Hans-Georg Kräusslich, Leiter der Virologie am Uniklinikum Heidelberg  (Foto: Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD))

Heidelberger Virologe im SWR-Interview

Kräusslich: Berufsbezogene Impfpflicht "nicht mehr sinnvoll"

Stand

Der Heidelberger Virologe Hans-Georg Kräusslich hält die berufsbezogene Corona-Impfpflicht im Gesundheitswesen für nicht mehr sinnvoll. Das sagte er im Interview mit dem SWR.

Der Leiter der Virologie des Heidelberger Uniklinikums, Hans-Georg Kräusslich, sagte im Gespräch mit dem SWR, dass die Impfung zwar immer noch vor schweren Verläufen schütze, nicht aber vor der Infektion und Weitergabe des Coronavirus. Als die berufsbezogene Impfpflicht beschlossen wurde, sei das noch anders gewesen. Die Impfpflicht gilt für Beschäftigte in Seniorenheimen, Krankenhäusern, Arztpraxen und in der Pflege. Das ganze Interview lesen Sie hier:

SWR Aktuell: Die aktuellen Infektionszahlen gehen zurück, aber wie verlässlich sind diese Zahlen?

Hans-Georg Kräusslich: Ich glaube, die Infektionszahlen sind nicht besonders verlässlich. Wir sehen - und das ist auch richtig so - dass sich sehr viele Menschen isolieren, die einen positiven Schnelltest und Symptome haben und nicht mehr einen PCR-Test machen und deswegen auch in den Statistiken nicht mehr auftauchen. Also die realen Infektionszahlen sind deutlich höher als die gemeldeten Infektionszahlen. Trotzdem kann man sagen, dass der Rückgang real ist.

Denn auch ein Rückgang - wenn man sich die Kurve der Intensiv-Belegung anschaut, also wie viel Patienten mit Corona sind in den Intensivstationen - sehen wir seit etwa 1. August und das ist verlässlicher. Wir haben weniger schwer erkrankte Patienten. Wir haben weniger intensivpflichtige Patienten und das muss mit einem Rückgang an Infektionen einhergehen. Aber auf die tägliche Inzidenz oder die Sieben-Tage-Inzidenz zu starren macht überhaupt keinen Sinn mehr, weil das sind keine realen Zahlen.

Das ausführliche SWR-Interview von Hans-Georg Kräusslich können Sie hier in voller Länge hören:

SWR Aktuell: Ein Kollege von Ihnen hat es so formuliert: Das Erfassen der Inzidenz ist eine Art Beschäftigungstherapie für Gesundheitsämter. Sehen Sie das auch so?

Kräusslich: Ja, leider ist es inzwischen so. Die Inzidenz der Fassung war zu einem gewissen Zeitpunkt vor allem in der frühen Phase und dann auch bis nach 2021 durchaus sinnvoll. Aber jetzt noch die PCR-Positiven zu zählen, auszuwerten, zu verarbeiten, bringt eigentlich nicht mehr viel.

SWR Aktuell: Kann sich die Situation mit Blick auf den Herbst wieder ändern?

Kräusslich: Ich glaube, die Situation bezüglich der Infektionszahlen, der schweren Verläufe und der leichteren Verläufe kann sich immer ändern. Und wir können im Moment nicht sicher voraussagen, wie es im Herbst ist. Ich würde momentan keine erheblichen Bedenken haben, dass wir mit einer besonderen Krankheitslast auf Intensivstationen, Krankenhäusern, stationären Behandlungen oder schweren Herbstfällen rechnen müssen.

Aber das ist nicht sicher, dass wir im Herbst weiter die Situation haben, dass infizierte Personen keinen PCR-Test machen, sich isolieren und irgendwann wieder gesund sind. Das ist nun mal in der jetzigen Omikron-Welle und mit der breiteren Immunität in der Bevölkerung anders als 2020. Wir haben eine weniger krank machende Variante und eine wesentlich bessere Immunität in der Bevölkerung. Und deswegen sind die Verläufe häufig mild.

SWR Aktuell: Manche kriegen Corona ja auch öfter. Wie oft kann man denn an Corona erkranken?

Kräusslich: Das werden wir immer erst dann beurteilen können, wenn wir entsprechend viele Jahre hinter uns haben, um das bewerten zu können. Was wir sicher sagen können ist, dass Personen, die doppelt geimpft sind, dreifach geimpft sind, vierfach geimpft sind, sich trotzdem mit den diesjährigen Omikron-Varianten infizieren können. Und auch Personen, die doppelt oder dreifach geimpft sind und sich im letzten Jahr infiziert haben, können auch wieder erneut infiziert werden. Also es ist nicht so, dass eine Person, die die Erkrankung oder die Infektion hatte oder mehrfach geimpft ist, sich nicht erkranken kann.

