Zur blauen Stunde spiegelt sich das Kernkraftwerk Neckarwestheim im Neckar (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Christoph Schmidt, Collage: SWR)

Antworten zum Streckbetrieb von AKWs

Interview: "Der Strompreis bleibt hoch, ob Atomkraft im Netz ist oder nicht"

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Simone Polier

Wie entwickeln sich die Strompreise? Ist Atomkraft wirklich so günstig wie manche denken? Hängen wir an der Stromversorgung von Frankreich? Werner Eckert von der SWR-Umweltredaktion bringt Licht ins Dunkel.

Die Nachrichten in Sachen Energiekrise überschlagen sich: Am Donnerstag hat die Bundesregierung die Gasumlage gekippt und gleich eine Gaspreisbremse verkündet. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat in dieser Woche bereits verkündet, dass zwei deutsche Atommeiler wahrscheinlich bis April weiterbetrieben werden müssen. Neckarwestheim II (Kreis Heilbronn) und Isar II (Bayern). Aber welche Auswirkungen das auf Strompreis und Stromversorgung hat, ist für Laien kaum mehr zu durchschauen.

Werner Eckert (Foto: SWR)
Werner Eckert, Redaktionsleiter Umwelt und Ernährung

SWR Aktuell: Stimmt es denn, was die FDP behauptet, dass mehr Strom aus Kernkraft auch mehr Strom insgesamt und damit sinkende Preise bedeutet?

Werner Eckert: Es kann so sein, muss aber nicht. Es hängt wesentlich davon ab, wie hoch die Nachfrage nach Strom ist. Wenn die Nachfrage extrem hoch ist, dann nützt uns das vergleichsweise kleine zusätzliche Angebot aus den AKWs praktisch überhaupt nichts. Dann werden weiter Gaskraftwerke im deutschen Netz laufen müssen und dann wird automatisch auch der Strompreis hoch bleiben, ganz unabhängig davon, dass die Atomkraftwerke laufen.

SWR Aktuell: Und warum ist das so?

Eckert: Weil wir im Strommarkt ein System haben, das Merit Order heißt. Das beschreibt, dass sich der Strompreis immer für alle Kraftwerke an dem Preis für die Brennstoffe des teuersten Kraftwerks orientiert, das man gerade noch braucht, um die Nachfrage zu befriedigen. Also erst werden die billigen Kraftwerke in Betrieb genommen und erst ganz am Ende die teuren und das sind momentan die Gaskraftwerke. Wenn dann die Nachfrage sozusagen ohne Gaskraft befriedigt werden könnte, dann würde der Strompreis sinken. Aber das ist extrem unwahrscheinlich, weil derzeit die Nachfrage nach Strom vor allen Dingen durch Frankreich so hoch ist, dass alle unsere Kraftwerke voll laufen. So bleibt der Strompreis hoch, ganz egal, ob Atomkraft im Netz ist oder nicht.

SWR Aktuell: Kann man sagen, dass Strom- und Gaspreis zusammenhängen?

Eckert: Also sie sind nicht gekoppelt, was oft behauptet wird. Derzeit ist es tatsächlich so, dass der Gaspreis sozusagen den Strompreis mitzieht, einfach weil die Gaskraftwerke momentan die teuersten Kraftwerke sind und damit der Strompreis vom Gaspreis abhängig ist. Aber das muss nicht so sein, es gab auch Zeiten, wo das anders war, wenn eben Kohlekraftwerke teurer produzieren, dann hängt der Strompreis faktisch am Kohlepreis.

SWR Aktuell: Sind wir in Deutschland auf Strom aus dem Ausland angewiesen und ist auch das Ausland auf unseren Strom angewiesen?

Eckert: Wir haben einen europäischen Stromverbund und da ist jeder irgendwie auch auf den anderen angewiesen. Wir sind aber seit langer Zeit Netto-Exporteur von Strom, das heißt, wir exportieren sehr viel mehr Strom als wir importieren. Derzeit haben die Franzosen kaum noch die Hälfte ihrer Atomkraftwerke in Betrieb. Deshalb müssen sie alles an Strom kaufen, was sie irgendwoher kriegen können. Das treibt die Preise europaweit enorm in die Höhe und führt auch bei uns zu den aktuellen Strom-Problemen, die zu den Gas-Problemen eben dazukommen. Frankreich hat sehr viele Stromheizungen und wenn die Atomkraftwerke nicht laufen, bleiben dort aus Strommangel die Häuser kalt. Wir haben schon in den vergangenen Jahren immer im Winter sehr viel Windstrom nach Frankreich geschoben, weil sonst dort die Stromlieferung zusammengebrochen wäre. Wir werden in großem Umfang weiter Strom ins Ausland liefern, auch wenn es sein kann, dass wir in Südwestdeutschland stundenweise ein Versorgungsproblem haben werden. Strom von Erneuerbaren ist eben nicht kontinuierlich. Es gibt Stunden, wo es sehr viel gibt, und es gibt Stunden, wo es sehr wenig gibt. Deswegen reicht es nicht nur einfach die Gesamtmengen zu betrachten: Nachfrage und Angebot müssen auch regional ausgeglichen sein, weil sonst das Stromnetz in Probleme kommt.

