Denn ehemalige Straßenhunde wie Bolle laufen ganz besonders oft weg. Laut der Mannheimer Polizei hat dieses Problem in den vergangenen zwei Jahren enorm zugenommen. Hintergrund ist, dass sich während der Corona-Pandemie viele unerfahrene Menschen in der Region Rhein-Neckar einen Hund zugelegt haben. So wie überall in der Republik. Weil die Nachfrage so groß war, entschieden sich viele, einen Straßenhund aus dem Ausland zu "retten". Aus Spanien oder vom Balkan. Doch die sind auch als Welpen oft schon vorgeprägt. Sie sind ängstlich oder aggressiv und laufen oft weg.
Schriesheimer Hunde-Verhaltenstherapeutin kennt das Problem
Zwei Nächte lang beispielsweise war Bolle verschwunden. Nur mit viel Training kann er sich an seine neue Umgebung gewöhnen. Das quirlige Leben auf den Straßen überfordert den ehemaligen Straßenhund. Er hat ständig Angst. Deshalb will er weglaufen, sagt sein Besitzer Michael Müller. Der 57-jährige Krankenpfleger und seine Frau lieben Bolle, aber das Tier braucht professionelle Hilfe.
Mit Hunden wie Bolle kennt sich Gianna Ehlert aus. Die Hunde-Verhaltenstherapeutin hat sich in ihrer Schriesheimer Hundeschule (Rhein-Neckar-Kreis) auf die Probleme ehemaliger Straßenhunde spezialisiert.

Erst Panik, dann Flucht
Dass besonders ehemalige Straßenhunde weglaufen, hat viele Gründe. Einer ist, dass sie schon als Welpen früh auf das Straßenleben geeicht worden sind. Den Straßenstress quasi mit der Muttermilch eingesaugt haben. Allerdings ist Deutschland dicht besiedelt. Für die Hunde, die viel freie Fläche gewohnt sind, ist das Dauerstress.
"Meistens ist es aus Panik, dass sie weglaufen. Ein lautes Geräusch, irgendwas, was sie erschreckt, ein Fahrradfahrer. Und wenn der dann nicht richtig gesichert ist, dann rennt er und er rennt in seiner Panik wie in so einem Tunnel immer weiter. Und je länger die unterwegs sind, desto mehr steigern die sich da rein."
Hinterherlaufen ist falsch, sagt die Expertin. Ruhig bleiben, rufen, Hilfe holen und immer wieder an den Ort des Weglaufens zurückkehren. Wenn gar nichts hilft, die Polizei holen.
Polizei holt meist Experten zum Fangen
Die Mannheimer Polizei hat seit vergangenem Jahr mit dem Einfangen entlaufener Hunde aus dem Ausland alle Hände voll zu tun, sagt Thomas Boris. Er ist Ausbilder bei der Mannheimer Polizei-Hundestaffel. Viele Hunde, vor allem Welpen, kommen traumatisiert bei ihren neuen Besitzern an. Boris beschäftigt sich ausschließlich mit diesen Hunden aus dem Ausland. Ob Rassehunde von Züchtern aus Osteuropa oder Straßenhunde von Tierschutzorganisationen. Vieles läuft illegal beim Hundeimport. Wenn die Tiere weglaufen, kommt er zum Einsatz.
"In einem Fall hat es Wochen gedauert, da hat man den Hund umgeladen und hat gedacht, das macht man ohne Leine und fort war er und das ist auch völlig unterschätzt worden."
Die Kosten trägt der Besitzer. Die Polizei arbeitet mit Fangnetz und Schlinge. Professionelle Hundefänger mit Lebendfallen. Der Verein "Entlaufende Hunde e.V. Baden-Württemberg" ist deshalb seit der Corona-Pandemie ebenfalls verstärkt im Einsatz.
Vertrauen zwischen Hunden und Besitzern stärken
Auf dem Trainingsgelände von Gianna Ehlert in Schriesheim geht es um Vertrauen. Erst dann setzt sie sie leichten Stresssituationen aus, in denen sie sonst flüchten würden. Die Halter brauchen viel Geduld und eine Erfolgsgarantie gibt es nicht.
"Es kann sein, dass ich diesen Hund nie wieder von der Leine machen kann, weil es einfach zu gefährlich wäre. Dann muss ich damit leben."
Auch Bolle wird wohl niemals ohne Leine nach draußen können. Michael Müller weiß das, doch er würde den verschmusten Rüden auf keinen Fall mehr hergeben wollen.
"Es gibt ehemalige Straßenhunde, die werden hier super toll, denen ist wirklich geholfen, die kriegen hier ein schönes Leben. Und andere gibt’s leider, wo ich sage: Die wären vermutlich in der Freiheit auf der Straße glücklicher gewesen."