Nach der Einigung über die Rückgabe von geraubten Objekten an Nigeria wird in Stuttgart über weitere kunstvolle Gegenstände aus dem heutigen Kamerun diskutiert. Die Künstlerin und Aktivistin Sylvie Njobati hat nach Angaben des Linden-Museums einen offiziellen Antrag auf Rückgabe mehrerer Stücke aus Kamerun überreicht. Die Gegenstände sollen dem Volk der Nso im Nordwesten Kameruns zugeschrieben werden. Der Antrag liege dem Wissenschaftsministerium vor, sagte die Direktorin des staatlichen Museums für Völkerkunde, Ines de Castro.
Gegenstände sind spirituell und traditionell bedeutend für Njobati
Rund 45 Objekte aus der Region habe das Linden-Museum, auch Museum für Völkerkunde genannt, in seinem Bestand, so das Ministerium. Darunter seien Hauben, ein Thronhocker und Ketten. Unklar sei, um wie viele Stücke aus dem Stuttgarter Bestand es bei der Forderung Njobatis geht. "Es muss noch vom König benannt werden, um welche Objekte es sich aus seiner Sicht handelt", sagte Museumsleiterin de Castro.
"Ich war entsetzt, als ich diese Objekte sah. Wie ist jemand in der Lage, sich dem jeden Tag zu stellen?"

Njobati versucht seit vier Jahren, Raubgut aus deutschen Museen für ihr Volk zurückzubekommen. Die Kulturaktivistin wirbt um Verständnis für die Rückforderung. Es seien nicht einfach nur Kunstwerke, die für Ausstellungszwecke da seien. Für Njobati sind die Objekte viel eher Zeugen ihrer Kultur und Identität. Sie seien spirituell und traditionell bedeutend für das Wohlergehen ihres Volkes.
"Ich war entsetzt, als ich diese Objekte sah. Wie ist jemand in der Lage, sich dem jeden Tag zu stellen?", sagte sie Mitte August im Gespräch mit dem SWR. Sie vermutet, dass die Menschen "nichts mit der Bedeutung verbinden. Mit der Energie, der Spiritualität und der Kraft, die diese Objekte besitzen". Njobati werde sich nach dem jüngsten Gespräch in Stuttgart mit dem Fon, also dem König von Nso, und dem Ältestenrat beraten.
Kunstministerin: BW will sich seiner historischen Verantwortung stellen
Geprüft wird die Forderung des Fon auch im Wissenschaftsministerium. Eine Rückgabe schließt Kunstministerin Theresia Bauer (Grüne) keineswegs aus, im Gegenteil: "Generell gilt: Baden-Württemberg stellt sich seiner historischen Verantwortung im Zusammenhang mit dem deutschen und europäischen Kolonialismus", sagte sie der Deutschen Presse Agentur. Rückforderungen von Kulturgütern, die im kolonialen Kontext erworben worden seien, stehe das Land daher grundsätzlich offen gegenüber. "Das gilt auch für Kamerun als ehemalige deutsche Kolonie."
Njobati ist vorsichtig optimistisch. Zweifelsohne seien die Objekte damals den Deutschen nicht geschenkt, sondern unter Druck übergeben oder geraubt worden. Das schließt auch Museumsleiterin de Castro nicht aus: "Wir vermuten bei einigen Objekten, dass sie durch den Überfall der Deutschen entwendet wurden und unter verwerflichen Umständen in die Sammlung kamen", sagte sie der Deutschen Presse Agentur. Der Forderung aus Kamerun stehe das Museum sehr offen gegenüber.
Entscheidung über die Rückgabe liegt beim Land
Doch wie prüft das Land, ob eine Rückgabe bestimmter Objekte stattfinden soll? Ausgangspunkt dafür sei herauszufinden, unter welchen Umständen ein Objekt nach Baden-Württemberg gekommen ist, so das Wissenschaftsministerium auf SWR-Anfrage. Das erfolge im Rahmen einer Provenienzforschung. Wurde das Kunststück unter unethischen Umständen erworben, werde es zurückgegeben. Auch wenn die Entscheidung über die Rückgabe allein beim Land Baden-Württemberg liege, "stimmen wir uns in geeigneten Fällen fachlich im Vorfeld auch mit dem Auswärtigen Amt ab". Bei wie vielen Kunstgegenständen in Baden-Württemberg eine Rückgabe nötig wäre, kann das Land indes nicht sagen.
Nicht nur Kamerun ist betroffen
Die Diskussion um Raubkunst aus der Kolonialzeit ist nicht neu. Erst im Juni hatten sich Deutschland und Nigeria über die sogenannten Benin-Bronzen geeinigt. Deutschland gab den Kulturschatz aus Kolonialzeiten frei für die Rückgabe. Baden-Württemberg setzte die Verabredung als erstes Bundesland um, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) im Juni. Es gibt die Figuren zurück. Das Stuttgarter Linden-Museum werde konkrete Objekte für eine Rückgabe identifizieren und in Gespräche mit der nigerianischen Seite eintreten, so Bauer.
Auch die Familienbibel und die Peitsche des Nama-Anführers Hendrik Witbooi aus dem Stuttgarter Lindenmuseum wurden in Namibia restituiert. Sie waren die ersten kolonialen Gegenstände, die das Land 2019 zurückgegeben hat. Beide Objekte des bedeutenden Nama-Kapteins und Kämpfers gegen den Kolonialismus seien von höchstem symbolischem Wert für die Menschen in Namibia, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) 2018 gesagt. Mit der Rückgabe gehe das Land einen wichtigen Schritt im Prozess der Versöhnung. Vermutlich werden in Zukunft auch weitere Schritte in anderen Ländern folgen.