SWR Aktuell: In der Ukraine herrscht Krieg. Was löst das bei Ihnen aus?
Karl A. Lamers: Ich habe Tränen in den Augen und bin wirklich fassungslos. Ich habe heute mit vielen Menschen aus der Ukraine gesprochen, aber auch aus Estland, Lettland und Litauen. Sie alle haben große Sorgen. Die Ukrainerinnen und Ukrainer bei uns in der Region weinen nur noch, weil ihnen jegliche Zukunftsperspektive abgeschnitten wird. Mit den Bombardements kommt jetzt viel Leid und Elend über die Menschen in der Ukraine – und auch über diejenigen, die bei uns leben. Es ist furchtbar.
SWR Aktuell: Wie sieht angesichts der aktuellen Entwicklungen Ihr Tagesablauf aus?
Mein Tag verläuft seit heute Nacht so, dass ich viele direkte Gespräche mit Menschen in aller Welt führe. Ich schließe mich mit Kolleginnen und Kollegen aus der Parlamentarischen Versammlung der NATO kurz und verfolge die Entwicklungen im Fernsehen und im Rundfunk, um umfassende Informationen zu bekommen. Man ist nur noch fassungslos und kann nicht verstehen, dass im 21. Jahrhundert so etwas noch geschehen kann.
SWR Aktuell: Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage?
Lamers: Das ist ein Krieg in Europa, ausgelöst durch den russischen Präsidenten Putin, der mit seinem Größenwahn alle Grenzen einreißt, der einen unabhängigen Staat, die Ukraine, angreift, militärisch angreift. Ein Schlag ins Gesicht von Millionen Menschen, die nur eins wollen: In Frieden, Freiheit und Demokratie leben zu dürfen und über ihren eigenen Weg in die Zukunft zu bestimmen. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang und unbeschreiblich.
SWR Aktuell: Hätten Sie gedacht, dass so schnell der nächste Schritt kommt nach der Anerkennung der beiden Regionen im Osten?
Lamers: Ich denke, man darf bei Putin nicht naiv sein. Ich habe ihn selber erlebt in Berlin. Ich habe ihn erlebt auf der Münchener Sicherheitskonferenz. Er ist besessen von seiner Wahnvorstellung, die alte Sowjetunion in irgendeiner Form wieder erstehen zu lassen. Wer so denkt, ist ja kaum noch rationalen Argumenten zugänglich. Das haben wir ja in den letzten Wochen erlebt. Die ganze Welt war bei ihm, hat diskutiert, hat den Dialog gesucht und er hat parallel dazu diesen Krieg vorbereitet. Das ist eigentlich etwas, was man sich kaum vorstellen kann. Aber es geschieht: Krieg in Europa.
SWR Aktuell: Gibt es eine Möglichkeit in der Ukraine, sich zu wehren?
Lamers: Wenn man sich die Verhältnisse militärisch anschaut, dann hat Russland natürlich eine volle Überlegenheit. Wenn sie voll zuschlagen, dann hat die Ukraine militärisch kaum eine Chance.
SWR Aktuell: Wie sollte der Westen jetzt reagieren?
Lamers: Der Westen kann jetzt nur eine Antwort geben, nämlich geschlossen und einig ein Stoppsignal zu geben. Er muss Präsident Putin deutlich machen, dass er hier alle Grenzen überschritten hat, die man da überhaupt nur überschreiten kann und dass der Westen in seiner Ablehnung geschlossen ist. Ich habe aber auch keinen Zweifel daran, dass das geschieht und die Europäische Union und die NATO für unsere freiheitlichen Werte einstehen, von denen wir nicht nur gesprochen haben, sondern die wir leben und die wir den Menschen in der ganzen Welt zugute kommen lassen wollen. Das muss deutlich werden. Es darf keine Haarrisse geben. Geschlossenheit und Einigkeit sind jetzt das Gebot der Stunde
SWR Aktuell: Sie haben von einem Stoppschild gesprochen, das Putin gezeigt werden muss. Was meinen Sie damit konkret?
Lamers: Das sind die härtesten denkbaren Sanktionen, die man sich überhaupt vorstellen kann. Sanktionen, die dann vielleicht Putin oder zumindest mal sein Umfeld dazu bringen, nachzudenken, ob dieser verhängnisvolle Weg der richtige ist - oder ob man nicht doch wieder in die Völkerfamilie zurückkehrt und im Dialog miteinander einen Weg sucht. Darum geht es jetzt. Schärfste wirtschaftliche Sanktionen, unter denen wir auch wahrscheinlich selber leiden werden, aber das ist der Preis, den wir zahlen. Keine militärische Reaktion, aber wirtschaftliche Sanktionen sind jetzt das Gebot der Stunde.
SWR Aktuell: Und wenn Putin sagt, wer sich aus dem Westen einmischt, der wird die schlimmsten Konsequenzen erleben, die die Geschichte noch nicht erlebt hat? Was meint er damit?
Lamers: Das ist eine ungeheuerliche Drohung, die ich auch vorhin gehört habe. Ungeachtet dessen müssen wir hier jetzt geschlossen zusammenstehen.
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