Die grün-schwarze Landesregierung hat am Dienstag auf einer Pressekonferenz gemeinsam mit Vertretern der Universitätskliniken in Ulm und Heidelberg erste Ergebnisse einer Studie zur Corona-Infektionsgefahr von Kindern vorgestellt (Hier der vorläufige Studienbericht im Original). Diese wurde mit Spannung erwartet, weil die politische Entscheidung, Kitas und Grundschulen Ende Juni vollständig wieder zu öffnen, längst gefallen ist.
Kinder sind bei Corona - anders als bei anderen Infektionskrankheiten - keine Infektionstreiber, erklärte Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Ulm. Sie hätten sich seltener angesteckt als ihre Eltern, was auch den im Mai bekannt gegebenen Zwischenstand bestätige. Debatin präsentierte die Studie zusammen mit Hans-Georg Kräusslich, Abteilungsleiter für Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg.
Zusammenarbeit der Universitätskliniken in Baden-Württemberg
Die Landesregierung hatte die Studie vor acht Wochen in Auftrag gegeben, bei der die Universitätskliniken Ulm, Freiburg, Heidelberg und Tübingen zusammenarbeiteten. Sie hatten vom 22. April bis zum 15. Mai etwa 5.000 Menschen untersucht, die keine Symptome hatten. Darunter waren rund 2.500 Kinder unter zehn Jahren und je ein Elternteil. Die Wissenschaftler lobten ausdrücklich die "unglaubliche Resonanz aus der Bevölkerung", als es darum ging Freiwillige für die Untersuchungen zu finden. Die Erhebung sei eine der größten weltweit, die sich mit dem Infektionsgeschehen bei Kindern befasst, sagte Debatin.
Alle Teilnehmer wurden auf eine aktuelle, unerkannte Infektion getestet. Zudem nahmen die Wissenschaftler den Freiwilligen Blut ab, um Antikörper zu finden, die auf eine länger zurückliegende, bereits überstandene Ansteckung mit dem Coronavirus hindeuten könnte. Bei den Tests auf eine aktuelle Corona-Infektion konnte das Virus lediglich bei einem Eltern-Kind-Paar nachgewiesen werden. Debatin sprach von einem "überraschenden Ergebnis". Bei den Antikörpertests konnten bei 64 Studien-Teilnehmern Antikörper nachgewiesen werden (1,3 Prozent), davon bei 19 Kindern und 45 Eltern. Kinder zwischen eins und fünf Jahren waren mit sieben Fällen (von 1.122) noch seltener positiv als Kinder zwischen sechs und zehn Jahren (zwölf Fälle von 1.358).
Auswertungen bei Tests auf Corona-Antikörper nicht abgeschlossen
Kräusslich wies aber darauf hin, dass bei einer geringen einstelligen Zahl noch kein abschließendes Ergebnis vorliege. Die Auswertung dieser Proben würde die Grundaussage der Studie allerdings nicht wesentlich verändern, so Kräusslich. Die endgütlige Fassung wird in zwei bis drei Wochen erwartet. "Als wichtigste Ergebnisse zeigt die vorläufige Auswertung der Studie, dass in den untersuchten Familien nur eine geringe Zahl von Infektionen stattgefunden hat und Kinder scheinbar nicht nur seltener an Covid-19 erkranken, (...) sondern auch seltener infiziert werden", sagte Kräusslich.
Ein Grund könnte sein, dass Kinder weniger Rezeptoren haben, an die das Virus andocken könne und ihr Immunsystem im Nasen-Rachen-Raum stärker sei, sagte Debatin. Es sei auffällig, dass Kinder keine überschießenden Entzündungsreaktion wie Erwachsene mit schweren Krankheitsverläufen entwickeln. "Womöglich können wir von Kindern etwas lernen, das bei der Behandlung helfen kann", so der Ulmer Experte.
Die Studie habe des Weiteren keine Hinweise auf eine häufigere Infektion bei Kindern, die eine Notbetreuung besucht haben, gegeben, sagte sein Kollege Kräusslich. Ob Kinder besonders infektiös sind, habe man dagegen nicht untersucht. Man könne bei den positiv getesteten Eltern-Kind-Paaren keine grundsätzliche Aussage treffen, wer wen angesteckt hat, so Kräusslich weiter.
Kretschmann sieht politische Entscheidungen bestätigt
Die Rolle von Kindern bei der Verbreitung des Virus spielt eine entscheidende Rolle bei der Wiedereröffnung von Kitas und Grundschulen im Land: Ab dem 29. Juni können Grundschulen und Kitas zum Regelbetrieb zurückkehren, wie Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU)ankündigte. Man stütze mit der Studie politische Entscheidungen auf die aktuellste wissenschaftliche Expertise, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Die derzeitige Situation sei für viele Kinder und Eltern sehr belastend, so der Ministerpräsident. "Die gewonnenen Erkenntnisse werden uns helfen, uns intensiv auf das neue Schul- und Kindergartenjahr ab September vorzubereiten."
Die baden-württembergischen Unikliniken hätten einen wertvollen Baustein für die weltweite Forschung und den weiteren Erkenntnisgewinn geliefert, lobte auch Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne).