Maßregelvollzug Weinsberg (Foto: SWR, Simon Bendel)

Debatte über Sicherheit in Psychiatrien

Nach Flucht aus Weinsberger Klinik: SPD fordert landesweiten Sicherheitscheck

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Nach der Flucht von vier Männern aus einer geschlossenen Psychiatrie wird über das Thema Sicherheit debattiert. Die SPD fordert eine Überprüfung der Sicherheitsstandards an den Anstalten.

Nach dem Ausbruch von vier Männern aus dem geschlossenen Teil einer Psychiatrie vor knapp zwei Wochen verlangt die SPD-Fraktion, die landesweit fünf Maßregelvollzugsanstalten zu überprüfen. "Die vier Ausbrecher haben ihre Flucht mutmaßlich mit einem Mobiltelefon geplant und das Gebäude über ein nicht vergittertes Flurfenster verlassen", sagte Strafvollzugsexperte Jonas Weber in Stuttgart. Besorgniserregend sei, dass Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) keinen Überblick über die Sicherheitsdefizite der Einrichtungen habe. "Daher ist eine landesweite Untersuchung nötig, um Sicherheitsrisiken in allen fünf Standorten auszuschließen und weitere Bedrohungslagen für die Bevölkerung zu vermeiden", sagte Weber.

Vier Insassen fliehen aus Fenster der Psychiatrie

Die vier Männer waren in einem unbeobachteten Moment am Mittwochabend der vorvergangenen Woche aus dem Klinikum am Weissenhof in Weinsberg (Kreis Heilbronn) geflohen. Einer von ihnen wurde einen Tag später festgenommen. Die anderen drei - 24, 28 und 36 Jahre alt - sind noch auf der Flucht. Die Polizei sucht mit Hochdruck nach ihnen.

Der Weinsberg-Ausbrecher Benjamin N. wurde am Donnerstag, den 23. September 2021, festgenommen. (Foto: Polizeipräsidium Heilbronn)
Benjamin N. war der erste der vier Weinsberg-Ausbrecher, den die Polizei fassen konnte. Am Mittwoch, den 22. September 2021, war er mit drei weiteren Männern geflohen. Am Tag darauf wurde der 37-Jährige nach konkreten Hinweisen auf seinen Aufenthaltsort festgenommen. Bild in Detailansicht öffnen
Mekail A. wurde am Mittwoch, den 13. Oktober 2021, in der spanischen Metropole Barcelona festgenommen. Der 28-Jährige ging der Polizei nicht allein ins Netz. Bild in Detailansicht öffnen
Die Flucht des 36-jährigen Cristian D. endete am gleichen Tag in Barcelona. Auch er wurde am 13. Oktober 2021 gefasst. Bild in Detailansicht öffnen
Yousef C. wurde als letzter der Weinsberg-Ausbrecher gefasst. Wie die Polizei mitteilte, wurde er am Samstag, den 30. Oktober 2021, im französischen Mulhouse festgenommen. Bild in Detailansicht öffnen

Zur Flucht nutzten die Männer einen schweren Beistelltisch mit Metallplatte. Damit drückten sie die Panzerglasscheibe des Flurfensters nach außen aus dem Rahmen. Danach seilten sie sich an aneinander geknoteten Leintüchern ab. Videoaufzeichnungen belegen, dass sich das innerhalb von weniger als 30 Sekunden abgespielt hat. Bei den Männern stand der Abbruch der Therapie bevor. Dies bedeutet, dass sie ins Gefängnis zurückgeschickt worden wären.

"Hier ist eine Nachjustierung unbedingt nötigt."

Maßregelvollzug Weinsberg (Foto: SWR, Simon Bendel)
Der Maßregelvollzug Weinsberg (Kreis Heilbronn).

Ministerium weist SPD-Kritik zurück

Ein Sprecher Luchas wies die Behauptungen der SPD als haltlos zurück: "Der Schutz der Bevölkerung, aber auch des Personals in den Einrichtungen des Maßregelvollzugs, hat für das Land höchste Priorität." Gesichert werde der Maßregelvollzug durch bauliche und technische Mittel, zum Beispiel durch Panzerglas, elektronisch geregelte Schleusen, Alarmgeber und hohe Zäune um die Außenanlagen.

Im Sozialministerium gebe es regelmäßige Dienstbesprechungen mit den Leitungen des Maßregelvollzugs, in denen alle Fragen rund um die Sicherheit regelmäßig besprochen würden. Sicherheitsbeauftragte der Einrichtungen kontrollierten und verbesserten diese Sicherungen ständig. "Hierbei besteht häufig ein enger fachlicher Austausch mit dem Justizvollzug und der Polizei", sagte der Ministeriumssprecher.

War Psychiatrie in Weinsberg überbelegt?

In Weinsberg hat es laut Ministerium seit 2005 keinen Ausbruch mehr aus dem gesicherten Bereich gegeben. Seit 2017 seien die Plätze des Maßregelvollzugs in den Zentren für Psychiatrie (ZfP) um rund 20 Prozent erhöht worden, von 1.049 auf 1.273 Plätze. Es dürfe nicht sein, dass etwa 20 Prozent mehr Patienten im Maßregelvollzug mit derselben Personalstärke und mit derselben Technik wie vor der Überbelegung bewacht würden, sagte SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl. Außerdem müsse man sich mehr auf die Therapieabbrecher konzentrieren. "Hier ist eine Nachjustierung unbedingt nötigt. Das ist eine der Lehren von Weinsberg. Alle vier Ausbrecher standen vor dem Abbruch der Therapie und damit vor einer unmittelbaren Überstellung in den Strafvollzug."

In den Maßregelvollzug kommen psychisch kranke und suchtkranke Menschen. Bei den Suchtkranken wird nach Auskunft des Sozialministeriums seit Jahren eine Veränderung der Patientenklientel beobachtet. Den Einrichtungen werden, so klagen Praktiker aus der Forensik, in nicht unerheblichem Umfang Patienten zugewiesen, bei denen keine eindeutige Abhängigkeitserkrankung vorliegt, sondern eher ein missbräuchlicher Drogenkonsum als Teil des delinquenten Lebenswandels. An einer Reform des Paragrafen 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) werde gearbeitet. Die Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe stehe kurz vor dem Abschluss.

Unterdessen gab es am Montag einen weiteren Ausbruch aus der forensischen Klinik im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis). Der 42-Jährige wurde am selben Tag noch gefasst.

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SWR