Die Entscheidung, ob Grundschulen und Kitas in Baden-Württemberg am 1. Februar wieder öffnen, soll an diesem Mittwoch oder Donnerstag fallen. Die Corona-Infektionszahlen sinken seit fast drei Wochen - diese Tendenz sei belastbar. Auch die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner binnen sieben Tagen sinkt in Baden-Württemberg im Zuge des Lockdowns weiter und liegt derzeit bei 86,9. Kurz vor Weihnachten lag diese Sieben-Tage-Inzidenz in Baden-Württemberg bei über 200.
Dennoch wolle er die belastbareren Inzidenzzahlen in der Wochenmitte abwarten, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Zugleich warnte er vor ansteckenderen Corona-Mutationen, etwa die aus Großbritannien. Diese könnten von heute auf morgen wieder drastische Maßnahmen möglich machen.
Kretschmann sprach von einer "vorsichtigen und schrittweisen und behutsamen Öffnung" der Schulen - den Anfang sollen die Jüngsten machen. Es gebe keine Präsenzpflicht. Die Notbetreuung sei gewährleistet. Die Klassen werden halbiert und für das Personal liegen hochwertige Masken vor. Weiterführende Schulen und Berufsschulen bleiben bis zum 14. Februar geschlossen. Weitere Details werde Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) vorstellen. Die Kitas und Schulen in Baden-Württemberg sind wegen der Corona-Pandemie seit dem 16. Dezember geschlossen.
Unterschiedliche Studien, unterschiedliche Ergebnisse
Die Landesregierung stützt sich bei dieser Entscheidung auf Untersuchungen der Universitätskliniken in Tübingen, Ulm und Freiburg. Diese Studien ergaben, dass Kinder unter zehn Jahren wenig zum Infektionsgeschehen beitragen und auch seltener erkranken. Kretschmann sagte, er haben noch einmal alle vorhandenen Studien zu dieser Frage wissenschaftlich überprüfen lassen und sei zum selben Ergebnis gekommen. In den Faschingsferien, wenn die Schulen geschlossen bleiben, sollen die Maßnahmen evaluiert werden.
Mittlerweile gibt es etliche Studien, die Kinder im Zusammenhang mit Covid-19 untersuchen: Mit den unterschiedlichsten Ansätzen, Methoden und auch mit sich widersprechenden Ergebnissen. Mittlerweile kann man aber sagen, dass die Mehrheit der Forschenden überzeugt ist, dass Kinder genauso von Corona infiziert werden können wie Erwachsene, jedoch einen milden Verlauf der Krankheit durchleben. Und sie sind auch ein Teil des Infektionsgeschehens. Denn dort, wo die Corona-Infektionszahlen ansteigen, steigen eben auch die Zahlen der angesteckten Kinder und Jugendlichen.
Studienlage: Wie sehr verbreiten Kinder das Coronavirus?
Kinder haben ein geringeres Risiko einen schweren Verlauf von Covid-19 zu haben. Mehrere Studien belegen aber, dass sich Kinder genauso häufig mit dem Coronavirus anstecken wie Erwachsene. mehr...
So geht etwa Christian Drosten, Chefvirologe der Berliner Charite, davon aus, dass das Virus anfangs "auf einer Schulwelle gesegelt" ist. Davon habe es sich mittlerweile entkoppelt und sei nun in der ganzen Bevölkerung zu sehen. Im NDR Podcast sagte Drosten:
"Natürlich ist ein Teil dieser erhöhten Übertragung von der Virusvariante auch durch solche Effekte zu erklären. Das können wir hoffen, dass wir (..) in England (...) zum Beispiel unter einem Voll-Lockdown, wo auch die Schulen geschlossen werden, vielleicht sehen werden, dass dieser Vorsprung in der Übertragungszahl möglicherweise doch nicht so groß ausgeprägt ist, sondern sich zumindest zu einem Teil auch aus dieser Eintragung in die Schulen erklären könnte."
GEW sieht Öffnung von Kitas und Grundschulen kritisch
Die zu erwartende schrittweise Öffnung von Kitas und Grundschulen im Land ist nach Ansicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fahrlässig und derzeit nicht zu verantworten. Elf Millionen Menschen in Baden-Württemberg müssten sich an strenge Kontaktbeschränkungen halten, kritisierte die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein am Dienstag in Freiburg und ergänzte: "Nur die Fachkräfte in Kitas und die Grundschullehrkräfte sollen sich mehrere Stunden mit Personen aus 10 bis 20 Haushalten in einem Raum aufhalten?" Viele Erzieherinnen und Erzieher sowie Grundschullehrkräfte fühlten sich behandelt wie Versuchskaninchen.
Dass Masken zur Verfügung gestellt werden, begrüße die GEW. "Das ist eine wichtige Grundlage, damit hoffentlich ab Mitte Februar mit Wechselunterricht begonnen werden kann", heißt es weiter. "Wenn das aber aufgrund der Infektionszahlen oder aufgrund der Gefahr durch neue Virusvarianten nicht möglich ist, müssen leider noch die Kitas und Schulen geschlossen bleiben", sagte Stein.
Auch die Opposition im Land sieht die baldige Öffnung von Grundschulen und Kitas kritisch. So schrieb Andreas Stoch, Landesvorsitzender der SPD in Baden-Württemberg auf Twitter:
Kretschmann warnt vor zu früher Öffnung
Was andere Bereiche in Baden-Württemberg angeht, beruft sich Kretschmann auf Erfahrungen aus Österreich und anderen Ländern. Diese zeigten, dass man nicht zu früh öffnen darf, so Kretschmann. Sonst verspiele man den Erfolg zu früh und riskiere eine weitere Welle. Eine Inzidenz im Land unter 50 sei weiter das Ziel. "Und dahin müssen wir wieder zurück", sagte Kretschmann. "Durch die Probleme, die wir bei der Lieferung der Impfungen haben, das ist der begrenzende Faktor, müssen wir aufpassen und nicht denken, wir sind schon über den Berg", mahnte Kretschmann.
"Wir sind noch nicht über den Berg. Im Gegenteil: Wir sind in der schwierigsten Phase der Pandemie"
Obwohl Grundschulen und Kitas öffnen sollen, soll der Rest des Landes also im Lockdown bleiben. Auch weiterführende Schulen und Berufsschulen sollen geschlossen bleiben. "Derzeit sind regionale Lockerungen in Baden-Württemberg nicht geplant", sagte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums am Dienstag in Stuttgart. "Die Lage ist noch viel zu fragil, um jetzt schon Lockerungen ins Auge zu fassen." Dementsprechend bleibt unter anderem der Einzelhandel geschlossen und die Ausgangsbeschränkungen bestehen. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hält das für unnötig. Er forderte angesichts der sinkenden Zahlen "eine nachvollziehbare Öffnungsstrategie". Die Hinweise von Bund und Ländern, der Lockdown müsse fortgesetzt werden, weil neue, aggressivere Virusvarianten die Lage zu verschärfen drohten, hält er für nicht mehr nachvollziehbar.