Studie von Beratungsprotokollen

Warum werden Kinder abgetrieben? Heidelberger Medizinethiker erstellt Studie

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Rund 100.000 Abtreibungen gibt es jährlich in Deutschland. Eine Beratung ist Pflicht, Gründe nennen nicht. Aber genau damit beschäftigt sich ein Heidelberger Arzt.

Welche Gründe sind es, die Frauen dazu bewegen, ihr Kind abzutreiben? Mit dieser Frage hat sich der Heidelberger Arzt und Medizin-Ethiker Florian Dienerowitz beschäftigt. Er hat in seiner Studie die Protokolle einer Beratungsstelle ausgewertet.

Im Interview mit SWR Aktuell berichtet er über seine Studie und wieso sogenannte "Schwangerschaftskonflikte" bei der Frage nach dem Grund für einen Schwangerschaftsabbruch eminent wichtig sind.

Florian Dienerowitz: Wir haben die Schwangerschaftskonfliktgründe untersucht. Das hat jetzt noch nichts darüber ausgesagt, ob die Frau in letzter Konsequenz dann abtreibt. Aber von den Gründen des Schwangerschaftskonflikts – also eine Frau wird schwanger und stellt sich dann Frage "Kann ich dieses Kind behalten oder nicht?" – ist der meistgenannte Grund in unserer Studie tatsächlich "Partnerschaftsprobleme". Das ist allerdings eine Überkategorie zu zahlreichen Subkategorien. Dazu zählen zum Beispiel, dass der Kindesvater das Kind nicht möchte oder dass das Kind aus einer Affäre entstanden ist.

SWR Aktuell: Sie haben aber auch untersucht, wie groß der Einfluss Dritter auf die Entscheidung für eine Abtreibung in einem solchen Konflikt ist.

Dienerowitz: Wir haben acht verschiedene Überkategorien entwickelt, wie zum Beispiel Partnerschaftsprobleme, biografische Gründe oder äußerer Druck. Diesen sind zahlreiche Unterkategorien zugeordnet. Aus der Zusammenfassung der Subkategorien "Der Kindesvater will das Kind nicht“, "Druck durch Familie“ und "Druck durch Umfeld“ haben wir festgestellt, dass tatsächlich über 30 Prozent der Frauen diesen Einfluss Dritter als den Hauptgrund für den Schwangerschaftskonflikt genannt haben.

SWR Aktuell: Also der Druck durch Dritte beeinflusst in relativ vielen Fällen. In jedem dritten Fall könnte man sagen, ist dieser tatsächlich der Grund für einen Schwangerschaftsabbruch. Können Frauen tatsächlich selbstbestimmt entscheiden, ob sie abtreiben?

Dienerowitz: Wir sehen, dass eine Frau im Schwangerschaftskonflikt sehr vielen Einflussfaktoren ausgesetzt ist. Von daher denke ich, diese Vorstellung einer selbstbestimmten Entscheidung ist eben eine Idealvorstellung, die aber nicht unbedingt realistisch ist. Ich will ein Beispiel nennen.

Eine Frau wird schwanger, ungeplant. Der Partner sagt: "Eigentlich will ich das Kind nicht haben, das ist mir gerade zu viel. Ich werde auch nicht so viel Zeit für dieses Kind haben. Also ich bin eigentlich dagegen, aber du entscheidest das". Damit lässt der Partner im Prinzip diese Frau allein. Er denkt, dass er genau das Richtige macht. Er überlässt ihr die Entscheidung, dass sie selbstbestimmt entscheiden kann.

Jedoch durch seine Aussage "Mir ist das im Prinzip egal" oder sogar "Ich will das Kind eigentlich nicht" nimmt er schon der Frau die Sicherheit, die sie eigentlich in dieser Situation bräuchte, um selbstbestimmt entscheiden zu können. Also eben die Sicherheit zu sagen: "Ja, mein Partner unterstützt mich darin".

SWR Aktuell: Was würden Sie aus Ihren Erkenntnissen ableiten? Zu der Frage, wie kann man denn betroffenen Frauen am besten helfen?

Dienerowitz: Es ist tatsächlich eine sehr schwierige Frage, weil inwieweit haben Außenstehende – sei es der Staat oder Hilfsorganisation – tatsächlich Einfluss auf eben diese soziale Komponente, die im unmittelbaren Umfeld der Frau stattfindet? Dass ein Partner zum Beispiel sagt "Du sollst das Kind nicht bekommen" oder die Familie sagt "Du sollst das Kind nicht bekommen, weil du noch zu jung bist, weil du keine Ausbildung hast".

Insofern ist es wirklich sehr schwierig, dort Hilfen zu entwickeln. Anders ist es bei anderen Gründen, die auch vorkommen, zum Beispiel materielle Not. Da könnte man von Staatsseite sicher sehr, sehr viel machen und Frauen besser unterstützen. Was sicher wichtig wäre ist, dass es eine gute Beratung gibt, also, dass Frauen, die in eine Beratung gehen, auch explizit auf diesen Punkt des Drucks durch Dritte angesprochen werden. Nur so können überhaupt individuelle Lösungen entwickelt werden.

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