Das umstrittene Milliardenprojekt der Deutschen Bahn "Stuttgart 21" wird noch teurer. Nach aktuellen Annahmen soll es insgesamt rund 9,15 Milliarden Euro kosten. Zuletzt waren 8,2 Milliarden Euro veranschlagt. Darüber habe die Bahn am Freitag auf einer Sondersitzung den Aufsichtsrat informiert, teilte der Konzern am Abend mit. Hinzu komme zusätzlich ein Vorsorgepuffer von 640 Millionen Euro für den Fall, dass das Projekt noch teurer werden soll. Sie könne "weitere Risiken und Prognoseunsicherheiten abdecken", erklärte das Unternehmen. Die Kostensteigerung war vor der Sitzung erwartet worden.
Dem Aufsichtsrat lag laut SWR-Informationen ein entsprechender Prüfbericht des Beratungsunternehmens PwC und der Ingenieur-Gruppe Emch+Berger vor. Darin waren eine entsprechende Steigerung der Gesamtkosten für den neuen Stuttgarter Tiefbahnhof und den Anschluss an die Neubaustrecke nach Ulm genannt.
Weitere Kosten zu befürchten
"Gründe für die aktuelle Entwicklung sind zum einen erhebliche Preissteigerungen bei Baufirmen, Lieferanten und Rohstoffen", teilte die Deutsche Bahn weiter mit. "Zum anderen schlägt der geologisch anspruchsvolle Untergrund im Stadtgebiet negativ zu Buche." Den geplanten Termin für die Inbetriebnahme zum Fahrplanwechsel Ende 2025 bestätige der Prüfbericht.
Eingefordert hatte die Sondersitzung des Aufsichtsrats eigenen Angaben zufolge die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Gewerkschaftschef Klaus-Dieter Hommel betonte im Anschluss, dass nun endlich Klarheit mit Blick auf die aktuelle Kostenlage herrsche. "Wir haben für den Aufsichtsrat sowohl was die Kosten als auch was die zeitliche Schiene anbelangt einen guten Überblick und eine entsprechende Transparenz erhalten", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Es sei nun wichtig, dass die Bahn, der Bund und das Land Baden-Württemberg sich darüber verständigten, wie die Mehrkosten am besten verteilt werden können.
Wer trägt Mehrkosten?
Die Landesregierung wiederum betonte am Abend, die Mehrkosten seien Sache der Bahn und des Bundes: "Das Land, die Stadt Stuttgart, die Region und der Flughafen haben vielfach erklärt, dass keine weiteren Zuwendungen erfolgen werden", teilte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) mit. "Der Kostendeckel gilt." Bahn und Bund müssten klären, wer das Defizit trägt.
Der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer (FDP) hatte jüngst betont, die Verantwortung für die Mehrkosten lägen aus Sicht des Bundesverkehrsministeriums bei der Deutschen Bahn. "Stuttgart 21" sei demnach ein eigenwirtschaftliches Projekt des bundeseigenen Konzerns. Ähnlich hatte sich auch der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) geäußert.
Auswirkungen des Ukraine-Kriegs
Nicht eingepreist seien in den aktuellen Kalkulationen aus Hommels Sicht allerdings die Lage in der Ukraine und die damit verbundenen steigenden Energie- und Baukosten. Weitere Kostensteigerungen im weiteren Verlauf seien deshalb denkbar. "Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir bei den Kosten noch die Zehn-Milliarden-Euro-Marke reißen", betonte er. Der Bau des unterirdischen Durchgangsbahnhofs in Stuttgart und die Verbindung nach Ulm waren über die Jahre immer teurer geworden.
Dass "Stuttgart 21" letztlich einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten könnte, davor hatte bereits der Bundesrechnungshof im Jahr 2016 gewarnt. Nach intensiver Prüfung wurde von zehn Milliarden Euro gesprochen.
Gegner von "Stuttgart 21" warnten früh vor steigenden Kosten
Und auch Gegnerinnen und Gegner des Großbauprojekts hatten bereits im Dezember 2015 Kosten von mehr als neun Milliarden Euro vorhergesagt. Das Beratungs-Büro Vieregg-Rössler legte damals im Auftrag des Aktionsbündnisses gegen "Stuttgart 21" ein neues Gutachten vor. Darin hieß es, dass allein die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs 9,8 Milliarden Euro kosten würde - wegen nicht einkalkulierter Kosten für Grundwassermanagement und Brandschutz. Die Bahn dementierte damals.
Bahn betont Vorteile von "Stuttgart 21"
Die Bahn verwies erneut auf die Vorteile des Projekts. Mit ihm würden die Kapazitäten im Knoten Stuttgart "deutlich erhöht und die Fahrzeit von Stuttgart nach Ulm im Vergleich zu heute halbiert", hieß es. Bereits im Dezember 2022 würden mit der Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm die Fahrzeiten im Fernverkehr in einem ersten Schritt um bis zu 15 Minuten beschleunigt.
1995 lagen Kosten noch bei 2,6 Milliarden Euro
Die Planungen für den Tiefbahnhof sind inzwischen über 25 Jahre alt - und die Kosten seitdem massiv gestiegen. 1995 hatten Bahn, Bund, Stadt und Land einen Rahmenvertrag geschlossen, der Kosten von 2,6 Milliarden Euro vorsah. Zum offiziellen Baubeginn ging die Bahn von 4,5 Milliarden Baukosten aus. Seit 2018 waren es 8,2 Milliarden Euro.