Die Grünen haben signalisiert, dass sie bereit sind für Ampel-Koalitionsverhandlungen – und mittlerweile auch die FDP. Mit am Tisch bei den Sondierungen saß Ricarda Lang aus Filderstadt, eine der jüngsten Bundestagsabgeordneten der Grünen und seit 2019 stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei. Im SWR-Interview erklärt sie unter anderem, was sie von den Koalitionsverhandlungen erwartet.

SWR-Moderatorin Diana Hörger: Frau Lang, bei den anstehenden Verhandlungen geht es ja auch um Posten. Auf das Amt des Bundesfinanzministers oder der Bundesfinanzministerin scheinen es gleich mehrere abgesehen zu haben. Was glauben Sie denn, geht das Amt zwingend an die FDP?
Ricarda Lang: Nö, zwingend auf gar keinen Fall. Gerade ist noch alles offen. Wir werden dabei die Frage von Ministeriumszuschnitten, Ministerienverteilung und dann natürlich auch die Personalfragen erst am Ende der Koalitionsverhandlungen klären. Und ich finde, das ist auch der richtige Ort. Erst mal geht es um die Inhalte, erst mal geht es um Konzepte, und dann geht es um die Köpfe. Und auch beim Finanzministerium ist da noch alles offen. Das ist natürlich ein zentraler Ort, um die Zukunft zu gestalten.
Hörger: Bisher wurde ja auch viel über Männer in den Ämtern gesprochen - Robert Habeck, Christian Lindner, Rolf Mützenich waren so Namen, die da genannt wurden. Wie geht's denn mit den Frauen weiter, kommen die auch noch zum Zug, allen voran Annalena Baerbock?
Lang: Sie wird auf jeden Fall zum Zug kommen, da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Für mich ist es wichtig, dass wir am Ende auf eine Gesamtaufstellung als Grüne achten, auf Gleichberechtigung und damit natürlich auf gleichberechtigte Teilhabe an Macht und an den Orten, wo Entscheidungen getroffen werden. Da bin ich aber sehr optimistisch. Und ich bin auch optimistisch, was eine starke Rolle von Annalena Baerbock angeht.
Hörger: Das heißt, wir werden von ihr auf jeden Fall auch noch was hören in der neuen Regierung?
Lang: Auf jeden Fall.
Hörger: Wie liefen denn die Sondierungsgespräche aus Ihrer Sicht ab? Wir haben ja nichts gehört in den Medien, was eher dafür spricht, dass alle wirklich dicht gehalten haben. Haben Sie denn persönlich ab und zu mal gedacht "Hoffentlich kommt da jetzt nichts an die Öffentlichkeit, hoffentlich sind wirklich alle verschwiegen, wie man das vorher so verabredet hat"?
Lang: Ja, tatsächlich hatte ich den Gedanken auch, weil man es ja selbst kaum fassen konnte. Also wenn man so ein bisschen den politischen Betrieb der letzten Jahre beobachtet hat, ist die Tatsache, dass sich da drei Parteien aus sehr unterschiedlichen Lagern, mit sehr unterschiedlichen Weltsichten doch in einer Konkurrenz gegenüberzustehen – dass die es hinbekommen haben, zwei Wochen lang absolut vertraulich zu arbeiten, das hätte ich mir vor fünf Wochen noch nicht vorstellen können. Umso positiver hat es mich überrascht und auch ganz viele Menschen in diesem Land. Ich merke, dass viele Menschen gerade wieder mit Hoffnung und einem Aufbruchsgefühl auf Politik schauen. Das hatten wir so länger nicht mehr. Und ich glaube, da ist uns schon was gelungen. Das heißt nicht, dass inhaltlich alles einfach wird in den nächsten Wochen, das wird es ohne Frage nicht werden. Aber ich glaube, da ist uns schon gelungen, nochmal Vertrauen in Politik zurückzugewinnen.
Hörger: Hat man dann als Abgeordnete selbst auch mehr Vertrauen in die anderen, dadurch, dass man einfach merkt, dass wirklich nichts "geleakt" wird oder jemand die BILD-Zeitung anruft?
Lang: Auf jeden Fall, das stärkt total das eigene Vertrauen. Es gibt natürlich die Möglichkeit, sich mal anders in die anderen reinzuversetzen. Ich hatte das Gefühl, dadurch, dass das eben vertraulich abgelaufen ist, waren es auch wenig "Schaufensterreden", wenig Eigenprofilierung. Das wäre so nicht möglich gewesen, wenn man gewusst hätte, dass jeder Halbsatz auf Twitter landen könnte. Das hat auch das Vertrauen, das ich in diese Konstellation habe und auch in die anderen Parteien, auf jeden Fall gestärkt.
