Die Inzidenzen sinken, auch in der Rhein-Neckar-Region. Und trotz der sogenannten "Höllenhund-Variante" des Coronavirus sind die Krankheitsverläufe in der Regel nicht schlimmer geworden, sagt der Chefvirologe des Heidelberger Uniklinikums. Vor "Killer-Varianten" zu warnen, hält er nicht für zielführend. Aber die Grippe müsse man ernst nehmen.
SWR Aktuell: Wer ist auf den Namen "Höllenhund"-Variante für die Corona-Variante BQ.1.1 gekommen?
Hans-Georg Kräusslich: Gute Frage. Der Name ist populär geworden, ist aber kompletter Unsinn. Man hat den Höllenhund "Cerberus" aus der griechischen Mythologie verwendet, der ein Wächter ist. Aber es ist natürlich völliger Unsinn, einen so plakativen Namen mit einer Variante zu verwenden, die zwar einige Besonderheiten hat, aber letztlich auch nur eine Subvariante von Omikron ist. Ich bin absolut der Meinung, dass es unsinnig ist, solche plakativen Namen zu verwenden.
Das ausführliche Interview mit Professor Kräusslich zum Anhören:
SWR Aktuell: Spielt diese Variante auf den Normal- und Intensivstationen im Heidelberger Uniklinikum aktuell schon eine Rolle?
Kräusslich: Wir können das immer nur verzögert sagen, weil die Variante nur durch Sequenzierung identifiziert wird. In den normalen Tests ist jemand positiv oder nicht. Weder Antigen-Schnelltest noch PCR unterscheiden zwischen den verschiedenen Varianten. Aber wir gehen davon aus, dass sie, ähnlich wie bundesweit, deutlich mehr geworden ist. Nach unseren Schätzungen macht sie im Moment etwa ein Fünftel oder ein Viertel aller Varianten aus, mit deutlich steigender Tendenz.
SWR Aktuell: Inwiefern spielt denn Corona überhaupt bei Ihnen auf den Normal- und Intensivstationen gerade eine Rolle?
Kräusslich: Es spielt keine große Rolle aktuell, weder bei uns noch bundesweit. Wenn man sich die Zahlen des Robert Koch-Instituts anschaut, sind sie in den letzten Wochen nicht mehr ganz so niedrig wie im September, aber doch deutlich gesunken. Ähnlich ist es bei uns. Wir haben Corona-Patienten, wir haben auch immer mal wieder Corona-intensivpflichtige Patienten. Aber das kann in der normalen Versorgungssituation gut gehandhabt werden, stellt also aktuell keine besondere Problematik dar.
SWR Aktuell: Wie sieht es mit den Personaldienstplänen im Uniklinikum aus? Gibt es da viele Ausfälle im Moment?
Kräusslich: Wir sehen gerade coronabedingt weniger Ausfälle. Das passt auch zu den Inzidenz-Daten, die natürlich immer mit Vorsicht zu genießen sind, weil ja nicht mehr alle getestet und nicht mehr alle Infektionen berichtet werden. Aber die Inzidenzzahlen sind seit etwa zwei bis drei Wochen rückläufig, und wir sehen ebenfalls derartige rückläufige Zahlen. Wir hatten vor einigen Wochen bis zu 25 neu durch Infektionen ausfallende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pro Tag. Im Moment liegt die Zahl eher bei zwei bis vier, ist also wieder deutlich gesunken. Das ist aber sicher keine Entwarnung in dem Sinne, dass das jetzt erledigt ist. Sondern wir und alle anderen, die sich damit beschäftigen, rechnen insbesondere aufgrund der neuen Variante BQ.1.1. mit einem deutlichen Anstieg in den nächsten Wochen.
Ungewöhnlich früh und deutlich Grippewelle in Baden-Württemberg weiter auf dem Vormarsch
Nach zwei Jahren fast ohne Grippeerkrankungen gibt es 2022 wieder viele Influenza-Infektionen in Baden-Württemberg, zwei Monate früher als üblich. Das Ministerium rät zum Impfen.
SWR Aktuell: Jetzt wird auch berichtet, dass sich in Baden-Württemberg die Influenza, also die Grippe, wieder ausbreitet. Inwiefern ist das schon bei Ihnen spürbar?
