Historiker diskutieren über den Polizeieinsatz und seine Folgen

Stuttgart 21: Was bleibt elf Jahre später vom Schwarzen Donnerstag?

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Am 30. September 2010, dem Schwarzen Donnerstag, eskalierte die Auseinandersetzung rund um das Bahnprojekt Stuttgart 21. Am elften Jahrestag haben Historiker zum Stadtrundgang eingeladen.

Schwarzer Donnerstag in Stuttgart (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marijan Murat)
Beim Polizeieinsatz am 30. September 2010 wurden auch Wasserwerfer eingesetzt. Mindestens 160 Menschen wurden verletzt. (Archiv)

Der Schwarze Donnerstag ist einer jener Tage, der in das kollektive Gedächtnis aller Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger eingebrannt hat, heißt es beim Stadtpalais, das den Stadtrundgang organisiert hat. Viele Menschen aus Stuttgart und der Region sahen mit eigenen Augen wie die Polizei Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke einsetzte. Die meisten von ihnen wissen noch heute, was sie an diesem Tage gemacht oder von wo sie das Geschehen verfolgt haben.

Stuttgarter Historiker haben zum Stadtrundgang eingeladen

Am elften Jahrestag haben die Historiker Reinhold Weber, stellvertretender Direktor der Landeszentrale für politische Bildung und Torben Giese, Direktor des Stadtpalais – Museum für Stuttgart, über die historische Dimension und die Bedeutung des Tages für die jüngere Entwicklung Stuttgarts diskutiert. Dabei ging es auch darum, wie sich die Diskussionskultur in Stuttgart verändert hat und welche weitere Konsequenzen gezogen wurden.

Angeboten wurde die historische Aufarbeitung als hybrider Stadtrungang. Das heißt, das neben dem Rundgang vor Ort, das ganze auch ins Internet übertragen wurde.

Rückblick: Was geschah am Schwarzen Donnerstag?

Schwarzer Donnerstag in Stuttgart (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marijan Murat)
Das Bild von Dietrich Wagner ging um die Welt. Verletzt von der Wucht eines Wasserstrahls verlor er ein Auge und erblindete fast vollständig. (Archiv)

Schon vor dem 30. September 2020 hatten Umweltaktivisten - die sogenannten Parkschützer - im Schlossgarten neben dem Hauptbahnhof ihre Zelte aufgeschlagen. Mitglieder der Initiative Robin Wood besetzten Bäume, andere bauten Mahnwachen auf. Für den Bau des neuen Tiefbahnhofs sollten mehrere hundert Jahre alte Bäume gefällt werden - das wollten die Aktivisten verhindern.

Bildungs-Demonstration schließt sich Parkschützern an

Es sickerte durch, dass ein Polizeieinsatz bevorstand - der kam dann am 30. September 2010 mit dem Ende der Schonfrist für die Vegetation. Bereits am Morgen hatten sich einige Parkschützer im Schlossgarten versammelt. Um 10 Uhr begann eine genehmigte Schülerdemonstration unter dem Motto "Bildung statt Tiefbahnhof". Um 10:30 Uhr wurde der Parkschützeralarm ausgerufen - das Signal für alle Parkschützer, in den Schlossgarten zu kommen. Diesem Signal folgten auch die Schülerinnen und Schüler. Gegen 10:40 Uhr kamen die ersten Hundertschaften der Polizei. Um 11:20 Uhr blockierten mehrere hundert Personen Lastwagen mit Absperrgittern und kletterten auf Fahrzeuge - die Stimmung begann zu kippen.

Pfefferspray, Schlagstöcke und Wasserwerfer gegen Stuttgart 21-Gegner

Die Stuttgarter Polizei setzte auf Anweisung ihres damaligen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf Pfefferspray, Schlagstöcke und Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein. SWR-Reporter berichteten von "unglaublichen Szenen", von Verletzten mit blutigen Wunden und tränenden Augen. Um 13:47 Uhr traf ein Wasserstrahl einen älteren Mann direkt ins Gesicht - Dietrich Wagner wurde später als prominentestes Opfer des Schwarzen Donnerstags bekannt. Das Bild, wie er mit blutenden Augen aus dem Schlossgarten geführt wird, ging um die Welt. Er verlor ein Auge und erblindete fast völlig. Insgesamt wurden bei dem Einsatz offiziellen Angaben zufolge 160 Menschen verletzt, die Projektgegner sprechen von mehreren hundert. In der Nacht auf den 1. Oktober wird um 0:58 Uhr der erste Baum im Stuttgarter Schlossgarten gefällt.

Schwarzer Donnerstag in Stuttgart (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance / dpa | Uwe Anspach)
Nach dem Schwarzen Donnerstag ging der Protest eiter. Am 20. November 2010 fand in Stuttgart eine Kundgebung unter dem Motto "Schwarzer Donnerstag: Wir klagen an! Heraus mit der Wahrheit!" statt. (Archiv)

Fünf Jahre später: Gerichtliche Aufarbeitung des Schwarzen Donnerstags

Polizeipräsident Siegfried Stumpf nahm die volle Verantwortung für den Polizeieinsatz auf sich - er ging etwa ein halbes Jahr später im Jahr 2011 in den vorzeitigen Ruhestand. Im März 2015 akzeptierte er einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung. Zwei Untersuchungsausschüsse im baden-württembergischen Landtag konnten keine eindeutige Antwort darauf finden, ob der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) auf den Polizeieinsatz im Schlossgarten Einfluss genommen hatte.

Eine klare Aussage gab es jedoch am 18. November 2015 im Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart: Der Polizeieinsatz am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten war unrechtmäßig.

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