Anna Koch ist Psychologin im Dienst des Polizeipräsidiums Mannheim. Sie und ihr Team betreuen die Einsatzkräfte, die in der Mannheimer Innenstadt am 2. Mai im Einsatz waren und die, die am Dienstag im Fall von häuslicher Gewalt nach Mannheim-Waldhof ausgerückt sind.
SWR Aktuell: Können Sie Polizeibeamtinnen und -Beamte überhaupt auf solche Einsätze vorbereiten?
Anna Koch: Eine Vorbereitung auf so ein schweres Ereignis ist natürlich ja nicht ganz einfach. Ich denke, die Hochschule der Polizei (in Villingen-Schwenningen) macht das so gut wie es eben geht. Da gibt es auch nicht nur EIN Training, sondern immer wieder viele Trainingseinheiten dazu. Aber wenn so ein Fall dann tatsächlich "in echt" passiert, dann ist das noch mal was ganz anderes als eine Übungssituation.
Hatten Sie persönlich Kontakt mit den Beamten, die am Dienstag in Mannheim-Waldhof und vergangene Woche am Marktplatz in der Innenstadt im Einsatz waren?
Ja, hatte ich. Das ist ein Standard-Prozedere in bestimmten Fällen, bei Schusswaffengebrauch im Einsatz oder wenn es Tote und Schwerverletzte beim Einsatz gab - also alles, was irgendwie außergewöhnlich ist. Man nennt uns hier bei der Polizei "Psychosoziale Beraterinnen und Berater", wir werden in solchen Fällen alarmiert und gehen dann zu den Kolleginnen und Kollegen und kümmern uns um die Nachsorge.
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Psychische Folgen nach Einsatz für Polizisten: Gefahr von "Flashbacks"
Polizeibeamte gehen mutmaßlich sehr unterschiedlich mit solchen Erfahrungen und Situationen bei einem Einsatz um. Ist das tatsächlich so? Wie ist da Ihre Wahrnehmung?
Das ist tatsächlich sehr unterschiedlich. Die allermeisten sind dann nach einem solchen Einsatz erst mal immer noch voller Adrenalin. Wenn so ein Einsatz war, dann endet der ja nicht mit dem Moment, wo die Kolleginnen und Kollegen wieder ins Polizeirevier zurückkommen. Die haben dann Schreibarbeit, dann finden vielleicht noch Vernehmungen statt. Die sind immer noch in diesem Modus, zu funktionieren. Wir weisen die Kollegen sehr kurz, aber effektiv darauf hin, was in den kommenden Tagen psychisch mit ihnen passieren könnte. "Flashbacks" (psychologisches Phänomen eines Wiedererlebens einer besonderen Situation) - eben solche psychische Symptome und dass die im Laufe der nächsten ein, zwei Wochen abnehmen sollten. Und dann, wenn sich der erste Schock gelegt hat, machen wir noch mal eine Einsatz-Nachsorge mit dem gesamten Team. Da ist dann auch wirklich mehr Zeit, das Ganze zu besprechen.
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Bei dem Polizeieinsatz am Mannheimer Marktplatz am 2. Mai, der ja immer noch stark in der öffentlichen Kritik steht, kursierten ja auch viele Bilder und Videos in den sozialen Medien. Man kann sich vorstellen, dass es diese Bilder für die Beamten nicht einfacher machen, den Einsatz zu verarbeiten. Was raten Sie den Beamten in solchen Fällen?
Also mittlerweile gibts die Aufnahmen ja tatsächlich überall und beinahe bei jedem Einsatz. Das Dramatische an diesen Bildern ist, dass ja immer nur minimalste Ausschnitte gezeigt werden und dass es nicht möglich ist, ein Gesamtbild zu erfassen. Ich rate den Kolleginnen und Kollegen dann, sich von den Medien fernzuhalten. Das ist tatsächlich etwas, was die Kolleginnen und Kollegen beschreiben, dass das als sehr belastend wahrgenommen wird, sich in sozialen Medien Beschimpfungen und üblen Drohungen ausgesetzt zu sehen. Und da hilft im Grunde genommen nur: Fernhalten.
Mannheimer Polizei-Psychologin: "Hass ist ein Dauerthema"
Kommen jetzt auch Beamte zu Ihnen, die Hilfe suchen, weil sie jetzt auf Streife immer wieder mit solchen Themen konfrontiert werden, weil ihnen Menschen da auch Hass entgegenbringen?
Das mit dem Hass ist ein Dauerthema, nicht erst seit dem Fall am Mannheimer Marktplatz. Wann immer wir Beratungen haben, wird das sehr häufig angesprochen, dass das als belastend empfunden wird - der Hass, der den Polizeibeamten entgegenschlägt. Ich glaube, dass jetzt akut nach diesem Fall in der Mannheimer Innenstadt noch mehr auf uns zukommt.
Ganz grundsätzlich: Wie kann eine psychologische Betreuung oder Beratung von Polizeibeamten dauern? Gehts da um Wochen, Monate, vielleicht auch noch länger?
Die psychologische Betreuung dauert so lange, wie sie benötigt wird. Das kommt auch ein bisschen auf den Fall an. Wenn es um kurze Entlastung geht, machen wir das noch im Rahmen unserer Tätigkeit als psychosoziale Beratung bei der Polizei. Wenn wir das Gefühl haben, das geht in Richtung posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), dann würden wir vermutlich an externe Trauma-Therapeuten weiter vermitteln. Da gibt es durchaus Fälle von Menschen, die nach so schwierigen Ereignissen nicht mehr zurück in den Dienst gekommen sind und sehr langfristig betreut werden. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns direkt nach den Ereignissen mit den Kolleginnen und Kollegen zusammensetzen, denn da geht es um die langfristige Gesundheit der Beschäftigten.