In Stuttgart und anderen Städten Baden-Württembergs gerieten am Wochenende Jugendliche mit der Polizei aneinander (Foto: IMAGO, Imago/Arnulf Hettrich)

Sicherheitskonzept Stuttgart

Sozialarbeiter Fregin: Sicherheitsbegriff sollte erweitert werden

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Martin Rottach
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Kristin v. Heyden

Die Stadt Stuttgart hat ein neues Sicherheitskonzept für die Innenstadt vorgestellt. Simon Fregin von der mobilen Jugendarbeit Stuttgart kümmert sich um Jugendliche in der City. Ein Gespräch.

Herr Fregin, wie ist denn die Situation gerade bei den Jugendlichen, mit denen Sie da unterwegs sind?

Simon Fregin: Mit besserem Wetter stellen wir fest, dass wieder ganz auch viele in die Stadt kommen und die wollen halt einfach feiern, ihren Abend dort verbringen, das Wochenende in Stuttgart verbringen. Und die meisten Abende mit gutem Wetter sind eigentlich auch wirklich ganz schön

Hat sich denn seit der Krawallnacht etwas geändert?

Fregin: Auf verschiedenen Ebenen kann man sehr viel feststellen. Das eine ist, dass wir natürlich alle relevanten Akteure, die in der Innenstadt wichtig sind, an einen Tisch gekriegt haben. Das heißt, es gibt viel bessere Abstimmungen. Und was wir gemerkt haben: Es ist mehr Transparenz da. Also zum Beispiel haben wir uns darum bemüht, die Regeln, die in der Stadt gelten - sei es Corona oder sonstige Maßnahmen - transparenter für junge Menschen zu machen. Die Polizei hat verschiedene Strategien ausprobiert, hat manchmal auch auf Deeskalation gesetzt, manchmal probiert, ein bisschen repressiver aufzutreten. Und da konnten wir sehr viele Erfahrungen sammeln. Also ich glaube, aufgrund des Gesamtkonstrukts, das wir alle gemeinsam hingekriegt haben, ist es deutlich cooler geworden in der Stadt.

Simon Fregin von der Mobilen Jugendarbeit Stuttgart (Foto: SWR)
Simon Fregin von der Mobilen Jugendarbeit Stuttgart

Ist denn die mobile Jugendarbeit mittlerweile im Bewußtsein der Jugendlichen angekommen?

Fregin: Natürlich nicht bei allen. Das wird aber auch nie der Fall sein. Also wenn man sich die Innenstadt anschaut, wo im Sommer dann teilweise ja mehrere tausend junge Menschen irgendwo in der Stadt unterwegs sind, auch aus der ganzen Region: Uns werden nie alle kennen. Das haben wir aber auch gar nicht als Ziel. Wir wollen eine gewisse Grundbekanntheit haben, und wir haben einige junge Menschen, mit denen wir in sehr intensivem Kontakt sind. Also letztes Jahr haben wir über 80 Jugendliche intensiv und individuell begleitet. Ansonsten merken wir immer wieder, sobald wir da sind, zum Beispiel mit den Westen sichtbar sind oder mit unserem Bus, dass wir immer wieder angesprochen werden und man kurz nachfragt: Wer seid ihr, Was macht ihr oder man sich bei uns kurz Hilfe und Unterstützung holt.

Hören Sie auch ein bißchen die Sehnsucht bei den Jugendlichen, dass einfach zu wenig los oder dass ihnen zu langweilig ist?

Fregin: Also, dass der öffentliche Raum in Stuttgart mehr bespielt wird, liegt auch an Rückmeldungen, die wir gegeben haben, die uns aber auch junge Menschen geben. Wenn was los ist, was attraktiv für viele Menschen ist und wir dadurch, sag ich mal, eine bunte Besucherschaft in der Stadt hinkriegen, dann sind es eigentlich brutal schöne und coole Abende! Und mit den Angeboten, die jetzt kommen etwa auf dem Kleinen Schlossplatz, ist immer der Versuch verbunden, eigentlich eine Einladung an Menschen in der ganzen Stadtgesellschaft auszusprechen: Kommt doch in eure Stadt, guckt sie euch an, hier ist es schön, hier kann man tanzen, hier ist was los. Und wenn uns das jetzt gelingt, mit unseren Maßnahmen, die wir planen mit den ganzen Partnerinnen und Partner, dann glaube ich, sind wir auf einem sehr guten Weg.

Eine Überwachungskamera (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Patrick Pleul)
Auch rund um den Stuttgarter Schlossplatz wurden etliche Videokameras installiert.

Bringen eigentlich die stationären Videokameras was, die nach der Krawallnacht aufgestellt wurden und noch werden?

