Martin Köhl kann sich seit seiner Kindheit nur mit Hilfe eines Rollstuhls fortbewegen – aber mittlerweile schwebt er durch die Lüfte. Denn der 32-Jährige hat seinen Segel-Flugschein gemacht – auf einem extra für diesen Zweck umgebauten Segelflieger. Für Martin Köhl etwas ganz Besonderes.
"Es kommt oft genug noch vor, dass ich dann da oben sitze und denke: Hoppla, wie bist Du denn jetzt hierher gekommen? Du saßt doch früher als 11-Jähriger stundenlang vorm Simulator und hast mehr oder weniger unrealistische Sachen gemacht – und jetzt sitzt du hier oben – das ist schon irgendwie cool!"
Schon als Kind träumte der gebürtige Münchner vom Fliegen, dachte aber nicht, dass er jemals im Cockpit sitzen würde. Denn wegen Sauerstoffmangels bei der Geburt konnte sich sein Körper nicht normal entwickeln, er ist auf den Rollstuhl angewiesen.
Flugsport-Verein baut Segelflieger um
Da Segelflugzeuge über Pedale gesteuert werden, schien der Traum vom Fliegen geplatzt. Aber dann erfuhr Martin Köhl, dass es beim Flugsportring Kraichgau in Sinsheim ein behindertengerechtes Segelflugzeug gibt. Durch den Umbau können in diesem Flieger die Pedale mit einer Handsteuerung bedient werden.

Byebye Bayern - Hallo Kurpfalz!
Martin Köhl sieht seine Chance - und gibt alles auf: Wohnung, Job, vertrautes Umfeld. Er sucht sich eine Wohnung in Heidelberg, findet einen Job in Schwetzingen und legt los mit den Flugstunden. Eine Entscheidung, die er nicht bereut: Denn das Fliegen ist für ihn mehr als ein Hobby.
"Ich fühle mich, wenn ich dann drin sitze, absolut wie alle anderen Piloten auch. Für mich ist die Behinderung dann völlig irrelevant. Deswegen kann ich da auch so wunderbar abschalten. Es ist sowohl motorisch als auch intellektuell fordernd. Da ist kein Platz für die Sorgen und Nöte des Alltags."
Martin Köhls Augen leuchten, wenn er vom Fliegen erzählt. Er wünscht sich, dass mehr Menschen mit Behinderung den Mut finden, sich den Traum vom Fliegen zu erfüllen. Und dass mehr Vereine behindertengerechte Flugzeuge anbieten.
Der Flugsportring Kraichgau in Sinsheim ist einer der wenigen in Deutschland, die das anbieten - und er hat seine Entscheidung bisher nicht bereut. Im Gegenteil.
"So ein Flugzeug, das kostet so um die 100.000 Euro, wenn man jetzt sieht, dass da noch mal 10.000 oder 15.000 reingesteckt werden, damit jemand, der das nur mit der Hand steuern kann, auch fliegen kann, dann ist es so ein geringer Anteil, dass man sagen muss: Ja, das ist es auf jeden Fall wert."
Geld von der Aktion Mensch
Das Geld für die Handsteuerung hat der Verein von der "Aktion Mensch" bekommen. Den Einbau haben die Mitglieder selbst gestemmt. Gemeinschaft wird bei den Kraichgauern groß geschrieben. Deshalb ist auch für Martin Köhl immer jemand da. Egal, ob das Rein- oder Rausheben aus dem Flugzeug oder das Schieben des Rollstuhls: Was der 32-Jährige wegen seiner Behinderung nicht selbst machen kann, das übernehmen Vereinskollegen.
„Ich möchte jetzt nicht so rüberkommen, als hätte ich vorher keine Freunde gehabt, aber natürlich habe ich durchs Fliegen schlagartig einen ganzen Schwung mehr Freunde bekommen – und zwar, das finde ich das Tolle daran – ganz unterschiedlichen Alters.“
Ein Gewinn für beide Seiten: So funktioniert Inklusion.