Erstes Café seiner Art in Deutschland wird drei Jahre alt

Foodsharing-Café "Raupe Immersatt" in Stuttgart: Seit Eröffnung 50 Tonnen Lebensmittel gerettet

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AUTOR/IN
Siri Warrlich

Das erste Foodsharing-Café Deutschlands wird drei Jahre alt - und ist für einen Preis nominiert. In der "Raupe Immersatt" treffen Menschen aus Stuttgart aufeinander.

Das Foodsharing-Café ist für einen Preis der Initiative "Slow Food Deutschland" für sein Engagement für die sogenannte Ernährungswende nominiert. In Berlin wird der Preis am Mittwoch vergeben. Bis dahin läuft der Betrieb in der "Raupe Immersatt" am Stuttgarter Hölderlinplatz wie gewohnt.

Am Pfingstmontag wird das dreijährige Bestehen gefeiert

Es ist noch früh am Vormittag, wenn Katrin Scherer die Tür zur Johannesstraße 97 in Stuttgart öffnet. Als Erstes schaltet sie die Kaffemaschine an, die eine Weile vorheizen muss. Scherer ordnet die Kissen auf dem Sofa und räumt mit einer anderen Mitarbeiterin Tische und Stühle nach draußen. Bald öffnet die "Raupe Immersatt" für die ersten Gäste. Noch mehr vorzubereiten wird es am Pfingstmontag geben: Dann feiert das Café sein dreijähriges Bestehen – mit Sektempfang und Taco-Stand.

Wie funktioniert das Foodsharing-Café?

Die "Raupe Immersatt" ist das erste Foodsharing-Cafés Deutschlands. Sogenannte Fairteiler, also Sammelpunkte für Lebensmittel, die ansonsten im Müll gelandet wären, gab es auch vorher schon an vielen Orten. Doch die "Raupe Immersatt" will den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung mit einem Treffpunkt und Genuss verbinden.

Essen kostet nichts - Getränke schon

Gäste können sich "gerettete" Lebensmittel aus dem Kühlschrank nehmen und gleichzeitig im Café sitzen. Die Lebensmittel sind kostenlos. Wieviel sie für ihr Getränk zahlen möchten, bestimmen die Gäste selbst. Von dem Erlös werden Miete und Personalkosten gedeckt. So lautet die Grundidee der "Raupe Immersatt". Im Laufe der ersten drei Jahren hat sich vieles verändert.

Neuer Ablauf für Lebensmittelspenden

Katrin Scherer schließt eine Tür hinter der Cafétheke auf und geht hinunter in den Keller. Was hier geschieht, ist eine der wichtigsten Neuerungen in der Raupe Immersatt. "Früher haben wir die Lebensmittelspenden direkt oben an der Bar entgegengenommen", sagt die 29-Jährige. "Manchmal war das neben dem regulären Café-Betrieb kaum zu schaffen."

Katrin Scherer, Vorstandsmitglied Raupe Immersatt Stuttgart (Foto: SWR)
Die 29-jährige Katrin Scherer ist Vorstandsmitglied bei Raupe Immersatt.

Mittlerweile werden die Lebensmittel in dem Kellerraum angenommen. Im Regal stehen einige Kunststoffboxen mit Brot und Brötchen, daneben ein Kühlschrank, auch ein großes Waschbecken gibt es. Hier werden die Lebensmittelspenden gewogen und alles schriftlich dokumentiert. Leeren sich die Kühlschränke oben im Café, werden sie mit Nachschub aus dem Lager bestückt.

313 Kilo Essen landen in Deutschland im Müll - pro Sekunde

Durch die Dokumentation haben Scherer und ihre Kollegen eine genauere Vorstellung von den Mengen, die abgegeben werden. Etwa 50 Tonnen Lebensmittel, so die Hochrechnung, waren es seit dem Start vor drei Jahren. Der Großteil kommt von Kooperationsbetrieben wie Bäckereien und Cafés.

Insgesamt werden laut einer Studie der Umweltorganisation WWF in Deutschland jährlich knapp 10 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen oder aus anderen Gründen entsorgt werden - obwohl sie noch für den Verzehr geeignet wären. Das entspricht 313 Kilo pro Sekunde. "Im Vergleich dazu sind 50 Tonnen in drei Jahren ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Scherer.

Nur noch wenige 450-Euro-Kräfte

Entmutigen lässt sich das Team der "Raupe Immersatt" davon nicht. 15 Menschen arbeiten inzwischen in dem Café, das als gemeinnütziger Verein organisiert ist. Zwei Vollzeitstellen werden über eine Förderung der Stadt Stuttgart finanziert, eine Teilzeitstelle durch Unterstützung der Stuttgarter Heidehof-Stiftung. Die restlichen Personalkosten und die Miete in Höhe von 3.000 Euro monatlich bezahlt die Gruppe aus den Café-Einkünften.

Früher gab es hauptsächlich 450-Euro-Kräfte. Heute sind die meisten Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Darauf ist Katrin Scherer stolz. "Wir arbeiten kostendeckend, aber der Überschuss ist nicht hoch", sagt Scherer, die Teil des Vorstands der "Raupe Immersatt" ist.

Halbhöhenbewohner und Wohnungslose begegnen sich

Neben dem Retten von Lebensmitteln hat das Café noch ein anderes Ziel, das sich nicht in Zahlen fassen lässt. "Wir wollen Grenzen auflösen", sagt Scherer. Ins Café kommen laut Scherer sowohl Menschen, die obdachlos sind als auch Bewohner der Halbhöhenlage, um dort abends Wein zu trinken. Solche Begegnungen gebe es sonst nur in der U-Bahn, sagt Scherer.

Konflikte gebe es kaum, das Team musste noch nie einschreiten. Nur gelegentlich spreche sie Menschen im Café wegen ihres Verhaltens an, sagt Scherer. "Zum Beispiel, wenn jemand zum fünften Mal für die Schorle nur 50 Cent hinlegt. Dann erkläre ich nochmal das Konzept und sage vielleicht mal die Richtpreise, mit denen wir kalkulieren, um kostendeckend zu arbeiten." Für eine Saftschorle sind das drei Euro.

Nachahmer in ganz Deutschland

Inzwischen hat die "Raupe Immersatt" Nachahmer gefunden. In Freiburg, Freising, Landau und an weiteren Orten haben Foodsharing-Cafés eröffnet. Scherer und ihre Kollegen in Stuttgart sind dabei, ein Netzwerk für solche Cafés in Deutschland aufzubauen, um Wissen zu teilen und andere zu beraten.

Nominiert für den Preis der Initiative "Slow Food Deutschland"

Langweilig wird den Mitarbeitern der "Raupe Immersatt" aber ohnehin nicht. In einigen Tagen fahren einige von ihnen zu einer Preisverleihung in die Hauptstadt: Die "Raupe Immerstatt" ist für einen Preis der Initiative "Slow Food Deutschland" für Engagement für die sogenannte Ernährungswende nominiert. 1.500 Euro Preisgeld würde es am Mittwoch geben, wenn die Raupe gewinnt. Aber Katrin Scherer betont, ihr ging es bei der Bewerbung für den Preis eher darum, die Idee von Foodsharing-Cafés noch bekannter zu machen.

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Siri Warrlich