Reinhold Götz (70) hat in der Mannheimer SPD schon so ziemlich alles erlebt. Der Mann mit den weiß-grauen Haaren und schwarz umrandeter Brille ist schon seit 54 Jahren Parteimitglied. Aktuell ist Götz SPD-Fraktionschef im Mannheimer Gemeinderat. Angesprochen auf die Aussichten der SPD bei der Bundestagswahl am 23. Februar wird sein Blick ernst: "Da hält sich meine Zuversicht in Grenzen". Schaue man sich die Umfragen derzeit an, falle es schwer, sich die SPD bei über 20 Prozent vorzustellen, so Götz. Stand jetzt seien die Werte "deutlich zu wenig, um wieder den Bundeskanzler zu stellen". Freundlicher wird seine Miene, wenn er über die Mannheimer SPD-Direktkandidatin Isabel Cademartori spricht; sie gewann bei der Bundestagswahl vor vier Jahren das Direktmandat in der Stadt. "Eine hervorragende Kandidatin, die auch ein großes Standing in der Bundespolitik hat - unter anderem als verkehrspolitische Sprecherin", so Götz.

Forscher: Frühere SPD-Wähler tendieren immer mehr zu rechtspopulistischen Parteien
Ob Cademartori erneut den Sprung in den Bundestag schafft? Es gab Zeiten in Mannheim, da war eine SPD-Kandidatur in der Stadt bei einer Wahl praktisch ein Selbstläufer. Da wurde der Sekt bei den Genossen oft schon vor dem Urnengang kaltgestellt, alles andere als ein Sieg war unvorstellbar. Das ist aber schon lange nicht mehr so. Der Mannheimer Politologe Marc Debus erklärte dem SWR, Wahlforscher beobachteten - nicht nur in Mannheim - immer stärker, dass Industriearbeiter (also ehemals meist klassische SPD-Wähler) und deren Familien sich tendenziell immer mehr "zu rechtspopulistischen Parteien bewegen".
SPD im Mannheimer Gemeinderat "nur noch drittstärkste Kraft"
Eine Folge davon: Aktuell "sind wir (die SPD-Fraktion) im Mannheimer Gemeinderat nur noch drittstärkste Kraft", stellt SPD-Fraktionschef Götz mit Bedauern fest. Im Verhältnis zu anderen Großstädten in Baden-Württemberg habe die SPD in Mannheim nach wie vor passable Ergebnisse, "aber es ist natürlich weit weg von dem, was wir gehabt haben und was wir wollen", erklärt Götz und blickt zurück auf erfolgreichere Zeiten für die Genossen. So habe die SPD schließlich "über 50 Jahre lang in Mannheim den Oberbürgermeister gestellt" - bis zur OB-Wahl im Jahr 2023. Da siegte CDU-Kandidat Christian Specht in der Stichwahl knapp vor Thorsten Riehle von der SPD. Für die Genossen in Mannheim ein harter Schlag.
Ex-Oberbürgermeister Kurz (SPD): "Bindungskraft zwischen Wählern und Parteien abgeschwächt"
Für Peter Kurz (SPD), der 16 Jahre lang (2007-2023) Mannheimer Oberbürgermeister war, gibt es mehrere Gründe, warum Mannheim keine SPD-Hochburg mehr ist. So habe sich im Lauf der vergangenen Jahrzehnte die einst enge Bindung zwischen SPD, Arbeiterschaft und Gewerkschaften ebenso abgeschwächt, wie die Bindungskraft zwischen Wählern und Parteien allgemein. Außerdem habe die SPD früher "viele konkrete Aufgaben bis hin zur Lebensgestaltung der Menschen vor Ort übernommen", so Kurz.

Die Partei habe zeitweise "das gesellschaftliche Leben mitbestimmt". Heute tut sie das kaum noch. In den 1980er Jahren bekam die SPD dann auch noch Konkurrenz von neuen sozialen Bewegungen, wie zum Beispiel den Grünen. Als weiteren Punkt führt Peter Kurz die Etablierung der AfD an. Dazu kommt laut Kurz eine "zunehmende Distanz zwischen den Milieus, die die Sozialdemokratie einst zusammenführen konnte". Zum Schluss lenkt er den Blick auf Veränderungen in der Bevölkerung Mannheims - einer Stadt, die viele Jahre vor allem industriell geprägt war. "Milieus mit höheren Bindungen an die Sozialdemokratie wie die klassische Industrie-Arbeiterschaft leben kaum noch direkt in der Stadt", analysiert Kurz.
Aufgrund dieser Entwicklungen und den damit verbundenen, erheblichen Veränderungen im Wahlverhalten ist der Begriff der Hochburg für alle Parteien schon lange nicht mehr passend.
Welche Perspektiven hat die SPD in Mannheim?
Was sollte die SPD tun, um wieder erfolgreicher zu werden? Peter Kurz schlägt vor, die SPD müsse in der Stadt "wieder sichtbar für Zustimmung in der Sache, mit konkreten Vorschlägen vor Ort" werben. Es gehe um "Kompetenz und Präsenz in der Öffentlichkeit", um Themen wie Wohnen, Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt wieder mehr nach vorne zu bringen. Außerdem, so Kurz abschließend, sollte die Partei "für gesellschaftlich Engagierte" wieder stärker "zum Anlauf- und Diskussions-Ort" werden.