Für Rainer Haußmann steht fest: "Das Ergebnis ist klar und nicht interpretierbar", so der Bürgermeister von Dettingen unter Teck (Kreis Esslingen) am Tag nach der Abstimmung. Am Sonntag hatten 61,5 Prozent für den Erhalt des Hungerbergs als landwirtschaftliche Fläche gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 74 Prozent hoch.
"Die Idee eines regionalen Vorhaltestandorts in Dettingen ist Geschichte."
Bürgerinitiative Hungerberg hat Bürgerentscheid erzwungen
Hinter dem Bürgerentscheid steht die Bürgerinitiative Hungerberg. Sie hatte ein Bürgerbegehren organisiert und damit den Bürgerentscheid erzwungen - und gewonnen. "Wir haben ein halbes Jahr hart daran gearbeitet. An Freizeit war nicht zu denken", so Michael Hahn, Sprecher der Initiative. Aus seiner Sicht hätte die geplante Ansiedelung nicht nur für eine Verschärfung der ohnehin angespannten Wohnraumsituation geführt, sondern vor allem auch Einschnitte für die Umwelt und den Klimaschutz bedeutet.
Weitere Gründe gegen die Pläne für ein Gewerbe- oder Industriegebiet auf dem Gebiet des Hungerbergs listet die Bürgerinitiative Hungerberg auf ihren Internetseiten auf. Es sind insgesamt 13 Punkte - vom "Verlust von Boden" bis hin zu "massiver Beeinträchtigung durch zusätzlichen Verkehr".
Allianz Flächenschutz fordert Netto-Null beim Flächenverbrauch
Ähnlich argumentiert die Allianz Flächenschutz. Der Zusammenschluss von unter anderem Bürgerinitiativen, Naturschutz- und Bauernverbänden wie Einzelpersonen fordert eine "Netto Null beim Flächenverbrauch in Baden-Württemberg", das heißt, dass nicht mehr Flächen bebaut als renaturiert werden. Böden und Naturräume seien endliche Güter, so die Argumentation. Der Erhalt als Kohlenstoffsenke, also dass dort Treibhausgase wie CO2 zurückgehalten werden, als Schadstofffilter und als Wasserspeicher sei wichtig, um die Klimaerhitzung aufzuhalten und um im Klimawandel leben zu können.
Region Stuttgart: Transformation braucht Vorhalteflächen für strukturellen Wandel
Anders argumentiert der Verband Region Stuttgart (VRS). Für den wirtschaftlichen Transformationsprozess und zum Erhalt der Wirtschaftskraft in der Region brauche es, so der VRS, freie Flächen, die man vergleichsweise zeitnah interessierten Firmen anbieten könne. Nach der Prüfung von insgesamt 19 Standorten war der in Dettingen als am besten befunden worden.
"Die strukturellen Umbrüche, die sich gerade in der Automobilindustrie abzeichnen, erfordern unser aktives Zutun – auch in Form der Bereitstellung der für einen erfolgreichen Wandel benötigten Flächen."
Auch Bürgermeister Rainer Haußmann hatte sich früh für die Planung stark gemacht. Schließlich hätten dort rund 1.000 Arbeitsplätze entstehen können, so Haußmann. "Beschäftigung schafft Kaufkraft. Wohlstand, Infrastruktur, kürzere Wege zwischen Arbeiten und Wohnen durch polyzentrisches Arbeiten in der Region, das wären die offenkundigen Vorteile gewesen neben stabilen Steuereinnahmen gerade im Bereich Industrie und Zukunftstechnologien."
Bürgerentscheide beenden immer wieder jahrelange Planungen
Dettingen unter Teck ist nicht die erste Gemeinde, in der durch einen Bürgerentscheid fortgeschrittene Planungen gekippt wurden. Donzdorf, Uhingen (beide Kreis Göppingen) und auch Weissach (Kreis Böblingen) - Wirtschaftsförderer Walter Rogg kennt sie alle. "Ich glaube, es muss ein neues Denken jetzt stattfinden." Er überlegt - und das sei bislang nur eine persönliche Überlegung - ob bei großen Vorhaben nicht zuerst die Bevölkerung gefragt werden sollte. "Dann kann man eine vernünftige, ehrliche und transparente Kommunikation starten."
"Dann geht es auch nicht so top-down von oben runter, dass der Gemeinderat, der Bürgermeister, Abgeordnete oder die Region sagt: 'So muss es sein!' und von vornherein Widerspruch und Widerwillen entstehen."
In Schwieberdingen (Kreis Ludwigsburg) sei man genau diesen Weg gegangen - und konnte beim dortigen Bürgerentscheid den Weg für eine Porsche-Ansiedelung freimachen. Auch in Dettingen unter Teck gab es Gespräche mit Experten, eine Begehung des Gebiets und eine Podiumsdiskussion, die auch per Livestream übertragen wurde. Allerdings kamen diese aus Sicht der Bügerinitiative viel zu spät.
Neben grundsätzlichen Fragen steht der Verband Region Stuttgart auch vor der Herausforderung, nun andere Flächen zu finden, die kurzfristig der Wirtschaft bereitgestellt werden können. Denn laut dem Geschäftsführer der Wirtschaftsfördung der Region Stuttgart Walter Rogg werden die Reaktivierung von Brachen und die Innenverdichtung den Bedarf an akut benötigten neuen Gewerbeflächen kurzfristig nicht decken können.