In Weil der Stadt (Kreis Böblingen) sind am Montagmorgen um 9 Uhr Holzfäller angerückt und haben einen Großteil der 142 Bäume auf einer Streuobstwiese gefällt. Dort soll ein Wohngebiet entstehen. Eine Polizeistreife war beobachtend vor Ort, vorsichtshalber, falls ein Eingreifen notwendig würde. Das war aber zu keinem Zeitpunkt nach Aussagen der Stadtverwaltung der Fall. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit, da die Gerichte, die angerufen wurden, knapp hintereinander Entscheidungen getroffen hatten.
Naturschützer: VGH wollte das Fällen der Bäume aufhalten
Laut Stadtverwaltung Weil der Stadt hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart am Freitagnachmittag bestätigt, dass das Fällen der Bäume auf der Streuobstwiese rechtmäßig sei. Daraufhin haben die Naturschutzverbände nach eigenen Angaben Beschwerde gegen den Eil-Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim (VGH) eingereicht. Nach Informationen der Naturschutzverbände hatte der VGH am vergangenen Freitagnachmittag aber niemanden mehr in der Anwaltskanzlei, die die Stadt vertritt, erreicht. So war der Weg frei für die Rodung der Streuobstwiese.
Am Montagmorgen hat die Stadt deshalb begonnen die Obstbäume zu fällen. Um kurz nach 10 Uhr erreichte dann der Beschluss des VGH, die Rodung zu stoppen, die Stadt. Sie stellten die Holzfällaktion ein.
Johannes Enssle, NABU-Landesvorsitzender, zeigte sich entsetzt. Er könne nicht nachvollziehen, wieso diese Streuobstwiese, für deren Schutz sie seit langem kämpfen, so kurzfristig gerodet wurde. Neben der Streuobstwiese, auf der teilweise sehr wertvolle Obstbäume standen, sind auch von der EU geschützte sogenannte FFH-Gebiete (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) betroffen.
Juristische Einschätzung: Hat sich die Stadt richtig verhalten?
SWR-Redakteur Christoph Kehlbach aus der SWR-Rechtsredaktion bewertet das Vorgehen der Stadt in diesem Fall als "komplett unüblich". "Allen Beteiligten muss klar gewesen sein, dass gegen die erste Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts noch die Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof möglich war", so Kehlbach. Dass die Stadt in so kurzer Zeit Fakten schaffen würde, sei für die Beteiligten nicht vorherzusehen gewesen und wirke, als ob die Verantwortlichen der Stadt bewusst einer gerichtlichen Entscheidung zuvorkommen wollten.
"Sollte die zugrundeliegende Frage letztlich inhaltlich im Sinne des NABU entschieden werden, könnte die Stadt wegen dieser Aktion womöglich in Haftung genommen werden", so Kehlbach weiter. Die wenigen restlichen Bäume, die im Moment noch übrig sind, dürften nach dem Beschluss des VGH demnach erst einmal stehen bleiben.
Gemeinderat entscheidet erst am Tag nach der Rodung
Der Gemeinderat wird erst am Dienstag über den Satzungsbeschluss des neuen Baugebiets entscheiden. Zeit für die Rodung hätte die Stadt nach Angaben des Bürgermeisters bis Ende des Jahres gehabt. Er erklärte gegenüber dem SWR, dass aus seiner Sicht diese Fällung seit Jahren hätte passieren sollen. Um diese Streuobstwiese, die am Rande der Kernstadt Richtung Merklingen liegt, wird seit 2017 gerungen.
Weil der Stadt: Fällung ist Voraussetzung für Neubaugebiet
Die Stadtverwaltung weist darauf hin, dass als Ersatz 284 Obsthochstämme gepflanzt würden und abgesehen davon, es nicht die letzte Streuobstwiese auf der Gemarkung Weil der Stadt sei. 168 Hektar seien ja noch da, betonte der Bürgermeister. Die Fällung sei nun mal die Voraussetzung dafür, dass die Stadt ein neues Wohngebiet mit 370 Wohneinheiten für 806 Bewohner schaffen könne. Abgesehen davon liege das Neubaugebiet unweit vom Bahnhof und S-Bahn-Anschluss Weil der Stadt, gut angebunden ans Nahverkehrsnetz.
Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) ist darüber verwundert, wie sie in einem Statement erklärt, dass Weil der Stadt nicht abgewartet hat, bis der VGH entschieden hat. Die Fällungen in dieser Eile umzusetzen, sei unnötig.
Das Land, die kommunalen Landesverbände und die Naturschutzverbände hätten sich Anfang 2023 auf ein transparentes und offenes Verfahren zur Umwandlung von Streuobstwiesen geeinigt.
Streuobstwiesen stehen unter besonderem Schutz
Die untere Naturschutzbehörde, angedockt beim Landratsamt, hatte die Rodung genehmigt. Man habe sich die Prüfung nicht leicht gemacht, betonte Martin Wuttke, stellvertretender Landrat und Dezernat für Umwelt und Klima beim Landratsamt Böblingen. Doch für Landrat Roland Bernhard wiege "das Interesse der Stadt mit Blick auf dringend benötigten Wohnraum hier höher", wie er am Montag in einer Pressemitteilung erklärt hat.