Vom 12. Januar bis zum 9. Februar

Besucher der Mannheimer Vesperkirche: "Ist man erst mal drin, schämt man sich nicht mehr"

Stand
Autor/in
Melanie Holstein

Die Vesperkirche unterstützt in Not geratene Menschen. Für viele ist es eine Überwindung, das Hilfsangebot anzunehmen. Zwei Besuchende erzählen trotzdem ihre Geschichte.

Zum 28. Mal findet in der CityKirche Konkordien in Mannheim die Vesperkirche statt. Am Eröffnungstag am Sonntag (12. Januar 2025) nutzten rund 450 Gäste das Angebot der Evangelischen Kirche Mannheim und ihrer Diakonie, das teilte die Kirche mit. Im vergangenen Jahr lag demnach die durchschnittliche Besucherzahl bei 603 Gästen pro Tag. Vier Wochen lang bietet die Vesperkirche einen Ort der Begegnung. Dazu gehört neben einem warmen Essen auch ein umfangreiches Beratungsangebot. Trotz der herzlichen Atmosphäre in der CityKirche ist es für viele immer noch eine Überwindung, das Hilfsangebot anzunehmen.

Zwei Besuchende erzählen dem SWR von sich.

Renate ist Stammgast in der Vesperkirche Mannheim

Die 73-jährige Renate ist Stammgast in der Vesperkirche. Auch wenn die Warteschlange vor der Kirche manchmal lang sein kann - das hindert die quirlige Rentnerin nicht, die Vesperkirche zu besuchen. Seit 18 Jahren schon. Man komme hier ins Gespräch, treffe neue Menschen und alte Bekannte und dazu gebe es noch ein warmes und leckeres Essen, sagt Renate.

Das Essen ist für sie aber eigentlich zweitrangig. Viel wichtiger sind ihr die Begegnungen und der Zusammenhalt untereinander. Denn: "Nicht nur der Körper braucht Essen, auch die Seele." Die dreifache Mutter und vierfache Oma lebt zwar allein, einsam ist sie allerdings nicht. Ein Grund dafür sind auch die zahlreichen Begegnungen und Freundschaften, die sie in der Vesperkirche geschlossen hat.

Ich freue mich jedes Jahr aufs Neue. Hier kann man unbeschwert lachen und auch mal Blödsinn machen.

Viele Besucher der Vesperkirche sind von Armut betroffen

Renate hat eine lange Armutshistorie. In ihrer früheren Ehe sei es ihr verwehrt worden, zu arbeiten, und aufgrund einer chronischen Lungenerkrankung sei sie gesundheitlich stark eingeschränkt, erzählt sie. Wie viele andere Frauen ist sie im Alter von Armut betroffen und war lange Stammgast in der Tafel und dem Diakoniepunkt. Aufgrund ihrer Rente geht es ihr aber heute finanziell etwas besser. Daher bezahlt sie auch gerne den solidarischen Beitrag fürs Essen.

Auch wenn Renate jeden Euro zwei mal umdrehen muss, ist ihr Teilen besonders wichtig. Sie besucht an Weihnachten regelmäßig die "Offene Weihnachtsfeier" in der CityKirche Konkordien. Ein Angebot für Menschen, die an Heiligabend sonst alleine wären. Hier gibt es immer kleine Geschenktüten für die Besucherinnen und Besucher. Renates Geschenktüte hat ihr Enkel bekommen. Und auch der hat Teilen gelernt: Er schenkte sie wiederum einem Obdachlosen.

Renate würde sich wünschen, dass auch mehr Menschen aus der Politik zu solchen Veranstaltungen kämen. Ihrer Meinung nach könnten die Politikerinnen und Politiker hier sehen, wie viele Menschen alleine in Mannheim ums Überleben kämpfen, und dass sich deshalb dringend etwas ändern müsste.

Eine große Tafel mit unterschiedlichen Menschen. Sie sind alle zu Gast in der Vesperkirche und lächeln in die Kamera.
Beim Mittagessen kommt man schnell ins Gespräch: Andreas (lächelt von links) und Renate (ganz rechts) kommen gerne zur Vesperkirche.

Vesperkirche Mannheim: Man kommt schnell ins Gespräch

Während Renate auf ihre Tochter wartet, kommt sie mit den Tischnachbarn ins Gespräch. Ihr gegenüber sitzt Andreas. Für ihn war vor allem das warme Essen ausschlaggebend, dass er vergangenes Jahr die Vesperkirche zum ersten Mal besucht hat. Der 56-Jährige ist wohnungslos und lebt zurzeit bei seinem Sohn. Davor lebte er mit seinem Bruder zusammen und pflegte seine alten Eltern. Als sein Bruder vor Jahren aber einen Schlaganfall bekam, musste er sich plötzlich um seine ganze Familie kümmern.

Am Anfang habe ich mich geschämt, hier zu sein. Aber wenn man erst einmal drin ist, schämt man sich nicht mehr.

Andreas erinnert sich noch genau: Es habe ihn Überwindung gekostet, zur Vesperkirche zu kommen. Eine langjährige Freundin hat ihn vergangenes Jahr zum ersten Mal in die Vesperkirche mitgenommen. Er hat sich direkt willkommen gefühlt und gelernt, die Scham über das eigene Schicksal für einen Moment zurück zu lassen. In diesem Jahr ist er mit seiner Partnerin und seinem 32-jährigen Sohn Florian gekommen. Im Gegensatz zu seinem Vater schämt sich Florian nicht, hier zu sein. Er genießt einfach das warme Essen und den Kuchen zum Dessert.

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