Mehrere Schulkinder lernen gemeinsam in einem Lernzimmer einer Ganztagsschule. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Felix Kästle)

Rund 100 Millionen Euro

Baden-Württemberg ruft fast alle Mittel für bessere Ganztagsbetreuung ab

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Knapp 98 Millionen Euro hatte Baden-Württemberg zur Verfügung, um bei der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder voranzukommen. Land und Kommunen haben die Gelder fast ausgeschöpft.

In den vergangenen zwei Jahren hat Baden-Württemberg beim Bund fast alle verfügbaren Mittel zum beschleunigten Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder abgerufen: rund 96,4 von etwa 97,6 Millionen Euro. Das entspricht einem Anteil von gut 98,7 Prozent, wie aus Daten des Bundesfamilienministeriums für die Jahre 2021 und 2022 hervorgeht.

Wofür das Geld verwendet wird

Mit dem Geld könnten zum Beispiel Gebäude, Möbel, Spiel- und Sportgeräte gekauft oder saniert werden, sofern damit zusätzliche Betreuungsplätze für Grundschulkinder geschaffen werden, teilte das Kultusministerium in Stuttgart mit. Gefördert würden auch entsprechende Vorbereitungen. Das "Beschleunigungsprogramm Ganztagsbetreuung" mit Finanzhilfen des Bundes ist zum 31. Dezember 2022 ausgelaufen. Die Daten des Bundesministeriums stammen aus den vergangenen Tagen - einer Sprecherin zufolge sind noch immer Nachmeldungen möglich.

Kultusministerin lobt Zusammenarbeit mit Kommunen

Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung sei eine große Herausforderung, teilte Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) mit. "Dass wir von den Mitteln, die uns der Bund zur Verfügung gestellt hat, fast 100 Prozent abgerufen haben, zeigt, dass wir gut mit der kommunalen Seite zusammenarbeiten." Mit Bremen, Hamburg, Sachsen-Anhalt und dem Saarland habe Baden-Württemberg den höchsten Prozentsatz abgerufen. "Ein großes Lob geht auch an die Kommunen für ihr hohes Engagement beim Ausbau der Angebote", so Schopper.

GEW sieht Problem im Personalmangel

In einer ersten Reaktion begrüßte die Bildungsgewerkschaft GEW die Entwicklung. "Das ist ein positives Signal, aber eben auch nur ein kleiner Baustein für den Ausbau der Ganztagsbetreuung", sagte Matthias Schneider, Landesgeschäftsführer der GEW Baden-Württemberg, dem SWR. Noch immer herrsche ein extremer Mangel an dringend benötigten Fachkräften wie Grundschullehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Außerdem sei nach wie vor ungeklärt, wer die multiprofessionellen Teams am Ende bezahlen solle. "Bund, Länder und Kommunen schieben sich die Verantwortung gegenseitig zu", sagte Schneider.

Gegen den Fachkräftemangel schlägt die GEW unterschiedliche Maßnahmen vor: "Die Landesregierung sollte schleunigst mehr Studienplätze für Grundschullehrerinnen und -lehrer schaffen", meint Schneider - schließlich gebe es genügend Bewerber. Bei den Erzieherinnen und Erziehern seien auch die Arbeitgeber mit in der Verantwortung, den Beruf wieder attraktiv zu machen. "Die Bezahlung ist sicher ein Grund, ein größeres Problem ist aber die zu hohe Belastung durch Arbeitsverdichtung", sagte Schneider. Als Gegenmittel schlägt die GEW bessere Fachkräfteschlüssel sowie mehr Zeit für Vor- und Nachbereitung vor.

Opposition fordert mehr Einsatz von der Landesregierung

Auch die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Katrin Steinhülb-Joos, begrüßte am Montag den Fortschritt bei der Ganztagsbetreuung, forderte aber noch mehr Einsatz von der Landesregierung. "Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen ist ein Meilenstein, für dessen Umsetzung das Land sich noch konsequenter ins Zeug legen muss", so Steinhülb-Joos in einer Mitteilung. Meine die grün-schwarze Landesregierung es mit ihrem Versprechen von Bildungsgerechtigkeit ernst, müsse der Ausbau der Ganztagesangebote endlich vorankommen. "Dafür darf sich die Kultusministerin nicht nur auf den Bund verlassen, sondern muss auch selbst einen Gang hochschalten", so Steinhülb-Joos. So müssten etwa unterschiedliche Qualifikationen der im Ganztag Beschäftigten mit einheitlichen Qualitätsstandards unterfüttert werden.

Die Arbeit der Regierung sei mitnichten getan, sagte der Sprecher für frühkindliche Bildung und Jugend der FDP-Fraktion, Dennis Birnstock. "Vielmehr war der Mittelabruf beim Bund der erste Schritt, um nun beim Thema des Anspruchs auf Ganztagsbetreuung bei Kindern im Grundschulalter endlich voranzukommen." Für die AfD im Landtag erklärte Bildungspolitiker Rainer Balzer: "Die vorgesehenen multiprofessionellen Teams und FSJler können keinen ausreichenden Qualitätsstandard in der Nachmittagsbetreuung gewährleisten." Allein Personal könne man mit dem Geld allerdings nicht herzaubern.

Studie zieht ernüchternde Bilanz

Ob es die Landesregierung überhaupt noch schaffen kann, dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung gerecht zu werden, hält GEW-Sprecher Schneider für fraglich. Denn bereits im Juli 2022 hatte die Bertelsmann-Stiftung eine Studie veröffentlicht, derzufolge in Baden-Württemberg mehr als 12.000 Fachkräfte für die Ganztagsbetreuung an Schulen fehlen. Ihren Berechnungen zugrunde gelegt hatten die Autorinnen und Autoren der Studie "Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2022" eine Betreuungszeit von 40 Stunden pro Woche je Kind. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung bis 2030 stelle das Land vor "erhebliche Herausforderungen", lautete ihre Bilanz. Denn laut Prognose der Studie sollen bis 2030 lediglich knapp 3.000 zusätzliche Fachkräfte verfügbar sein.

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