Nina Guérin Interview Teaser (Foto: Pressestelle, Markus Milcke: SWR Bildmontage)

Große Studie zu Rassismus in Deutschland

Wie rassistisch ist Baden-Württemberg? Leiterin der BW-Antidiskriminierungsstelle im Interview

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AUTOR/IN
Berkan Cakir

Laut der Studie "Rassismusmonitor" hat eine Mehrheit der Menschen in Deutschland schon einmal Rassismus erfahren. Nina Guérin von der BW-Antidiskriminierungsstelle ist trotzdem optimistisch.

Die Bundesregierung hat erstmals Rassismus in Deutschland in einer großangelegten Studie erfasst. Das Ergebnis: Dass Rassismus Realität ist, erkennen 90 Prozent der Befragten an. Mehr als jeder Fünfte ist direkt von Rassismus betroffen, jede Zweite hat indirekt Erfahrungen damit gemacht. Nina Guérin, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle in Baden-Württemberg, überraschen die Ergebnisse des "Rassismusmonitors" nicht. Im Interview mit dem SWR erklärt Guérin, warum die Studie sie trotzdem optimistisch stimmt.

Frau Guérin, laut dem "Rassismusmonitor" haben in Deutschland viele Menschen direkt und indirekt Rassismus erlebt. Decken sich die Studien-Daten mit Ihren Erfahrungen als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle in Baden-Württemberg?

Ich kann sagen, dass die Fälle, in denen Menschen von einer rassistischen Diskriminierung berichten, immer einen großen Anteil der Fälle ausmachen, die an die Antidiskriminierungsstelle des Landes (LADS) herangetragen werden - und das relativ konstant über die Jahre.

Wie groß ist der Anteil?

Fälle, in denen Betroffene von einer rassistischen Diskriminierung berichten, machen circa ein Drittel aller Anfragen an die LADS aus. Und das deckt sich auch mit den Erfahrungen und Auswertungen anderer Stellen, wie beispielsweise der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Von daher überrascht mich das Ergebnis des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung nicht.

Nina Guérin lehnt gegen eine Mauer. (Foto: Pressestelle, Markus Milcke )
Nina Guérin, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle in Baden-Württemberg, überraschen die Ergebnisse der Rassismus-Studie nicht.

Von wie vielen Fällen konkret sprechen wir in Baden-Württemberg?

Im vergangenen Jahr haben sich 221 Personen wegen einer Diskriminierung an die LADS gewandt, davon betrafen 55 Fälle rassistische Diskriminierungen. Hinzu kommen die Fälle, die unseren insgesamt neun Beratungsstellen im Land gemeldet werden.

Wie hoch ist die Dunkelziffer?

Die meisten Menschen, die eine Diskriminierung erfahren, wenden sich an keine Beratungsstelle. Die Zahlen, die wir haben, sagen nichts darüber aus, wie häufig in Baden-Württemberg eine rassistische Diskriminierung vorkommt, weil eine absolute Minderheit der Personen sich damit an eine Beratungsstelle wendet.

In welchen Lebensbereichen machen die Menschen am häufigsten rassistische Erfahrungen?

Rassistische Diskriminierung betrifft wirklich alle Lebensbereiche: sie kommt bei Behörden und Ämtern vor, auf der Arbeit, sowohl im Bewerbungsprozess als auch in bestehenden Arbeitsverhältnissen, im Bildungsbereich, in Krankenhäusern, bei der Wohnungssuche, aber auch in Diskotheken und im Ladengeschäft.

Laut dem "Rassismusmonitor" stimmen 60 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Rassismus in erster Linie von Rechtsextremen ausgeht. Wie sehen Sie das?

Wir können klar sagen, dass Rassismus nichts ist, das nur von Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild ausgeht. Deshalb passiert es auch immer wieder, dass ganz normale Leute mit demokratischen Einstellungen rassistische Dinge tun oder sagen. Rassismus ist sehr weit verbreitet und viele Menschen erfahren Diskriminierung in ganz alltäglichen und banalen Situationen.

Um Betroffene besser zu schützen, hat die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg im Koalitionsvertrag ein Antidiskriminierungsgesetz angekündigt. Wie weit ist sie mit diesem Vorhaben?

Die Ausarbeitung des Gesetzes erfolgt durch das Innenministerium, sodass ich hierzu leider keine Auskunft geben kann. Ich halte es aber für richtig und wichtig, dass das Antidiskriminierungsgesetz im Koalitionsvertrag steht. Es gibt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), aber das beinhaltet nicht den Schutz vor Diskriminierungen durch öffentliche Stellen - also durch Verwaltungen, Behörden, Ämter, die Landespolizei, Schulen und Hochschulen. Deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig, mit dem Antidiskriminierungsgesetz diese Lücke zu schließen.

Die Studie zeigt auch: Das Potenzial in der Gesellschaft, sich antirassistisch zu engagieren, ist hoch. Stimmt Sie das positiv?

Ich denke, dass es Anlass gibt, optimistisch zu sein, weil wir viele wichtige kleine Schritte in Richtung einer diskriminierungsfreien Gesellschaft gemacht haben. Gleichzeitig glaube ich, dass man nicht aus dem Blick verlieren kann, dass der Weg noch sehr weit ist und es für Betroffene weiterhin im Alltag sehr schlimm ist, wenn sie rassistisch diskriminiert werden.

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Berkan Cakir