Sogenannte "Hitler-Bärte" und Hakenkreuze auf Portraits von Menschen, die den Holocaust überlebt haben: Die Nachricht vom Schmierereien auf ausgestellte Bilder an der Jerg-Ratgeb-Realschule in Herrenberg in der Nacht auf Dienstag hat viele bestürzt. Schockiert sind nicht nur die 28 Zehntklässlerinnen und Zehntklässler, die seit Monaten an der Ausstellung "Gegen das Vergessen" gearbeitet hatten. Auch der Künstler Luigi Toscano und der Landesbeauftragte gegen Antisemitismus Michael Blume zeigten sich schockiert, als sie am Mittwoch die Schule besuchten.
Schülerinnen und Schüler besuchten zur Vorbereitung KZ-Gedenkstätte
Luisa, Leon und Jalon sind 15 Jahre alt, sie haben die Ausstellung mit vorbereitet und aufgebaut. Dafür besuchten sie KZ-Gedenkstätten, informierten sich neben dem normalen Unterricht über die NS-Geschichte und recherchierten die Lebensläufe der gezeigten NS-Opfer. Die Portraits der Holocaust-Überlebenden hat der international renommierte Fotograf Luigi Toscano aus Mannheim fotografiert.

Schüler: Schmierereien belegten die Notwendigkeit der Ausstellung
Und dann das: Ein erst Zwölfjähriger, so die Polizei, soll in der Nacht auf Dienstag vier der ausgestellten Bilder mit Nazi-Symbolen beschmiert haben. Der erste "Gefühlsschwall" sei Enttäuschung gewesen, sagt Jalon. Er habe sich gefragt: "Warum tun das Menschen?" Doch nach dem ersten Schock sei ihm klar geworden, dass das genau der Grund sei, "warum wir das hier machen müssen", so der Schüler aus Herrenberg.
Tat für Jugendliche nicht nachvollziehbar

Auch für Luisa sei die Tat unverständlich. "Wie kommt jemand in dem Alter auf so eine Idee?", fragte sich die Schülerin. Auch wenn sie enttäuscht ist: Mit der Ausstellung aufhören, das wäre nicht im Sinne der Überlebenden der Shoa gewesen. Es passiere so oft, dass Menschen in Deutschland offen antisemitische Haltungen zeigen würden, ergänzt Jalon. Darum sei es wichtig gegen das Vergessen vorzugehen, damit die "Erinnerung in den Köpfen" bleibe.

Antisemitismus weit verbreitetes Problem
Dafür setzt sich auch Antisemitismus-Experte Michael Blume ein. Er war am Mittwoch eigens nach Herrenberg gefahren, um mit den Schülern zu sprechen. Auch wenn die antisemitischen Straftaten und die Hass-Kriminalität in Baden-Württemberg für ihn Arbeitsalltag sind, sei es doch etwas besonders "beklemmendes" gewesen, dass ein zwölfjähriges Kind die Tat wohl zu verantworten haben soll, betonte Blume. Für ihn zeige das, wie verbreitet Antisemitismus nach wie vor sei.

Blume: Schüler und Schule haben vorbildlich reagiert
Gleichzeitig mache die Reaktion der Schülerinnen und Schüler sowie der Jerg-Ratgeb-Realschule ihm Hoffnung. Ihr Umgang sei beispielhaft gewesen - von der ersten Reaktion bis zur weiteren Aufbereitung. Man habe die Polizei verständigt und nach dem Täter gesucht. Außerdem sei man mit dem Fotografen in Kontakt getreten. Schließlich hätten sich alle dazu bekannt weiterzumachen. "Da können sich wirklich viele ein Beispiel nehmen", lobte Blume.
Projektgruppe lässt sich nicht entmutigen
Und auch für die Schülerinnen und Schüler war der Besuch ein wichtiges Zeichen. Jalon macht es Mut, mit jemandem zu reden, der für sein Engagement gegen Antisemitismus Anfeindungen erhalte. Viele Mitschüler seien nach dem Besuch von Blume auf die Gruppe zugekommen und hätten ihnen Mut gemacht.

Auch der 15-jährige Leon betonte, dass er froh sei, dass Michael Blume an die Schule gekommen ist. Dadurch hätten Mitschüler nochmal die Möglichkeit gehabt, Fragen zu Antisemitismus zu stellen.
Verschmierten Bilder sollen weiter ausgestellt werden
Doch wie geht man mit den verunstalteten Bildern um? Geschichtslehrerin Meike Hirner und ihr Kollege Dominik Kirges betreuen die Projektgruppe rund um Luisa, Jalon und Leon. Für sie sei der Besuch von Michael Blume ein "Zeichen der Wertschätzung von oberster Stelle" gewesen und eine Bestätigung für die Arbeit der Jugendlichen. Laut Kirges haben die Lehrer gemeinsam mit Michael Blume an Strategien gearbeitet, wie man die Bilder zeigen könnte. Wie genau das aussehen soll, ist aber noch unklar.

Für Leon, Luisa und Jalon steht nach dem Besuch von Michael Blume jedenfalls fest: Sie wollen sich weiterhin gegen das Vergessen und gegen den Antisemitismus engagieren.