Am Donnerstag hat die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Deutschland mit über 65.000 Fällen einen neuen, traurigen Allzeit-Höchststand erreicht. Um diesen Trend zu brechen, haben sich Bund und Länder auf ein ganzes Maßnahmenpaket verständigt. Unterdessen hat die Landesregierung die Kliniken in Baden-Württemberg angewiesen, 40 Prozent ihrer Intensivbetten für Corona-Patienten freizuhalten.
Ein SWR Aktuell-Interview mit Prof. Dr. med. Ingo Autenrieth, Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Heidelberg.
SWR Aktuell: Was halten Sie von diesem Beschluss des Landes?
Ingo Autenrieth: Es ist sicherlich wichtig, dass wir eine klare Maßgabe der Landesregierung haben, auf was wir uns vorbereiten müssen. Insofern ist das völlig in Ordnung. Wir machen das auch so, dass wir uns auch überregional abstimmen, damit wir die Patienten sachgerecht in Baden-Württemberg verteilen und optimal versorgen können.
SWR Aktuell: 40 Prozent der Intensivbetten quasi zu blocken, das bedeutet ja unter Umständen auch, dass man dann möglicherweise Operationen verschieben muss, wie das ja zum Beispiel in Bayern auch schon der Fall ist…
Ingo Autenrieth: Das kann dann auch der Fall sein. Das ist übrigens auch im vergangenen Jahr so gemacht worden, dass man planbare Behandlungen dann verschiebt. Das ist bisher gut gelungen. Ich hoffe, dass das auch in dieser Phase der Pandemie gelingen wird.
SWR Aktuell: Wie sieht denn die Belegung der Intensivstationen im Moment in Heidelberg aus?
Ingo Autenrieth: Das ändert sich natürlich von Tag zu Tag. Stand Donnerstag haben wir insgesamt 27 Patienten stationär. Davon wurden 13 beatmet. Das kann aber jederzeit auch wieder weiter hochgehen. Wir machen das übrigens in Heidelberg so, dass wir uns auch ständig mit den anderen Kliniken der Stadt und mit dem Rhein-Neckar-Kreis abstimmen. So sind wir bisher in der Lage, diesen steigenden Patientenzahlen, die für uns doch sehr besorgniserregend sind, nachzukommen, um dem Bedarf Rechnung zu tragen.
SWR Aktuell: Jetzt wollen Bund und Länder, dass zeitnah eine Impfpflicht für Ärzte und Pfleger kommen soll. Wie finden Sie das?
Ingo Autenrieth: Wir begrüßen, dass das Krankenhauspersonal einer Impfpflicht unterliegen soll, um damit auch eine größtmögliche Stabilität in unseren Einrichtungen herzustellen. Das halten wir für den richtigen Weg.
Enstimmig angenommen Auch Bundesrat stimmt strengeren Corona-Regeln zu - BW plant weitere Verschärfungen
Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat den Gesetzesvorschlag der Ampel-Parteien ohne Gegenstimmen angenommen. Baden-Württemberg hatte sein Ja bereits zuvor signalisiert.
SWR Aktuell: Viele befürchten allerdings, dass dann möglicherweise Impfgegner in der Belegschaft sagen: "Okay, dann kündige ich". Haben Sie auch diese Befürchtung, dass Ihnen Pfleger oder Ärzte weglaufen?
Ingo Autenrieth: Wir haben bisher überwiegend gute Erfahrungen gemacht. Bei uns ist beispielsweise die Impfquote im Intensivbereich und auch im Pflegebereich bei fast hundert Prozent. Wir haben jetzt auch in allen anderen Bereichen deutlich über 80 Prozent, knapp sogar schon 85 Prozent Impfquote hier, bei über 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir haben auch schon eine riesige Nachfrage für das sogenannte Boosterimpfen. Insofern sind wir zuversichtlich, dass wir auch die, die vor einer Impfung Sorge oder Angst haben oder vielleicht noch nicht alle Fakten kennen, durch intensive Aufklärung, durch Überzeugung, durch Informationen gewinnen können, damit hier der Betrieb sicher gewährleistet werden kann und die Patienten auch geschützt werden können.
SWR Aktuell: Lothar Wieler, der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI) hat mit Bezug auf die rapide steigende Zahl der Corona-Neuinfektionen gesagt: "Uns steht da möglicherweise ein ganz schreckliches Weihnachtsfest bevor." Teilen Sie diese Befürchtung?
Ingo Autenrieth: Wir sind sehr besorgt. Es gibt Modellrechnungen für ganz Deutschland, die sagen: Die Inzidenzen und die Hospitalisierungs-Quoten gehen noch nach oben. Aber ich bin zuversichtlich. Die noch nicht Geimpften werden weiter geimpft. Die bereits Geimpften werden geboostert. Ich glaube auch, dass jetzt auch die Kinder und die Schüler noch mehr geimpft werden, das ist ganz, ganz wichtig. Wenn sich das Verhalten der Bevölkerung jetzt auch im Vorfeld der rechtlich verbindlichen Einführung dieser Maßnahmen ändert, dann können wir in den nächsten Wochen eine Abflachung dieser Inzidenz und damit dann auch eine Abflachung der Hospitalisierungsrate erreichen. Aber wenn sich das alles nicht einstellen sollte, dann haben wir eine sehr, sehr besorgniserregende Situation. Insofern sollten alle schauen, was in Bayern passiert und was in Österreich - und dann entsprechend hier vor Ort verantwortlich handeln.