Ein Pfleger legt in einem Krankenzimmer im Klinikum Stuttgart bei einem Patienten ein Messgerät an. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod)

Sprachrohr für Berufsstand

BW-Gesundheitsminister will verpflichtende Mitgliedschaft in Pflegekammer einführen

Stand

Eine verpflichtende Kammermitgliedschaft für rund 110.000 Pflegekräfte in Baden-Württemberg - so sieht das ein Gesetzentwurf von Sozialminister Lucha (Grüne) vor. Daran gibt es Kritik.

Video herunterladen (71,5 MB | MP4)

Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, wonach alle rund 110.000 Pflegerinnen und Pfleger im Land in der neuen Kammer Mitglied werden sollen. Es handelt sich um eine verpflichtende Mitgliedschaft. Sie soll die Interessen der Pflegekräfte vertreten.

Der baden-württembergische Landtag hat nun am Donnerstagnachmittag über die Einrichtung dieser Pflegekammer debattiert. Diese stößt sowohl in der Opposition im Landtag als auch unter Pflegekräften auf Kritik. Nach dem Willen des Gesundheitsministers soll die geplante Kammer ein Sprachrohr der Beschäftigten werden - doch viele wehren sich gegen eine verpflichtende Mitgliedschaft.

Auch Thema im Landtag am Donnerstag:

Baden-Württemberg

Einnahmen von 30 Millionen Euro BW will Gebühren für Studierende aus Nicht-EU-Staaten abschaffen

Die Fraktionen von Grünen und CDU begründen die geplante Abschaffung der Studiengebühren für Ausländer mit Fachkräftemangel. Die Opposition zeigt sich überrascht.

SWR Aktuell Baden-Württemberg SWR Fernsehen BW

Lucha: Pflegekammer schafft Gleichbehandlung

Für Sozialminister Lucha gibt es keine Alternative: Nur eine Pflegekammer schaffe eine Gleichbehandlung mit anderen Heilberufen. Ähnlich wie die Ärztekammer soll sie die Interessen ihrer Mitglieder vertreten.

Gesundheitsminister Lucha verteidigte die Vertretung gegen die Kritik von Pflegenden, Opposition und Gewerkschaft. Es werde Zeit, dass die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen über ihren eigenen Berufsstand mitentscheide und in Gremien mit am Tisch sitze, sagte er am Donnerstag im Landtag bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs. Bislang empfange sie nur die Regeln, die andere machten. Die Pflegekammer werte den Pflegeberuf auf und helfe dabei, den Bedarf an Fachkräften zu sichern.

"Aus meiner Sicht ist nur eine Kammer geeignet, eine wirksam in Selbstverwaltung organisierte Vertretung der Pflegefachberufe zu schaffen."

Pflichtbeitrag von 60 bis 100 Euro pro Jahr

Der geplante Pflichtbeitrag soll zwischen 60 und 100 Euro pro Jahr liegen. Das ist vielen Pflegekräften zu viel. Die SPD im Landtag kritisiert, dass das geplante Gesetz die Beschäftigten in der Pflege spalte. Minister Lucha treibe die Polarisierung auf die Spitze und wolle das Gesetz mit der Brechstange durchsetzen. Auch FDP und AfD sprechen sich gegen die sogenannten Zwangsgebühren aus. Die Regierung weist darauf hin: Wer Hilfskraft, Azubi oder im Ruhestand ist, soll freiwillig Mitglied werden können.

Pfleger bislang schlecht organisiert

Das Land verfolgt den Plan für eine Pflegekammer bereits seit 2016. Eine Enquête-Kommission des Landtags hatte dies empfohlen, um die Pflege zu stärken. Die Pflegekräfte sollten auf Augenhöhe mit anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen wie Ärzten und Apothekern gestellt werden. Bislang waren sie in Berufsverbänden und Gewerkschaften eher schlecht organisiert. An einer Befragung zur Einrichtung einer Pflegekammer hatten 2018 knapp 2.700 Pflegekräfte und Auszubildende teilgenommen. Damals waren zwar 68 Prozent für die Kammer, es hatte aber nur ein Bruchteil der 110.000 Kranken- und Altenpflegekräfte im Land teilgenommen. Erste Pläne Luchas hatte die Pandemie gebremst. Zweifel an einer Zustimmung des Landtags zur Pflegekammer gibt es nicht.

Gewerkschaften üben Kritik

Kritik kommt auch von Gewerkschaften, die eine zusätzliche Interessenvertretung für überflüssig halten. Sozialminister Lucha betont: Nur wenn sich 60 Prozent der Pflegekräfte in der Gründungsphase freiwillig anmelden, komme die Pflegekammer zustande.

Pflegekammer gibt es derzeit in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen. Auch die Gewerkschaft ver.di ist weiter strikt gegen die Pläne für eine Pflegekammer. "Kammern sind Institutionen für freie Berufe. Pflegefachpersonen sind aber zu 95 Prozent abhängig beschäftigt. Sie haben Arbeitgeber, darunter auch Pflegedirektionen, die ihnen genau vorschreiben können, wie sie zu arbeiten haben", sagte Irene Gölz von ver.di. Eine zusätzliche Institution, die ihnen weitere Vorschriften mache und möglicherweise Sanktionen auferlege, bräuchten sie nicht.

Pflegekammereinführung bis Ende 2024 geplant

Ein Gründungsausschuss soll ab Mai die Pflegekammer bis Ende 2024 erschaffen. Dieser Ausschuss soll die Arbeit dann an eine Vertreterversammlung abgeben, welche von den Mitgliedern gewählt wird. Die Kammer soll für den Pflegeberuf selbst Standards setzen, über nötige Weiterbildung für ihre Mitglieder entscheiden und im politischen Ringen zentrales Sprachrohr der Pflegenden sein. Dem Gründungsausschuss müssen von den Arbeitgebern alle potenziellen Pflichtmitglieder gemeldet werden.

Mehr zur Diskussion um eine Pflegekammer in BW

Baden-Württemberg

Kaum Mitspracherechte Immer noch keine Landespflegekammer in BW - Pflegekräfte sind zu schwach organisiert

Über die Pflege wird viel gesprochen - viel mitsprechen darf sie jedoch nicht. Noch immer bestimmen fachfremde Personen, wie gute Pflege im Land auszusehen hat. Woran liegt das?

SWR Aktuell Baden-Württemberg SWR Fernsehen BW

Baden-Württemberg

Mehr Mitspracherecht BW-Landesregierung will Berufskammer für Pflegekräfte

Nur in zwei Bundesländern gibt es eine Pflegekammer. Die Landesregierung will genau damit die Pflegekräfte in Baden-Württemberg stärken. Doch es gibt auch Kritik an dem Konzept.

SWR4 BW am Nachmittag SWR4 Baden-Württemberg

Mehr zur Pflege in BW

Baden-Württemberg

Prämie für Pflegekräfte Corona-Pflegebonus: Viele Beschäftigte in BW gehen leer aus

Mit dem Pflegebonus will der Bund die Arbeit in Kliniken und Altenheimen unter Corona-Belastung würdigen. Viele Häuser und Beschäftigte bekommen davon allerdings nichts.

Baden-Württemberg

Krise als Normalzustand Pflegenotstand in BW: Experten warnen vor Versorgungsengpässen und Systemkollaps

Pflegekräfte sind chronisch überlastet, überall fehlt Personal. Die Politik reagiert - doch nicht immer zielgerichtet. Gibt es zu viele Krankenhäuser in Baden-Württemberg?

SWR Aktuell Baden-Württemberg SWR Fernsehen BW

Stand
AUTOR/IN
SWR