SWR Aktuell: Was spricht denn für den geplanten Streckbetrieb oder für den von der FDP sogar geforderten Weiterbetrieb von AKWs?

Eckert: Für den Streckbetrieb spricht, dass man einfach politisch weniger angreifbar ist, wenn man diese Atomkraftwerke im Winter noch sozusagen die letzten Brennstäbe auslutschen lässt. Es gibt ja einen Stresstest, bei dem überlegt wurde, was das bringen kann. Dieser Stresstest hat gezeigt, dass der Beitrag von einem auslaufenden Atomkraftwerksbetrieb wenig, aber im Zweifel ein bisschen was bringt. Da geht es nicht nur um die Stromproduktion, sondern vor allen Dingen um die Stromverteilung. Wir haben in Deutschland das Problem, dass wir im Norden und Osten im Winter Stromüberschüsse durch viel Windstrom haben. Im Süden und Westen haben wir eher ein Problem, das sich verschärfen würde, wenn die beiden Atomkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg eben auch vom Netz gehen. Und da wir nicht genügend Leitungskapazität haben, der Leitungsausbau kommt ja nur sehr zögerlich voran, muss man das irgendwie ausgleichen. Da können diese beiden Kraftwerke einen kleinen Beitrag leisten.

SWR Aktuell: Ist die Forderung von drei norddeutschen Bundesländern, dass die süddeutschen Länder mehr für ihren Strom bezahlen sollen, Ihrer Ansicht nach eine gerechte Forderung?

Eckert: Wir haben tatsächlich zwei unterschiedliche Gebiete in Deutschland: Der Norden versorgt den Süden vor allen Dingen mit Windstrom mit und deswegen ist zumindest verständlich, warum Länder im Norden und Osten Deutschlands sagen: "Wir wollen nicht dafür bluten, dass im Süden und Westen eine Energiewende-Verhinderungspolitik gemacht wird." Denn der Süden und der Westen bauen wenig Windkraft auf und wehren sich gegen Stromtrassen.

SWR Aktuell: Dann nochmal zu den Sicherheitsbedenken, die AKW-Gegnerinnen und -Gegner vorbringen. Ist es wirklich gefährlich, die beiden AKWs Neckarwestheim II und Isar II kurzfristig weiterlaufen zu lassen oder übertreiben die da?

Eckert: Durch den Auslaufbetrieb, der jetzt hochwahrscheinlich kommt, erhöht sich die Gefahr nicht. Sowohl, was die Ventile betrifft in Isar 2, wo man ja jetzt auch einen Tausch vornehmen wird. Als auch bei der Frage der Risse, die immer wieder bei Neckarwestheim moniert werden. Hier wird sich die Situation in einer relativ kurzen Zeit unter nicht Voll-Lastbetrieb nicht verschärfen, davon ist nicht auszugehen. Anders ist das natürlich, wenn es um die Frage geht, ob neue Brennstäbe beschafft werden, die Laufzeit offiziell und deutlich verlängert wird, denn dann muss man die kompletten aufgeschobenen Sicherheitsüberprüfungen alle nachholen, die man wegen des Atomausstiegs nicht mehr für nötig hielt. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dabei teure und schwierige Reparaturen anfallen werden.

SWR Aktuell: Aber wäre eine Laufzeitverlängerung grundsätzlich sinnvoll?

Eckert: Tatsächlich wäre eine Laufzeitverlängerung für die Energiewende eher problematisch, weil das den Ausbau der Erneuerbaren zunächst mal bremsen würde. Atomkraftwerke werden ohnehin nie die Lösung des Problems sein können. Das gilt sowohl in Deutschland als auch weltweit. Übrigens haben wir einen weltweiten Anteil von Atomstrom von etwa zehn Prozent und der Anteil sinkt tendenziell. Es werden außerhalb Chinas wenig neue Atomkraftwerke gebaut. Und wenn sie gebaut werden, sind sie extrem teuer. Großbritannien und Frankreich haben Neubauten vor vielen Jahren oder jetzt gerade beschlossen, bei denen jeweils die Baukosten ein Vielfaches der ursprünglich geplanten Kosten betragen und die Bauzeit sehr viel länger ist als ursprünglich angedacht. Das heißt, wenn man zur Lösung des Klimaproblems auf Atomkraft setzen wollte, dann hat sich das Klima unwiederbringlich gewandelt, bevor man überhaupt in die Nähe einer Stromabdeckung käme.

SWR Aktuell: Das stimmt also nicht, dass Atomstrom billig wäre?

Eckert: Nein, Atomstrom ist, und das kann man am Beispiel in Großbritannien sehen, mit die teuerste Art Strom zu erzeugen. Ein Neubau eines Atomkraftwerks ist so aufwändig und teuer, dass der Strom zum Beispiel in Hinkley Point doppelt bis dreifach vergütet wird, wie Offshore-Windstrom vergütet wird.

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