Bei Lea zu Hause: Die Neunjährige sitzt mit ihren Eltern sowie Psychologinnen und Ärztinnen zu Hause am Tisch. (Foto: SWR)

Kinder- und Jugendpsychiatrie Esslingen

Warum das Krankenhaus zu Lea nach Hause kommt

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Siri Warrlich
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Philipp Pfäfflin
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Lea hat oft Wutanfälle, kann nur schwer sagen, wie es ihr geht. Hilfe kommt vom Krankenhaus Esslingen. Doch nicht die Neunjährige muss dorthin, sondern die Klinik kommt zu ihr in die Familie.

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Esslingen ist bundesweit Vorreiter mit einer besonderen Behandlungsform. Dabei gehen Kinder nicht in die Klinik, sondern die Klinik kommt zu den Familien nach Hause - täglich, egal, ob unter der Woche, an Sonntagen oder an Weihnachten.

Probleme in der Familie werden oft besser zu Hause als in einer Klinik erkannt

Die neunjährige Lea hat eine Autismusspektrumsstörung. Sie kann sich schlecht ausdrücken, bekommt leicht Wutanfälle. In der Tagesklinik war sie bereits. Doch vielversprechender scheint die sogenannte "StäB". Bei der stationsäquivalenten Behandlung kommt ein Behandlungsteam in die Familie. Der Vorteil zu einer stationären Behandlung: Die Psychologinnen und Psychologen bekommen die Probleme direkt vor Ort mit. Außerdem müssen die Kinder nicht aus ihrem Schulalltag gerissen werden. Wieder andere Kinder und Jugendliche können oder sollten zum Beispiel aufgrund sehr starker Ängste nicht ins Krankenhaus. Auch für sie bietet sich die Behandlungsform an.

Eine Behandlung dauert in der Regel acht Wochen. In dieser Zeit wird die Familie täglich besucht. Dann zieht das Behandlungsteam - zu dem unter anderem Ärztinnen, Psychologinnen und eine Kunsttherapeutin gehören - zum nächsten Termin. Aktuell betreut die Esslinger Kinder- und Jugendpsychiatrie sechs junge Patientinnen und Patienten auf diese Weise. Lea ist eine von ihnen. Mehr als 40 Kinder und Jugendliche stehen für diese Behandlungsform derzeit in Esslingen auf der Warteliste.

Die neunjährige Lea und eine Puppe, die als sogenannter Sorgenfresser ihr helfen soll (Foto: SWR)
Lea und einer ihrer Sorgenfresser. Wenn die Neunjährige etwas bedrückt, dann schreibt sie einen Zettel, den sie dann ihren Sorgenfresser-Püppchen gibt.

Bei ihren Besuchen in der Wohnung von Lea und ihrer Familie sitzen die Psychologinnen und Psychologen mal am Tisch, um mit allen Familienmitgliedern zu reden. Mal liegen sie auch mit Lea auf dem Boden, spielen mit ihr oder machen Übungen. Bei einer Übung lernt Lea zum Beispiel ihren Körper abzuklopfen, damit sie Wutanfälle besser in den Griff bekommt. Oft sind es ganz praktische Hilfsmittel, die Kindern wie Lea helfen. Ein klarer Plan, wann was am Tag gemacht wird beispielsweise oder sogenannte Sorgenfresser, Puppen, denen sie Zettel "zum Fressen gibt", auf die sie das aufschreibt, was sie beschäftigt.

Nicht nur in Esslingen wird die Methode angeboten

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Esslingen unterstützt bei der StäB-Behandlungsmethode auch an anderen Orten. So habe man etwa Teams in Stuttgart und Weinsberg (Kreis Heilbronn) beim Aufbau geholfen. Auch die Kliniken in Tübingen, Offenburg und Freiburg planen laut der Kinder- und Jugendpsychiatrie Esslingen, ein "StäB"-Team aufzubauen. Allerdings sei die Kostenübernahme durch die Kassen "extrem schwierig", so der Esslinger Chefarzt Gunter Joas. Stationsäquivalente Behandlungen bieten sich unter anderem bei Depressionen, dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom ADHS und bei Störung des Sozialverhaltens an.

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