Kräusslich: Wir sehen bei uns in der Diagnostik seit einigen Wochen zunehmend auch wieder positive Grippe-Befunde. Die Influenza beginnt immer erst zum Herbst. Im Sommer hat man praktisch keine Influenza. Sie beginnt dieses Jahr durchaus eher früh. Und man sieht doch einen deutlichen Anstieg. Ob das jetzt in den nächsten Wochen ähnlich hochgeht und wir vielleicht im Frühwinter schon eine erhebliche Grippewelle haben werden, oder ob es einfach so eine zackige Kurve ist, die sich dann in ein, zwei Wochen wieder auf dem normalen Level einpendelt, können wir nicht vorhersagen. Aber die Empfehlung für alle, die ein höheres Risiko haben, sich gegen Influenza impfen zu lassen, aber auch für den Rest der Bevölkerung, die denken, ich muss nicht auch noch Influenza bekommen, ist gegeben. Der Zeitpunkt, sich jetzt impfen zu lassen, ist absolut richtig. Der Schutz tritt nach einigen Wochen ein. Im Moment sind die Fallzahlen noch niedrig. Aber es könnte gut sein, dass wir im Dezember, Januar, Februar eine erhebliche Fallzahl von Influenza haben, und die macht eben auch schwere Verläufe.
Lauterbach rechnet mit Winterwelle
SWR Aktuell: Sollte man die Maskenpflicht in Straßenbahnen und Bussen besser beibehalten?
Kräusslich: Ich finde immer noch, dass es sinnvoll ist, die Masken in Straßenbahnen und Bussen zu tragen, einmal wegen der mit Sicherheit wieder beginnenden Ausbreitung von Corona-Infektionen, aber auch wegen der Grippewelle, die kommen wird. Wir schützen uns einfach dadurch vor Infektionen. Inwieweit man das als Verpflichtung politisch vorgibt oder nicht, ist eine gesellschaftspolitische Entscheidung. Die Maskenpflicht wird ja auch jetzt schon nicht mehr hundertprozentig eingehalten. Ich war neulich in Berlin. Da hat jeder dritte im Bus keine Maske getragen und es hat niemanden interessiert.
SWR Aktuell: Wenn ich viermal geimpft bin, kann ich dann entspannt meinen Freunden im Weihnachtsmarktgedränge mit Glühwein zuprosten?
Kräusslich: Wie entspannt Sie sind, hängt von Ihrer persönlichen, psychologischen Situation ab. Aber ich hätte keine Sorge, das zu tun, wenn ich denn auf Weihnachtsmärkte gehen würde.
SWR Aktuell: Bei Corona sind ja oft die immer gleichen Bewertungsmuster zu erkennen. Die einen Experten sagen: "Achtung, es droht eine schlimme Corona-Winterwelle." Die anderen winken ab. Wie wird denn der Winter, was Corona angeht - auch gerade mit Blick auf die Influenza-Grippe, die es ja parallel noch dazu gibt?
Kräusslich: Ich glaube, man sollte nicht ständig vor irgendetwas warnen, wovon man nicht weiß, ob und wann und in welcher Form es gegebenenfalls kommen kann. Das ist nicht hilfreich in der jetzigen Situation. Wir sind jetzt relativ weit in der Pandemie. Wir sehen, dass wir Corona-Subvarianten sehen. Wir sehen mit Interesse und Erstaunen - auch wissenschaftlich - wie sehr sich das Virus verändern und dem Immunsystem entkommen kann. Wir sehen aber mit einer gewissen Entspanntheit, dass all das nicht mit Veränderungen im Verlauf insbesondere bei geimpften oder vorher schon infizierten Personen einhergeht.
Im Moment sehe ich keinen wirklich überzeugenden Grund, warum es sich in den nächsten Monaten stark verändern sollte. Man muss damit rechnen, dass die Infektionszahlen hoch gehen. Man muss damit rechnen, dass damit auch natürlich Erkrankungszahlen hochgehen, ohne dass die krankheitsmachende Wirkung stärker ist. Wenn ich fünfmal mehr Infizierte habe, dann werde ich auch mehr Leute haben, die erkranken, die schwer erkranken, und dann werde ich auch mehr Leute haben, insbesondere Risikopersonen, die an dieser Erkrankung sterben. Ich rechne nicht damit, dass in den nächsten Monaten sich irgendetwas entscheidend verändert. Ob dann irgendwo in der Welt eine neue Variante auftaucht, die sich anders verhält, das können wir nicht vorhersagen. Aber ich würde jetzt im Moment keinen Grund sehen, das besonders zu befürchten.
Grippe könnte sogar in diesem Winter krankheitsbedingt ein größeres Problem sein. Auch das können wir jetzt noch nicht sicher vorhersagen, weil in den letzten Jahren durch die Masken, die überall getragen worden sind, kaum Grippefälle aufgetreten sind, und wir jetzt einen deutlichen Anstieg schon früh in der Saison sehen. Deswegen meine Empfehlung insbesondere für alle Personen, die ein Risiko haben, ältere Personen, Patienten mit Grunderkrankungen und so weiter, sich jetzt gegen Grippe impfen zu lassen.