Schüler auf einer Treppe im Kirchheimer Schlossgymnasium (Foto: SWR, Bettina Gall)

Statt Online-Unterricht und Homeschooling

"Schule nach Corona wird anders wertgeschätzt"

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Bettina Gall

Knapp drei Wochen ist das neue Schuljahr in Baden-Württemberg alt. Es zeigt sich: Viele Kinder und Jugendliche sind nach langem, Corona-bedingten Homeschooling besser motiviert.

Nach einem pandemiebedingten Ausnahme-Schuljahr läuft der Unterricht an den Schulen in Baden-Württemberg inzwischen wieder - fast - normal, wären da nicht die Masken und häufig offene Fenster und Türen. Aber ist wirklich alles wie früher? Wird Schule nach Corona, Online-Unterricht und Homeschooling anders empfunden? Ein Stimmungsbild:

Gudrun Kolb-Rothermel im Lehrerzimmer des Schlossgymnasiums in Kirchheim Teck (Foto: SWR, Bettina Gall)
Gudrun Kolb-Rothermel erlebt ihre Schüler zum Schulstart hoch motiviert.

"Die Motivation bei den meisten ist riesengroß"

Gudrun Kolb-Rothermel ist seit vielen Jahren Oberstudienrätin am Schlossgymnasium in Kirchheim Teck (Kreis Esslingen). Zu Beginn dieses Schuljahres erlebt sie den Unterricht anders als in vorangegangenen Jahren. "Schule wird anders wertgeschätzt", sagt sie. Der Lärmpegel sei geringer, die Schülerinnen und Schüler arbeiteten konzentriert und zeigten sich hochmotiviert: "Die wollen lernen", so Kolb-Rothermel. "Einige meiner Schülerinnen und Schüler standen nach der Stunde vorne und fragten nach zusätzlicher Lektüre - das ist neu." Auch im Kollegenkreis erhalte sie die Rückmeldung, dass die Jugendlichen erkennbar mit Freude und Motivation auf Unterricht und Lehrer zugingen und das Miteinander auch einforderten. Und die Direktorin des Schlossgymnasiums, Lucia Heffner, meinte: "Die stürzen sich förmlich auf uns."

Zugang und Fahrradabstellplatz Schlossgymnasium Kirchheim Teck mit Schild (Foto: SWR, Bettina Gall)
Im neuen Schuljahr ist der Fahrradabstellplatz am Schlossgynmnasium in Kirchheim wieder voll.

Abiturienten sehen Vor- und Nachteile des Präsenzunterrichts

Direkt befragt, konnten manche der Abiturienten in Kolb-Rothermels Klasse auch dem Homeschooling einiges abgewinnen: entspannt sei es gewesen, meinte einer und ein anderer sagte, die eingesparte Zeit für den Schulweg habe er für Freizeitaktivitäten nutzen können. Auch die Umstellung, nun wieder teils den ganzen Tag in der Schule zubringen zu müssen, sei nicht einfach, berichteten einige Zwölftklässler. Ein anderer Abiturient wandte ein: "Ich war mehr kaputt nach einem ganzen Tag Homeschooling als jetzt in der Schule, weil man da den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzt und vor sich hin langweilt." Das Miteinander genießen wohl alle in dieser Abschlussklasse, einige sprachen es aus: "Durch den Wiederbeginn der Schule hab ich richtig gemerkt, wie sehr ich den Kontakt mit den anderen Menschen schätze", sagte eine Schülerin, und ein Mitschüler ergänzte: "Mir ist aufgefallen, dass ich in Präsenz viel besser lernen kann als zu Hause, weil einen die Umgebung der Schule viel motivierter macht."

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Fünftklässler finden Unterricht in der Schule besser

"Zuhause konnte ich niemanden fragen", stellte ein Fünftklässler fest, und der Freund neben ihm meinte, seine Eltern würden sich auch mit Computern nicht so gut auskennen, das sei schon manchmal schwierig gewesen. Dass sie ihren Start in der weiterführenden Schule nun in Präsenz erleben können, finden alle befragten Schülerinnen und Schüler der fünften Klasse gut, "auch wenn wir uns hier noch nicht so gut auskennen".

Kultusministerin Schopper sieht Schulstart gelungen

Nach dem Schulstart in Baden-Württemberg hat Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) eine positive Bilanz gezogen. Es habe sich nicht bewahrheitet, dass Rückkehrer aus dem Urlaub das Coronavirus massenweise in die Schulen tragen würden, sagte sie am Dienstag. Zwar seien die Infektionszahlen gestiegen, gingen aber schon wieder leicht zurück. Schopper betonte auch die Bedeutung des Präsenzunterrichts für Schüler, Schülerinnen und Eltern, "die das Thema Homeschooling momentan nicht mit auf ihrem Zettel haben".

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"Wir haben immer wieder betont, (…) dass Schule nicht nur Lernraum ist, sondern wir haben auch gesehen, dass es ein Lebensraum ist."

Mehr Wertschätzung auch an Grund- und Werkrealschule zu spüren

"Extrem motiviert", erlebt der Schulleiter der Kirchheimer Allenschule, Thorsten Bröckel, seine Schülerinnen und Schüler. Der Kontakt zu den Lehrkräften an der Grund- und Werkrealschule werde geschätzt. "Besonders Kinder mit Migrationshintergrund haben nach dem gelechzt, was ihnen in der Schule geboten wird", so Bröckel. Auch die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Monika Stein, sagt, sie habe Rückmeldungen, dass Kinder die Schule ganz anders wertschätzten. Diese freuten sich außerdem unglaublich, Gleichaltrige wiederzutreffen.


"Die Kinder haben sich riesig gefreut, wieder in die Schule gehen zu dürfen. Man merkt, dass ihnen etwas gefehlt hat."

Nach langem Homeschooling müssen Regeln neu gelernt werden

Aber Schulleiter Bröckel weist auch auf die negativen Folgen des Onlineunterrichts hin. Vor allem die Jüngeren müssten die Regeln des Miteinanders neu lernen. Die Unterrichtsstruktur müsse wieder verinnerlicht werden. Die Tatsache, dass der soziale Aspekt im Homeschooling fehlte, sei für die Lehrkräfte deutlich zu spüren.


Eine enorme Arbeit sieht auch GEW-Landeschefin Monika Stein hier auf die Pädagogen zukommen: "Bei den Kleineren fehlt die Sozialisation im Klassenzimmer", sagte Stein dem SWR. Das gelte besonders für Kinder aus bildungsfernen Familien. Sie müssten neu austarieren, wer wohin gehöre. "Das Gruppengefüge muss überhaupt erst hergestellt werden", so Stein. Wenn das nicht gelinge, werde sich das rächen. Dies lenke von all dem ab, was inhaltlich, im Hinblick auf Lernrückstände, nun getan werden müsse. Schon vor Beginn des Schuljahrs hatte Stein davor gewarnt, nur auf die Lerndefizite der Schülerinnen und Schüler zu schauen.

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Der Vorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg, Ralf Scholl, berichtet noch von einem weiteren Stolperstein auf dem Weg zu geordnetem Unterricht: Von einer kleinen, "aber sehr insistierenden, lautstarken und unbelehrbaren Elterngruppe werden die großen Anstrengungen der Schulen, den Schulbetrieb möglichst Corona-sicher zu gestalten, damit die Schulen dauerhaft geöffnet sein und bleiben können, überhaupt nicht geschätzt". Dies bedeute ständige Mehrarbeit für die Schulleiter, weil von der Schule gesetzte Sicherheitsregeln immer wieder hinterfragt würden, so Scholl.

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