Vseslava Soloviova, oder Slava, wie sie sich selbst nennt, ist kurz nach Kriegsausbruch aus der Ukraine geflohen. Inzwischen lebt sie in Stuttgart, arbeitet von dort aus für "Zaborona", eine ukrainische Onlinezeitung. Dort ist sie vor allem als Social-Media-Redakteurin tätig.
Aus Deutschland versucht sie ihren Kolleginnen und Kollegen vor Ort so gut es geht zu helfen. "Wir haben die Anordnung, keine Fotografien von militärischen Objekten oder wichtiger Infrastruktur zu veröffentlichen", erklärt sie im Gespräch mit dem SWR. Diese Regelung der ukrainischen Behörden betreffe nicht nur Journalistinnen und Journalisten, allen Menschen in der Ukraine sei das verboten. "Wir alle verstehen das, es ist Krieg". Die Sorge, dass Fotos oder Videomaterial den russischen Truppen taktische Hinweise geben könnte, ist groß. Daher halte man sich an diese Vorgaben.
"Niemand kann die Sicherheit der Journalisten garantieren"
Soloviova ist 34. Wenn sie erzählt, spürt man, wie nah sie sich den Geschehnissen in der Ukraine fühlt. Sie spricht von "wir in der Ukraine", auch wenn sie gerade in Stuttgart ist. "Ich fühle mich nicht eingeschränkt in meiner Arbeit durch die ukrainischen Behörden", erzählt sie. Aber als Reporterinnen und Reporter in der Ukraine an Informationen zu kommen, sich ein eigenes Bild zu machen, sei sehr gefährlich geworden. "Niemand kann dir gerade Sicherheit garantieren, daher ist das Thema Sicherheit für alle zurzeit sehr wichtig."
An die Frontlinien zu kommen sei schwierig und eigentlich nur mithilfe des Militärs möglich. Die würden einen mitnehmen und dabei betreuen. "Es ist also nicht ganz einfach, aber auch nicht unmöglich an Infos zu kommen." Als Reporterin in Kriegsgebieten unterwegs zu sein, könnte sie sich gerade nicht vorstellen. Sie sei froh, in Stuttgart in Sicherheit zu sein.
"Kollegen von mir sind gestorben"
Laut Angaben der Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" sind in der Ukraine bereits sechs Journalisten ums Leben gekommen. Soloviova spricht von mehr als zwanzig, darunter auch Arbeitskollegen von ihr. "Kollegen von mir sind gestorben, das bricht einem das Herz." Vielleicht sei man anfangs ein bisschen naiv gewesen, ihre Kollegen seien schon vorher in Kriegsgebieten unterwegs gewesen. "Ich dachte immer, sie wissen, was sie tun. Jetzt habe ich realisiert: Niemand ist mehr sicher. Es gibt keine 'fairen Regeln' in Kriegszeiten. Was Maks Levin passiert ist, ist dafür vielleicht ein bekannteres Beispiel."
Der Reporter Maks Levin war unter anderem für die Nachrichtenagentur Reuters und den englischen Sender BBC als Fotojournalist in den Kriegsgebieten der Ukraine unterwegs. Nachdem er mehrere Tage vermisst wurde, ist er Anfang April tot in einem Dorf nördlich von Kiew gefunden worden. Laut "Reporter ohne Grenzen" war Levin nicht bewaffnet und trug eine "Presse"-Jacke. Wie viele glaubt auch Soloviova, dass Levin von russischen Soldaten umgebracht wurde. "Nur durch das Tragen eines 'Presse'-Schildes sind wir nicht mehr geschützt", sagt sie.
Berichten, um den Menschen in der Ukraine zu helfen
Bei all dem Schrecken, den ihre Reporter-Kollegen erleben, weiß Soloviova, warum sie das machen. "Wir fühlen uns verantwortlich für die Menschen in der Ukraine. Sie suchen nach Informationen. Sie wollen wissen, ob sie in Gefahr sind, wo die Frontlinien sind. Wir müssen diese Informationen checken, so gut wir können. Um so wahrheitsgemäß wie möglich berichten zu können." Das sei für ihre Kolleginnen und Kollegen zurzeit täglich die Motivation.
Gleichzeitig müsse man bei der Berichterstattung sehr genau aufpassen. Jedes kleine Missverständnis könnte zu Panik unter den Menschen führen. Das wolle man auf keinen Fall. Sie habe großen Respekt vor ihren Kollegen, die gerade vor Ort sind: "Für mich persönlich ist das eine heldenhafte Arbeit, die sie gerade machen."
Vseslava Soloviova hat auf ihrer Flucht aus Kiew mit einem Fernsehsender gesprochen und von ihrer Flucht erzählt:
"In Russland existiert keine unabhängige Presse"
Fragt man Vseslava Soloviova nach der Situation für Journalistinnen und Journalisten in Russland und ob sie glaubt, dass es auch russische Journalisten zurzeit schwer haben, bleibt ihre Stimme fest, aber es ist spürbar, dass sie das Thema umtreibt: "In der Ukraine haben wir jede einzelne Nacht Bombardierungen. Was riskieren die russischen Journalisten? Sie riskieren nur ins Gefängnis zu kommen."
Sie habe nicht das Gefühl, dass die russischen Journalistinnen und Journalisten verstehen oder realisieren, was gerade in der Ukraine wirklich passieren würde. "In Russland existiert keine unabhängige freie Presse." Auch russische Journalistinnen und Journalisten, die inzwischen von Europa aus arbeiten würden, würden sich in ihrer Arbeit nicht genug von der russischen Regierung distanzieren. "Wir arbeiten an unterschiedlichen Dingen. Die arbeiten an ihrer Reputation und ihrem Ansehen, wir riskieren unser Leben für die Freiheit."
Für Vseslava Soloviova ist klar: Sie will ihren Kolleginnen und Kollegen weiter helfen, weiter aus Stuttgart unterstützen und über den Krieg berichten. So lange, bis er vorbei ist.