Fregin: eine präventive Videoüberwachung - im Sinne von: Ich weiß, dass da eine Kamera ist und deswegen überlege ich mir zweimal, ob ich was tu - setzt voraus, dass es gut bekannt ist. Und da stellen wir fest, dass die Schilder, die in der Stadt angebracht sind, nicht unbedingt von allen gelesen werden. Wenn wir aber in individuellen Gesprächen auf jemand zugehen und sagen: Hey, guck mal, da hinten ist die Kamera, dann merken wir teilweise schon, dass die noch mal kurz zurücktreten und sich kurz überlegen: Was mache ich gerade und will ich das überhaupt? In dem Sinne merken wir was. Aber in der großen Breite, ist es noch nicht angekommen,

Jetzt spricht die Stadt auch von einer Waffenverbotszone, die eingerichtet werden soll, weil es in der Vergangenheit diverse Auseinandersetzungen mit Messern gab. Was ist Ihre Erfahrung?

Fregin: Generell ist es uns ein großes Anliegen, dass man ohne Bewaffnung in die Innenstadt kommt, weil es schlichtweg kein Argument gibt, das für uns nachvollziehbar erklärt, warum man beispielsweise Messer dabei hat in der Innenstadt. Das heißt wir wirken im individuellen Kontakt deutlich daraufhin, indem wir sagen: Wenn du eins dabei hast, lass' es zuhause. Es gibt keinen Grund dafür! Ein Verbot muss natürlich in irgendeiner Weise auch kontrolliert werden. Da sind wir jetzt gespannt, wie es umgesetzt und kontrolliert wird und welche Auswirkungen damit einhergehen.

Aber würden Sie schon sagen, dass es viele Jugendliche gibt, die bewaffnet in die Stadt kommen?

Fregin: Es gab Vorfälle, in denen im Rahmen von Schlägereien oder Auseinandersetzungen Messer eingesetzt wurden. Für uns als mobile Jugendarbeit ist das aber nicht unbedingt was Neues. Also, wir sind ja schon seit über 50 Jahren in Stuttgart aktiv und hatten in unserer Historie immer wieder Phasen, wo es auch zu Waffeneinsatz und Bewaffnung bei jungen Menschen kam. Von daher weiß ich nicht, ob das aktuell wirklich sehr viel zugenommen hat oder ob wir als Gesellschaft genauer hinschauen.

Bei der Pressekonferenz zum neuen Sicherheitskonzept war auch die Rede von einem erweiterten Besteckkasten (an Aktionsmöglichkeiten für Stadt und Polizei), der jetzt Anwendung findet. Was müsste denn aus Ihrer Sicht noch in den Besteckkasten rein?

Fregin: Was mir wichtig ist, ist, dass wir irgendwann eine Debatte über den Begriff der Sicherheit führen, der nicht nur ordnungspolitisch definiert werden muss, sondern Sicherheit sind ja auch soziale Themen. Habe ich ein sicheres Umfeld? Habe ich eine sichere Wohnung? Habe ich eine sichere Lebensperspektive? Und diese Erweiterung der Diskussion zum Thema Sicherheit ist mir unglaublich wichtig, dass wir auch mit den jungen Menschen vor Ort ins Gespräch gehen und nachfragen: was bedeutet Sicherheit für dich? Gleichzeitig werden wir als mobile Jugendarbeit gemeinsam mit jungen Menschen daran arbeiten, Anlaufstellen in der Stadt zu etablieren. Also wenn einem jungen Menschen etwas passiert ist - irgendetwas war vielleicht gerade uncool oder blöd oder man hat eine dumme Erfahrungen gemacht - dann wird man künftig Menschen in der Stadt haben, zu denen man kommen kann, und bei denen man sich kurz Hilfe und Unterstützung holen kann.

Woher kommt der Wunsch nach einer Debatte über einen anderen Sicherheitsbegriff?

Fregin: Ich glaube, dass wir die Debatte sehr stark auf der politischen Ebene führen und auch sehr stark in Medien. Mit den jungen Menschen vor Ort wird allerdings aktuell noch wenig getan. Was Sicherheit für sie bedeutet, diskutieren wir viel mit jungen Menschen und fragen: Was willst du eigentlich an Sicherheit? Was wäre für Dich wünschenswert, was wäre für dich gut? Und deswegen wollen wir die Debatte erweitern. Das machen wir mit ganz vielen Partnerinnen und Partnern in der Stadt. Rückzugsorte, also eine Ansprechperson in der Innenstadt zu haben, wo ich irgendwie Hilfe suchen kann, ist ein konkreter Wunsch von vielen jungen Menschen.

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