Ira Peter ist frisch mit dem Online Award "Goldene Blogger" ausgezeichnet. Sie hat ein Jahr lang aus Odessa gebloggt und Online-Texte geschrieben. Nur kurze Zeit später sieht die Ukraine völlig anderes aus, als Peter sie erlebt hat. Die Journalistin lebt in Mannheim. Von hier aus beteiligt sie sich an der Hilfe für die Ukraine.
Im Interview mit SWR-Moderator Patrick Figaj spricht sie über ihre Zeit in Odessa. Und wie schnell der Krieg Menschen verändert.
SWR Aktuell: Sie sind nicht mit dem Handy hereinkommen, um auf die Nachrichtenlage zu schauen. Trotzdem haben Sie die im Moment permanent im Blick, oder?
Ira Peter: Richtig. Tatsächlich habe ich das Handy ausgemacht, kurz bevor ich die Tür aufgemacht hatte. Ich gucke natürlich immer, was passiert. Ich höre viel Radio. Ich gucke keine Nachrichten im Fernsehen und versuche wirklich Bilder, also visuelle Einflüsse zu vermeiden. Weil ich das schwer verkraften würde. Aber ich bin natürlich jeden Tag Up-to-Date und vor allem jeden Tag mit meinen Freundinnen in Kontakt, die noch in Odessa sind. Heute Morgen hatte ich Kontakt mit einem Freund, der zwei Stunden von Kiew entfernt lebt. Da frage ich einfach: "Geht es dir okay? Bist du in Sicherheit? Ist alles safe?" Ich frage nicht, ob es gut geht. Weil es geht gerade niemandem gut.
Sie haben gesagt, Sie blenden diese Bilder aus. Trotzdem waren es ja gerade Bilder, die die vergangenen Tage extrem geprägt haben. Wie gehen Sie persönlich damit um?
Ich glaube, die Bilder sind ganz, ganz wichtig, um Menschen zu erreichen, die die Ukraine vorher nicht auf dem Schirm hatten. Die haben ihre Wirkung. Die ist natürlich grauenhaft. Die berühren die Menschen und sie aktivieren die Menschen, um Hilfsbereitschaft zu zeigen gegenüber den Geflüchteten. Auch darauf hinzuwirken, dass unsere Regierenden aktiver werden und die Ukraine unterstützen. Ich persönlich kann manchmal mit den Bildern nicht umgehen. Ich bin ja sehr in den sozialen Medien aktiv. Da ist meine Community. Meine Unterstützer sind da unterwegs und plötzlich sehe ich dann Bilder von getöteten oder von kleinen Kindern. Das ist hart. Es ist immer noch sehr schwierig, nicht jeden Tag zu weinen. Aber es wird besser.
"Auch ich gewöhne mich an einen Krieg und das ist das Schlimme. Wir dürfen uns nicht an einen Krieg gewöhnen. Das ist nicht okay, was da stattfindet."
Diese Bilder werden aufgenommen. Auch von der Politik. Sie persönlich haben weniger mit Bildern zu tun, aber mit Texten. Sie waren Stadtschreiberin in Odessa. Dieser Blickwinkel, den Sie da hatten: Ist Ihnen ein Satz hängengeblieben, an den Sie vielleicht im Moment immer noch denken müssen?
Schwierig. Es sind ja so viele Fetzen, so viele Glücksmomente, die ich mit Odessa und mit den Menschen dort verbinde. Plötzlich ist alles so anders. Die Stimmen meiner Freunde hören sich seit dem 24. Februar anders an. Das ist das Verrückte.
"Diese Helligkeit ist verloren gegangen."
Meine Freunde sehen auch anders aus. Ich habe das Gefühl, die sind alle gealtert. Es sind vor allem diese Sätze im Moment, die ich meiner Freundin in Odessa immer wieder sage. "Du hast am 23. April Geburtstag und ich wollte dich in Odessa besuchen kommen. Das machen wir." Das gibt ja so ein bisschen Hoffnung, diese Aussicht. Aber leider ist das ja schon bald. Und ich glaube, ich werde am 23. April nicht in Odessa sein.
