In Deutschland gibt es jedes Jahr fast 260.000 Schlaganfall-Patienten. Dann zählt jede Minute. Je schneller das Blutgerinsel im Gehirn aufgelöst oder entfernt werden kann, umso geringer sind die teils dramatischen Folgeschäden des sogenannten Hirninfarkts.
Doch was, wenn das dafür wichtigste Medikament fehlt? Noch sei es nicht ganz so weit, aber die Experten der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft rechnen mit Problemen.
Schlaganfall-Notfallversorgung auf dem Weg nach Heidelberg
Wie nötig bestimmte Medikamente sind, zeigt das Beispiel einer Patientin aus Crailsheim, die mit Verdacht auf Schlaganfall zunächst mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus nach Schwäbisch Hall gebracht wurde. Die Ärzte gaben schon unterwegs das Notfallmedikament "Actilyse". Dann brachte ein Hubschrauber die Seniorin zur "Stroke Unit", eine Spezialeinheit zur Behandlung von Schlaganfällen am Uniklinikum Heidelberg.
Engpässe bei Schlaganfall-Medikament
Dass die Patientin das Medikament bekam, das das Blutgerinsel in ihrem Gehirn auflösen konnte, ist offenbar nicht selbstverständlich. Denn das Mittel ist seit April knapp geworden, und das wird es auch bis mindestens zum Ende des Jahres bleiben. Der Grund, das Medikament "Actilyse" mit dem Wirkstoff "Metaplase" wird nur vom rheinland-pfälzischen Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim hergestellt, und der einzige Produktionsstandort weltweit ist das Werk in Biberach an der Riss bei Ravensburg. Dort gibt es seit Jahresbeginn Engpässe, weshalb das Unternehmen eine Warnung herausgegeben hatte.
"Wir wissen, dass wir genug vorrätig haben für die nächsten Wochen, aber wir wissen nicht, was Anfang des nächsten Jahres passiert.“
Heidelberger Klinik reagiert auf drohende Engpässe
Der Leiter der Stroke Unit am Uniklinikum Heidelberg, Professor Peter Ringleb, sagte dem SWR, dass es aktuell keine Engpässe bei der Patientenversorgung gebe. Die Kliniken im Land würden weiter mit dem Notfallmedikament versorgt, aber man wisse eben nicht, wie es im neuen Jahr weitergehe. Man habe schon begonnen, andere Packungsgrößen zu ordern, damit man mit möglichst wenig Schwund dosieren könne. Das Mittel zur Auflösung der Blutgerinsel wird nach dem Körpergewicht des Patienten berechnet. Vor diesem Hintergrund wurde die Auswertung neuester Studien mit besonderer Spannung erwartet.

Empfehlungen der Schlaganfall-Gesellschaft
Bei der Online-Pressekonferenz der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft ging es neben den Engpässen auch um eine mit Spannung erwartete Empfehlung zur Behandlung von Schlaganfall-Patienten. Nach Auswertung mehrerer Studien gilt als neue medizinische Leitlinie, Schlaganfall-Patienten bis zu viereinhalb Stunden nach dem Hirn-Infarkt sowohl mit der Methode der Thrombolyse, also der medikamentösen Auflösung, und zusätzlich mit der Thromboektomie, also der mechanischen Entfernung des Blutgerinsel aus dem Gehirn, zu behandeln. Dabei schiebt ein Spezialist einen Katheter von der Leistenbeuge bis ins Gehirn. Nach mehr als neun Stunden lautet die Empfehlung, nur noch die mechanische Entfernung durchzuführen - vor dem Hintergrund eines möglicherweise länger anhaltenden Medikamenten-Engpasses eine wichtige Erkenntnis.
Personal für Schlaganfall-Versorgung auch in Heidelberg immer knapper
Was Ringleb und seine Kollegen aber noch mehr besorgt, ist der Personalmangel. Für den Heidelberger Experten ist klar: Alle Erfolge in der Notfallversorgung können in den Tagen danach zunichte gemacht werden. Wieviele und ob überhaupt Folgeschäden eines Schlaganfalls zurückbleiben, hängt auch von der Patientenversorgung in den ersten Tagen ab. Diese, so Ringleb, sei extrem personalaufwendig und brauche sehr gut ausgebildete Fachkräfte. Doch die gibt es immer weniger. Auch in der Heidelberger Kopflinik ist bereits ein Intensivzimmer mit zwei Betten geschlossen, weil das Personal dafür fehlt.
"Man braucht sehr viel Personal, um diese Patienten durch die nächsten Tage und auch die nächsten Wochen zu begleiten. Das wird uns in den nächsten Jahren noch deutliche Probleme machen."
Auch deshalb schlagen die Experten Alarm und fordern die Politik auf, sowohl bei der Versorgungssicherheit mit Medikamenten als auch bei der Lösung der Personalnot auf allen Ebenen tätig zu werden.
Die Patientin aus Crailsheim konnte übrigens schon nach wenigen Tagen die Heidelberger Uniklinik verlassen, nahezu ohne Folgeschäden.