Analphabet (Foto: dpa Bildfunk, Oliver Berg)

Umgang mit digitalen Medien muss gelernt werden

Abendakademie Mannheim setzt auf digitale Angebote für Analphabeten

STAND

Etwa jeder achte Erwachsene in Deutschland gilt als funktionaler Analphabet. Digitale Medien werden für die Arbeit des Mannheimer Grundbildungszentrums immer wichtiger.

Über sechs Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Allein in Mannheim sind es rund 30.000. Das Grundbildungszentrum der Abendakademie Mannheim hilft solchen Menschen mit entsprechenden Angeboten, damit sie nicht weiter ins Abseits geraten. Jetzt geht das Bildungszentrum auch in Sachen digitale Grundbildung neue Wege. Bereits 2021 konnte mit Mitteln des Kultusministeriums zehn Notebooks für den Unterricht angeschafft werden.

Die Mannheimer Abendakademie füht sich der Bildung aller Menschen verpflichtet (Foto: SWR)
Die Mannheimer Abendakademie füht sich der Bildung aller Menschen verpflichtet

Analphabeten bekommen Einblicke in die digitale Welt

Die Lehrerinnen und Lehrer des Grundbildungszentrums schlagen damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen diene der Computer dazu, Texte zu schreiben, online-Recherchen zu betreiben oder mit den Lern-Apps zu trainieren. Zum anderen lernten die Menschen in den Kursen den richtigen Umgang mit den unterschiedlichsten digitalen Plattformen, heißt es von der Abendakademie. Dazu gehörten auch die Themen Online-Banking, Online-Terminvergaben oder das Ausfüllen von Online-Formularen. All das werde immer selbstverständlicher und Menschen, die Probleme beim Lesen, Schreiben und Rechnen haben, stoßen dabei oft an ihre Grenzen.

Kultusministerin lobt Arbeit der Mannheimer Abendakademie

Am Mittwoch hat sich die Baden-Württembergische Kultusministerin Theresa Schopper vor Ort ein Bild von der täglichen Arbeit am Mannheimer Grundbildungszentrum gemacht, denn: Seit 2022 wird das Angebot mit Landes- und EU-Fördergeldern finanziert. Zuvor wurden einzelne Angebote durch die Stadt Mannheim gefördert. Schopper lobte das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer und versprach, sich dafür einsetzen zu wollen, dass die Mannheimer Einrichtung auf künftig vom Land gefördert wird.

Mannheimer Grundbildungszentrum erreicht jährlich hunderte Menschen

Gegründet wurde das Grundbildungszentrum 2019. Allein in den ersten beiden Arbeitsjahren habe man in knapp 160 Kursen mehr als 850 Menschen erreicht - trotz Corona. Im vergangenen Jahr habe man knapp 50 Kurse angeboten und ebenfalls rund 850 Teilnehmenden den Zugang zur Welt der Lesenden und Schreibenden ermöglicht. Das Mannheimer Zentrum ist eines von insgesamt acht in Baden-Württemberg. Seit Anfang 2022 ist die Speerwurf-Weltmeisterin Christina Obergföll Botschafterin des Landes für Grundbildung.

Mehr zum Thema Analphabetismus

Baden-Württemberg

Lesen und Schreiben für viele Erwachsene ein Problem Früherer BW-Speerwurfstar Obergföll will Analphabetismus aus Tabuzone holen

Die ehemalige Speerwerferin Obergföll will sich als Botschafterin des Landes für die Alphabetisierung stark machen. Sie ist damit eine von bundesweit drei Prominenten.

Heilbronn

Hilfsangebote von Diakonie und VHS 18.000 Analphabeten in Heilbronn

Handyvertrag, Busfahrplan oder Weihnachtskarte: Für 18.000 Menschen in Heilbronn ein einziger Buchstabensalat. Jeder Siebte kann nicht gut lesen und schreiben.

SWR4 BW aus dem Studio Heilbronn SWR4 BW aus dem Studio Heilbronn

Der Kampf mit den Buchstaben · Analphabetismus | Hintergrund

„Analphabetismus? In Deutschland? Wie ist das möglich?“ So oder ähnlich reagieren viele Menschen, wenn sie erfahren, dass es laut einer Studie der Universität Hamburg (Grotlüschen/Riekmann 2011) hierzulande rund 7,5 Millionen funktionale Analphabeten gibt. Trotz allgemeiner Schulpflicht können die Betroffenen weder richtig lesen noch richtig schreiben. „Ich bin halt ganz normal in die Schule gekommen und hatte halt gleich zu Anfang Schwierigkeiten“, erzählt Torsten, einer der Protagonisten im Film. „Ich hätte mir schon Unterstützung gewünscht von der Lehrerseite, aber wir waren 20 Schüler in der Klasse. Und da kann nicht der Lehrer jeden Einzelnen wirklich unterstützen, weil, der muss sehen, dass er die Masse durchkriegt. Und das ist dann schon ein bisschen schwierig. Da bleibt halt einer auf der Strecke.“
So erging es auch Marcel. Auf der Sonderschule, die er neun Jahre besuchte, hatte das Fach Deutsch keinen hohen Stellenwert. „Die Lehrer haben immer gesagt ‚lesen ist nicht so wichtig [...] Marcel braucht das im Leben nicht.’ Ich war immer der Außenseiter.“ (Marcel)
Luc, der noch zur Schule geht, hat ein Faible für Elektronik und baut vieles selbst. Dabei hat er Erfolgserlebnisse, die er früher in der Schule nicht hatte. In der Schule und zu Hause verweigerte er früher das Lesen total. Stattdessen lernte er Gehörtes auswendig und konnte seine Leseschwäche dadurch überspielen. Sein Vater erklärt, lesen habe Luc einfach keine Freude gemacht. [„...], es war Quälerei.“
Luc, Marcel und Torsten eint nicht nur der Wille, lesen und schreiben zu lernen. Alle drei beweisen Mut, indem sie offen über ihre Probleme und ihre Entwicklung sprechen.

STAND
AUTOR/IN
SWR