Alte Menschen sitzen nebeneinander, das Foto zeigt die Hände, die auf Gehstöcken ruhen, ganz vorn die Hände einer Frau mit lange, sehr gepflegten Nägeln (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/ Oliver Berg/ dpa/ Oliver Berg)

Folgen der Digitalisierung

Senioren in der Corona-Pandemie: Wer offline ist, hat verloren

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Senada Sokollu

Apps, QR-Codes, Online-Termine - die neue Welt der Pandemie macht Senioren zu schaffen. Sie fühlen sich ausgegrenzt. Nur wenige sind digital genug, um im Alltag mitzuhalten.

Kein Internet, kein Smartphone - soziale Isolation? Dies trifft für viele Seniorinnen und Senioren in Baden-Württemberg zu. "Ich fühle mich sehr ausgeschlossen aus der Gesellschaft", beklagt eine 83-jährige Seniorin. Dies sei schon vor der Pandemie so gewesen, aber jetzt durch die schnell voranschreitende Digitalisierung sei es noch extremer, sagt sie dem SWR. Die Stuttgarterin möchte anonym bleiben. Sie ist auf sich alleine gestellt. Ihr Ehemann und ihr Lebenspartner sind bereits verstorben. Kinder hat sie keine.

"Alleine schaffe ich das nicht. Man braucht jemanden, der einem mit dem Internet und der ganzen Technik hilft", sagt sie. Sie bereue es, dass sie sich in den letzten Jahren nicht dahintergeklemmt habe, als sie noch fitter war. Sie habe Freunde in der Nähe gehabt, die sich gut mit der Technik auskannten, erzählt sie. "Die sind aber leider verstorben. Das Internet wäre eine Bereicherung gewesen. Aber jetzt ist es auch schon zu spät um es zu lernen", so die Seniorin. Früher sei es einfacher gewesen. "Jetzt brauche ich für einen Restaurantbesuch eine Online-Registrierung. Ich weiß nicht wie das geht. Deswegen gehe ich nirgendwo hin."

Ein Apotheker hält einen gelben Impfausweis und ein Handy in der Hand, das ein Impfzertifikat als QR-Code anzeigt. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Sven Hoppe)

"Das Telefon ist so wichtig für uns"

Eine weitere Seniorin erzählt anonym, dass sie kein Internet zu Hause habe und auch kein Smartphone. "Wenn ich ins Schwimmbad möchte oder ins Restaurant, muss ich mich online registrieren. Das macht dann meine Tochter für mich. Ohne sie wäre ich aufgeschmissen", so die 69-Jährige. Den Impfnachweis zeige sie immer in Form einer Scheckkarte, die in der Apotheke kostenpflichtig erhältlich ist. Diese kann eine Alternative zu den digitalen Impfnachweisen in Form von Apps sein. Eine Technik, die Senioren meist nicht besitzen.

Eine andere Möglichkeit ist das digitale Impfzertifikat in Papierform: Denn der enthaltene ausgedruckte QR-Code gilt ebenfalls als vollwertiger und fälschungssicherer Impfnachweis. Dieses Zertifikat, das man entweder direkt nach der Impfung oder in der Apotheke erhält, ist daher eine gute und kostengünstigere Alternative.

Die ganze Online-Technologie sei für ältere Menschen eine Katastrophe, sagt der Ehemann der 69-jährigen Seniorin. Der 68-Jährige habe zwar ein Smartphone, sei jedoch "nicht so clever", dass er was damit anstellen könne. "Es wäre wichtig, wenn wir Senioren immer noch die Möglichkeit hätten, bei den Impfstationen beispielsweise anzurufen. Das Telefon ist so wichtig für uns", sagt er.

Wachsender digitaler Druck

Alle drei Seniorinnen und Senioren haben eine Sache gemeinsam: Sie sind Mitglied im Senior Freizeitclub Stuttgart. Acht bis zwölf Mal pro Monat trifft man sich und unternimmt etwas. "Wir sind eine sehr wichtige Anlaufstelle für ältere Menschen. Vor allem jetzt während der Pandemie", sagt Christa Kracht, Regionalleiterin des Freizeitclubs. Das Schlimmste an der Pandemie sei der "digitale Druck", sagt sie. "Allein für das Bürgerbüro muss man online einen Termin ausmachen. Das ist eine Zumutung. Die älteren Menschen sind da wirklich hilflos. Wir haben auch schon Crashkurse für das Internet angeboten. Aber da geht es auch nicht in die Tiefe", erzählt sie.

Ein Drittel der rund 100 Mitglieder habe kein Smartphone und kein Internet, sagt Kracht. Das Durchschnittsalter liege bei 70 Plus. "Der Freizeitclub hilft wo er kann. Wir versuchen die fehlenden Technik-Kenntnisse ein bisschen abzupuffern aber wir sind nicht in der Lage das im Großen zu leisten", sagt sie. Laut einer Umfrage des deutschen Digitalverbands Bitkom aus dem Jahr 2020 haben lediglich 23 Prozent der über 80-Jährigen in den letzten drei Monaten das Internet genutzt. 49 Prozent gaben an, keine technischen Möglichkeiten zu haben, um ins Internet zu gehen.

Grundrecht auf digitale Teilhabe

Hier erkennt auch Eckart Hammer das Problem. "Je älter, desto schwieriger sind die Zugänge zur digitalen Welt", so der Vorsitzende des Landesseniorenrates Baden-Württemberg. Drei Viertel der über 80-Jährigen seien Offliner ohne digitalen Zugang, sagt er. "Die Älteren sind von der digitalen Welt ausgeschlossen und damit auch von der Teilhabe in der Gesellschaft. Wenn digitale Termine vergeben werden für Schwimmbäder oder andere Einrichtungen, dann hat einfach ein Teil der Menschheit keine Chance." Hammer verweist auch auf die Situation in den Pflegeheimen. "Die waren beim letzten Lockdown ganz zu. Dort gab es keinen Internetzugang. Dann ist das einfach totale soziale Isolation", erklärt der Professor.

Hammer sei ein großer Vertreter der Digitalisierung von Älteren. Er halte dazu Vorträge und er sage immer: "Je älter wir werden, desto wichtiger wird das Internet als Fenster zur Welt." Die Politik sei hier gefragt. "Wir brauchen ein Grundrecht auf digitale Teilhabe. Das heißt, dass Menschen, die ein geringes Einkommen haben, trotzdem einen Internetzugang und Zugang zu Geräten bekommen. Sodass jeder Mensch, unabhängig von seiner Bildung und seinem Einkommen, Zugang hat zu einem digitalen Medium", betont Hammer.

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