Russland hat nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine erstmals offen mit einem Gas-Lieferstopp durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 gedroht. "Wir haben das volle Recht, eine 'spiegelgerechte' Entscheidung zu treffen und ein Embargo zu erlassen auf die Durchleitung des Gases durch die Pipeline Nord Stream 1, die heute maximal mit 100 Prozent ausgelastet ist". Das sagte der russische Vize-Regierungschef Alexander Nowak in einer am späten Montagabend ausgestrahlten Rede im Staatsfernsehen.
Er äußerte sich mit Blick auf die gestoppte Leitung Nord Stream 2, deren Inbetriebnahme Russland anstrebt. "Aber noch treffen wir diese Entscheidung nicht. Niemand gewinnt dabei", sagte Nowak. Russland sehe sich inzwischen durch die europäischen Politiker und ihre Anschuldigungen in diese Richtung gestoßen. Die Bundesregierung hatte die umstrittene Pipeline gestoppt, nachdem Russland am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert war. Russland verfolge die Äußerungen westlicher Politiker, die sich von russischem Gas und Öl lösen wollten, meinte Nowak. Die EU-Politiker würden durch ihre Handlungen die Energiepreise inzwischen überhitzen.
Neue Absatzmärkte für Russland
Russland gilt als größter Öllieferant in Europa - mit 30 Prozent des jährlichen Verbrauchs von 500 Millionen Tonnen. "Es ist völlig offensichtlich, dass der Verzicht auf russisches Öl zu katastrophalen Folgen auf dem Weltmarkt führt", betonte Nowak. Er sagte Preise von rund 300 US-Dollar je Barrel Öl voraus. Momentan liegt der Preis bei rund 125 US-Dollar.
"Die europäischen Politiker sollten ihre Bürger und Verbraucher ehrlich davor warnen, dass die Preise dann fürs Tanken, für Strom und für das Heizen in die Höhe schießen." Die Rohstoffmacht sei vorbereitet und werde andere Absatzmärkte als Europa und die USA finden, sagte Nowak. "Europa verbraucht heute 500 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr, 40 Prozent davon sichert Russland", erklärte der Politiker.
Keine "Denkverbote" bei der Versorgungssicherheit
Winfried Kretschmann (Grüne) hat bereits vorher angesichts der drohenden Energiekrise eine Verlängerung der Laufzeiten für Kohle- und Atomkraftwerke nicht ausgeschlossen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe zurecht gesagt, die Versorgungssicherheit müsse gewährleistet sein und es dürfe keine Denkverbote geben. "Das sehe ich auch so", sagte Kretschmann der "Süddeutschen Zeitung" am Dienstag. "Wir müssen jetzt kurzfristig Lösungen finden - und mittelfristig führt kein Weg daran vorbei, dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter forcieren, um uns unabhängig von fossilen Brennstoffen zu machen.
In Baden-Württemberg ist das AKW Neckarwestheim nach bisheriger Planung noch bis Ende dieses Jahres in Betrieb. Zu einer möglichen längeren Laufzeit des Meilers, den der Energiekonzern EnBW betreibt, sagte Kretschmann: "Wie bisher auch mische ich mich nicht ins operative Geschäft der EnBW ein." Eine solche Verlängerung der Laufzeiten sei eine Entscheidung der Bundesregierung. Es handele sich dabei um sehr komplexe Fragen. "Klar ist - erst recht nach den potenziell sehr gefährlichen Angriffen auf Nuklearanlagen - dass es grundsätzlich beim Ausstieg aus der Atomkraft bleibt und eben dem Wechsel auf Erneuerbare."
Deutschland steht vor "schwierigem Winter"
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine erklärt, längere Laufzeiten von Kohle- oder Atomkraftwerken seien ungeeignet, um Versorgungsengpässe durch eine etwaige Kürzung russischer Lieferungen auszugleichen. Gleichwohl prüfe sein Ministerium aber eine mögliche Verlängerung. "Es gibt keine Denktabus."
Wenig später hatte er erklärt, Deutschland stehe im Falle eines Abreißens der Kohle- oder Gaslieferketten aus Russland vor einem schwierigen Winter. Ein längerer Betrieb der Atommeiler helfe hier absehbar nicht. Mit Blick auf Kohlekraft sagte Habeck, es sei für den Fall der Fälle eine Möglichkeit, "Kraftwerke in der Reserve zu halten".