Hörger: Gab es auch eine Person, von der Sie positiv überrascht wurden, weil Sie es von ihm oder ihr nicht so gedacht haben – weil man sich auch nicht so kannte?
Lang: Ich kannte ja ehrlich gesagt ganz viele Leute, gerade auch aufseiten der FDP, noch nicht so gut. Da gab es zum Beispiel viele positive Beispiele. Und ich fand, dass Johannes Vogel von der FDP einen guten Job gemacht hat, der ja auch die Sozialpolitik für seine Partei macht. Aber es war, glaube ich, gar nicht so sehr eine Frage von einzelnen Personen, sondern dass es in allen Parteien das Ziel einer sachorientierten Auseinandersetzung gab und das Ziel, eine Regierung auf der Höhe der Realität zu bilden, die dieser Gesellschaft gerecht wird. Denn ich glaube, die Gesellschaft ist an vielen Stellen schon weiter als es die Politik der letzten Jahre war.
Hörger: Waren Sie denn selber auch überrascht, dass Sie überhaupt mit am Tisch sitzen durften bei den Sondierungen? Denn man hatte ja schon das Gefühl, dass das ein begehrter Posten war und viele dabei sein wollten, die dann vielleicht am Ende auch gar nicht mitreden durften. Hatten Sie erwartet, dass Sie dabei sind?
Lang: Vor ein paar Wochen war ich mir da auf gar keinen Fall sicher. Es war natürlich eine unglaublich große Ehre und ich habe mich sehr darüber gefreut. Es war für mich erstmal natürlich schön, da sozusagen auch diese Rolle übernehmen zu dürfen, denn das ist vor allem eine riesige Verantwortung. Es gab natürlich in den letzten Wochen unfassbar viele Mails, SMS, Menschen, die einen angesprochen haben. Es gab viele junge Menschen aus der Klimabewegung, die gesagt haben "Hey, wir haben so große Erwartungen an Euch, dass endlich das Pariser Klimaabkommen eingeführt wird." Dazu kamen viele Frauen, die gesagt haben, sie erwarteten, dass endlich Lohngleichheit besteht. Das war ein unglaublicher Anspruch, aber ist natürlich auch ein riesiges Verantwortungsgefühl, das man da mit sich trägt.
Hörger: Und Verantwortung wollen Sie übernehmen, hat auch Robert Habeck gestern gesagt, trotz schmerzhafter Zugeständnisse an die anderen Parteien in den Sondierungsgesprächen. Welche taten Ihnen denn persönlich am meisten weh, war es das Tempolimit?
Lang: Ich glaube, man muss erstmal sagen, dass dieses Papier etwas ganz Besonderes zeigt: Das ist eine Entscheidungsfähigkeit, also dass man sich nicht hinter leeren Kompromissen versteckt hat, sondern gesagt hat "Wir treffen Entscheidungen". Das heißt natürlich, an der einen Stelle setzen sich die einen durch und an der anderen eben auch mal die anderen. Was für mich am schmerzhaftesten war, war die Ausweitung der Mini-Jobs, weil ich hier einfach die große Gefahr der Teilzeitfalle für Frauen sehe. Wir werden schauen müssen, wie wir das abfedern können in den Koalitionsverhandlungen – aber das ist für mich der Punkt, wo ich am meisten schlucken musste.
Hörger: Da waren Sie also der Meinung, dass das wirklich in dem Papier hätte drin sein müssen?
Lang: Genau, und diese Momente wird man immer wieder haben. Das ist natürlich klar: Wenn ich jetzt das Wahlprogramm neben das Sondierungspapier lege, dann gibt es da große, große Unterschiede. Es gibt auch Punkte, wo wir uns durchsetzen konnten, beispielsweise beim Kohleausstieg und der Kindergrundsicherung. Und wenn man nicht dazu bereit ist, das mitzutragen, hätte man schon vor zwei Wochen sagen können "wir gehen in die Opposition".
Hörger: Zuletzt noch einen Tipp von Ihrer Seite: Wann haben wir eine neue Regierung? Wer hält dieses Jahr die Neujahrsansprache?
Lang: Ich denke, dass die Neujahrsansprache ein neuer Kanzler hält, also, dass wir dieses Jahr noch eine Regierung bekommen.
Hörger: Aber es wird ein Kanzler?
Lang: Ja, das wäre, glaube ich, sehr überraschend, wenn wir jetzt noch mal als drittstärkste Kraft dann plötzlich die Kanzlerin stellen - das wird ein Kanzler werden, ja.