderen mitgekriegt hat, dass sie strafverfolgt wurden, auch ein Nachdenkungsprozess stattgefunden. Und das ist genau das, was wir mit der Wiedergutmachungskonferenz weiter forcieren.

Wieviele "Täter" haben sich denn auf Ihren Aufruf gemeldet, die da sagen: Ich war eigentlich gar nicht im Fokus der Polizei, aber ich möchte trotzdem mitmachen?

Schlupp-Hauck: Wir hatten gedacht, es melden sich vielleicht welche, es sein, dass jetzt, wo es an die Wiedergutmachungskonferenzen geht, an Aktionen, die dort beschlossen werden, dass dann auch andere mitmachen. Aber bei uns hat sich bisher keiner gemeldet, der gesagt hat: Ich war zwar dabei, aber ich bin noch nicht erfasst. Es gab ja jetzt von der Polizei noch mal eine öffentliche Nachfahndung, wo sich einige selbst gestellt haben. Von denen haben sich dann gleich drei auch noch bei uns gleich gemeldet und gesagt: Also, wir übernehmen da strafrechtliche Verantwortung, wollen aber auch an der Wiedergutmachungskonferenz teilnehmen. Und die haben halt vorher stillgehalten, weil sie hofften, um das Strafrechtliche irgendwie herumzukommen. Das ist aber auch ein Stück weit verständlich.

Jetzt geht es auch um Prävention, damit so etwas nicht mehr wieder passiert. Wie kann man den jungen Menschen beibringen, Verantwortung zu übernehmen, auch die eigene Schuld an dieser Krawallnacht einzusehen und auch vielleicht zu merken, dass der Polizist vielleicht nicht nur das klassische Feindbild ist?

Schlupp-Hauck: Genau deswegen machen wir ja diese Wiedergutmachungskonferenzen, wo man den Polizisten in einer anderen Situation erlebt, eben nicht in der Situation, wo er einen kontrolliert auf der Straße, sondern wo man zusammensitzt, über das Problem redet und er im Prinzip gleichwertig wie der Jugendliche dabei ist, also dass man so den Blickwinkel verändert. Das ist eine wesentliche am Aufgabe, die man in diesen Konferenzen sehen. Und ich glaube, da ist ein großer Lernprozess in der Jugend und auch zwischen den Beteiligten bei den Behörden da, wie man mit solchen Konflikt umgehen kann.

Stand
AUTOR/IN
SWR