Sie versuchen von hier aus auch aus der Region Mannheim-Heidelberg zu unterstützen, selbst anzupacken und zu helfen. Viele Menschen, mit denen ich in den vergangenen Wochen gesprochen habe, sagen: "Das ist selbstverständlich, dass man das tut. Wir müssen irgendwas machen. Wir wollen zupacken." Auf der anderen Seite fühlt man sich auch hilflos. Wie geht es Ihnen damit?
Jede Hilfe ist wichtig, auch wenn man sich so unbedeutend vorkommt. Ich mache ja auch nur kleine Sachen hier vor Ort persönlich. Darüber hinaus ist die Hilfe natürlich viel größer, die ich zusammen mit der Runnebaum-Stiftung aus Heidelberg leiste. Wir sammeln ja wirklich viele Spendengelder, um Medikamententransporte nach Odessa zu ermöglichen. Was da dann zurückkommt von den Ärzten: Sie schicken mir Bilder von Kindern in den Krankenhäusern. Wie glücklich die sind, dass sie einfach mal Windeln bekommen oder einfachste Medikamente, die sie sonst nicht haben. Wenn ich das sehe, dann berührt mich das sehr. Dann weiß ich, dass alles sinnvoll ist - alles, was jeder Einzelne tut.
Wie gehen Sie persönlich damit um, die beide Seiten kennt, täglich den Kontakt in die Ukraine hat, dieses monströse am Telefon, im Chat erlebt und dann auf der anderen Seite hier diese Parallelwelt: Was haben Sie da für eine Botschaft an die Menschen hier?
Ich sehe, wie unterschiedlich die Kulturen sind, immer wieder. Ich habe ja selbst Familien aus Odessa hier in der Region untergebracht, bei entfernten Bekannten, bei Leuten, die mir einfach auf Instagram ihre Wohnungen angeboten haben oder auch Geschäftspartnern. Ich sehe, wie das dann im Alltag ist und dass es doch einfach unterschiedliche Kulturen sind. Dann hat man noch die Sprachbarriere. Das ist alles nicht so romantisch wie man sich das vorstellt. Ich kenne Familien, die haben jemanden aufgenommen und dann merken sie: "Ach, das ist ja doch irgendwie unbequem mit ganz Fremden in meinem Haus, die vielleicht gerade auch wirklich schlimme Probleme haben, schwer traumatisiert sind, mit ihnen umzugehen." Dann kann es auch passieren, dass eben Geflüchtete wieder auf der Straße landen.
"Ich glaube, jeder der helfen möchte, soll sich darüber im Klaren sein, was er realistischerweise leisten kann."
Eine Million Euro Soforthilfe Mannheimer Gemeinderat beschließt Städtepartnerschaft mit Czernowitz
Einstimmig beschlossen: Mannheims erste Partnerschaft mit einer ukrainischen Stadt. Außerdem soll es eine Million für die Partnerstädte in der Ukraine, Moldau und Polen geben.
Mannheim hat ja jetzt beispielsweise auch seine Städtepartnerschaft gestärkt mit Czernowitz. Finden Sie, das ist notwendig?
Ich weiß nicht, ob das aktuell wahrgenommen wird. Czernowitz. Das ist eine Stadt, die ich sehr gut kenne, die einfach traumhaft schön ist und so wahnsinnig interessant. Aber das sind so wichtige Initiativen, die in die Zukunft weisen. Weil wir müssen an der Ukraine vor allem auch nach dem Krieg dranbleiben. Die Kultur ist ein wichtiger Mittler zwischen den Nationen und so wichtig, dass wir auf jeden Fall jetzt schon da rein investieren sollten.
Haben Sie Hoffnung oder richten Sie sich auch auf eine längere Phase des Krieges ein?
Ich habe Hoffnung. Ich darf nicht sagen, ich habe keine Hoffnung. Das wäre ein Verrat an meinen Freunden. Aber es wird, glaube ich, noch dauern.