Es ist sogar so, dass Personen, die im Januar oder Februar mit den ersten Omikron-Varianten "BA.1" bzw. "BA.2" infiziert waren, sich durchaus im Juni oder Juli mit der neueren Omikron-Variante "BA.5" wieder infizieren konnten. Wichtig ist aber – und das darf man nie vergessen – dass alle Personen nach durchgemachter Infektion und nach Zweifach-, Dreifach, oder Vierfach-Impfung gegen schwere Verläufe weitgehend, wenn auch nicht vollständig, geschützt sind und auch geschützt bleiben.

SWR Aktuell: Läuft das alles darauf hinaus – wenn sich die Varianten jetzt nicht mehr wahnsinnig schnell und aggressiv verändern – dass man künftig einfach jährlich einmal wie eine Grippe-Impfung auch eine Covid-Impfung bekommen sollte?

Kräusslich: Also aus meiner Sicht ist es die Erwartung und ich hatte das an anderer Stelle auch schon öfter gesagt, vielleicht wäre mittelfristig oder auch jetzt kurzfristig dann eine Situation denkbar, in der wir eine Impfempfehlung machen. Diese würde sich nicht so sehr von der Grippe-Impfung unterscheiden, so sehe ich es. Die Grippe-Impfung ist für über 60-jährige Personen mit Grunderkrankungen und medizinisches und Pflegepersonal.

Und man könnte sich vorstellen, dass man eine analoge Empfehlung zum Beispiel für die gleiche Zeit, also im September, Oktober für Corona und Grippe macht und man kann beides gleichzeitig impfen. Personen, die das haben wollen, bekommen die eine Impfung dann am rechten Arm, die andere am linken Arm. Ich persönlich werde genau das im Herbst dieses Jahres machen.

SWR Aktuell: Wenn die Wirkung der Impfung so schnell nachlässt nach wenigen Monaten könnte man nicht einfach die Dosierung des Impfstoffs erhöhen?

Kräusslich: Also einfach die Dosierung erhöhen kann man natürlich tun. Aber damit sind die zulassungsrelevanten Studien für einen derartigen Impfstoff nicht mehr gegeben. Das heißt, man müsse alle Studien zur Verträglichkeit, zur Wirksamkeit, zum Schutz und weiteren Faktoren erneut durchführen. Wenn ich plötzlich doppelt so viel Impfstoff verwende, kann ich ja nicht davon ausgehen, dass Nebenwirkungen und alle anderen Konsequenzen identisch sind. Wenn ich die zweifache Menge eines anderen Medikaments nehme, ist ja auch nicht der gleiche Effekt zu erwarten wie bei der einfachen Menge.

Generell ist es so, dass auch bei anderen Coronaviren – es ist ja nicht das einzige Coronavirus – der Immunschutz nach Infektionen nicht dauerhaft stabil ist. Und das Gleiche gilt auch für die Grippeviren. Das ist auch der Grund, warum wir jährlich impfen. Das heißt die Wahrscheinlichkeit, dass man durch doppelt so viel Impfstoff eine wesentliche Veränderung erhält, ist nicht sehr hoch. Und wie gesagt, man müsste den Impfstoff komplett neu testen und zulassen.

SWR Aktuell: Letzter Punkt Herr Professor Kräusslich, die berufsbezogene Impfpflicht gilt ja nach wie vor, kann aber in der Praxis kaum eingehalten werden. War sie ein Fehler?

Kräusslich: Sie ist zu einem Zeitpunkt getroffen worden, im Herbst 2021 vor der großen Delta-Welle mit den durchaus sehr pathogenen Varianten in der Annahme, dass es so weitergeht und in der Annahme oder in der Planung, dass man auch eine allgemeine Impfpflicht darauf zeitversetzt auf den Weg bringt. Die allgemeine Impfpflicht ist gescheitert und mit Omikron sind immununterlaufende Varianten in das Land und in die Welt gekommen. Im letzten Jahr hatten wir noch einen wesentlich stärkeren Schutz durch die Impfung vor Infektiosität und vor Infektion.

Das heißt zum Zeitpunkt, als sie diskutiert wurde, konnte man das, glaube ich, sehr gut vertreten. Zum Zeitpunkt, wo sie zum Tragen kam, im Frühjahr diesen Jahres, war das schon nicht mehr so, und zum jetzigen Zeitpunkt bringt sie gar nichts mehr. Insofern zu sagen, die Diskussion wäre letztes Jahr ein Fehler gewesen, so weit würde ich nicht gehen. Da bin ich schon der Auffassung, dass das eine richtige Diskussion war. Man hätte aber durchaus überlegen können, ob man sie wirklich im März dieses Jahres in Kraft setzt.

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