"Eigentlich wollten wir Sachspenden sammeln und einen einzigen 7,5-Tonner-Lkw in die polnische Partnerstadt Sindelfingens nach Chelm schicken, aber jetzt sind schon 15 Laster weggefahren," erzählt Jens Musleh. Manchmal kann er selbst nicht ganz glauben, was er gemeinsam mit einem Team von fünf anderen auf die Beine gestellt hat. Der 48-Jährige ist eigentlich IT-Berater. Er hat sich für die Hilfsaktion in Sindelfingen (Kreis Böblingen) zwöf Tage Urlaub genommen und koordiniert die Spendenverteilung für die Ukraine.
Es gibt viele Spendenaktionen in Baden-Württemberg für die Ukraine, doch die in Sindelfingen sticht heraus, weil in kurzer Zeit so Großes entstanden ist.

Riesenansturm nach Start
Alles hatte aber klein angefangen am Tag eins nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine. Gemeinsam mit dem Sindelfinger Stadtrat, Max Reinhardt (FDP), habe er überlegt, was man denn unternehmen könnte. "Wir wollten auch etwas gegen die Ohnmacht tun und haben dann die Hilfe für die Ukraine gestartet."
"Gleich am ersten Wochenende, als wir die Hotline geschaltet haben, habe ich 120 Anrufe bekommen."
Gegen die Ohnmacht wollte auch Lara Blum etwas tun. Die 19-jährige Studentin aus Stuttgart packt in der Klosterseehalle an, wo die Hilfsgüter auf Lkw geladen werden. Statt weiter vor dem Livestream mit den aufwühlenden Bildern aus der Ukraine zu sitzen, wollte sie helfen und meldete sie sich bei "Helfen statt Hamstern" an.
"Es ist Krieg in Europa. Das ist neu für uns junge Menschen", sagt die Studentin. "Es tut gut, wenn man hier steht und helfen kann." Ihre Aufgabe ist es zum Beispiel, die vielen Kartons mit den mehrsprachigen Aufkleber zu versehen: Babykleidung steht da oder Spielzeug. Mittlerweile haben sich rund 650 Helferinnen und Helfer bei "Helfen statt Hamstern" gemeldet.

Seit Mittwochmittag 13 Uhr werden wieder Spenden in der Klosterseehalle in Sindelfingen angenommen. Weil die Organisatoren von Sachspenden fast überflutet wurden, musste am vergangenen Sonntag ein Annahmestopp verhängt werden. In der Halle war kein Platz mehr.
Keine Damen- oder Herrenkleidung mehr erwünscht
Wichtig ist "Helfen statt Hamstern" aber, dass keine Damen-oder Herrenkleidung mehr abgeben wird. Kinderkleidung und Kinderschuhe werden auch nur noch angenommen, wenn sie in einem guten Zustand sind. Benötigt werden vor allem Babynahrung, Hygieneartikel wie Windeln, Verbandsmaterial, Taschenlampen und Powerbanks. Spenden können in die Klosterseehalle in Sindelfingen noch bis Samstag gebracht werden - täglich von 10 Uhr bis 17 Uhr.
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Gleich zu Beginn der Hilfsaktion am 1. März war die Hilfsbereitschaft der Menschen aus Sindelfingen und Umgebung groß. Der Saal in der Sindelfinger Stadtbibliothek, in der Hilfsgüter abgegeben werden konnten, platzte sofort aus allen Nähten.
Die Stadt Sindelfingen ermöglichte es dann "Helfen statt Hamstern", die leerstehende Klosterseehalle in Sindelfingen als Spendensammel-Zentrum zu nutzen. Dort, wo früher Konzerte und Abibälle stattfanden, türmen sich jetzt Kartons gefüllt mit Kinderkleidern, Windeln, Bettdecken und Konserven.
Improvisiertes Logistikzentrum in der Klosterseehalle
Jens Musleh hat sich in einem kleinem fensterlosen Nebenzimmer hinter der Bühne der Halle ein Logistikzentrum aufgebaut. An die Wände hat er mit Klebeband Plakate aufgehängt, auf die er die Einsatzfahrpläne der Lkw geschrieben hat. Die Laster fahren mittlerweile nicht mehr nur in die polnische Stadt Chelm, sondern auch nach Moldawien und auch in die Ukraine - in die Stadt Uschgorod.
15 Laster sind bis Mittwoch abgefahren. Musleh rechnet, dass es bis Sonntag insgesamt 25 werden. "Gerade habe ich gelernt, wie man Frachtscheine für den Zoll in Moldawien ausfüllt", erzählt Musleh. Jeder Tag bringe eine neue Realität.

Firmen aus der Region stellen Laster bereit
Seit vergangenen Freitag wurden auch Speditionsunternehmen wegen des Transports in die Ukraine angefragt. Jens Musleh ist stolz: "Wir haben tolle Angebote bekommen. Amazon und die Firma Keysight aus Böblingen haben uns zum Beispiel mehrere Lkw gestellt. Keysight stellt uns sogar eine Vollzeitkraft, die uns bei der Logistik hilft. Alles als Spende." Eine Lkw-Fahrt nach Chelm kostet rund 5.000 Euro, schätzt Musleh. Alleine für den Sprit müsse man mit über 3.000 Euro rechnen.
Hilfsorganisation von Berufskraftfahrern engagiert sich
Auch eine Hilfsorganisation von Berufskraftfahrern hat sich bereit erklärt, zu helfen. Rico Jasmund von "Bewegen mit Herz" aus Hessen fährt einen 7,5-Tonner mit Anhänger. Er ist voll beladen mit Hilfsgütern aus Sindelfingen: vor allem mit Wasserflaschen, Bettdecken, Matratzen, Isomatten und Kleidung. Am Dienstagmittag startete er in Richtung Chelm in Polen.
"Ein bisschen mulmig ist mir schon - so nah an ein Kriegsgebiet zu fahren. Chelm liegt ja nur zehn Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Ich weiß nicht, was mich erwartet. Aber es ist für einen guten Zweck. Wenn man sieht, wie auch die Kinder in der Ukraine leiden. Das ist eine besondere Fahrt für mich."
Das polnische Chelm gilt als Umschlagplatz für Hilfsgüter, erklärt "Helfen statt Hamstern". Dort würden die Sachspenden für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nach wie vor dringend benötigt.
Stadt Sindelfingen lobt ehrenamtliches Engagement
Die Hilfsaktion von "Helfen statt Hamstern" läuft noch bis diesen Sonntag. Wie es mit der Aktion weitergeht, entscheidet sich in den nächsten Tagen, so Musleh. Die Stadt Sindelfingen lobte das bürgerschaftliche und ehrenamtliche Engagement, das bei "Helfen statt Hamstern" zusammengekommen sei. "Auch die nächsten Hilfsaktionen werde die Stadt im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen", bestätigte die Stadt dem SWR.