Am 23. Februar wird der neue Bundestag gewählt. Dann entscheidet sich auch, wer die Rhein-Neckar-Region in den kommenden vier Jahren in Berlin vertritt. Spannend könnte es vor allem in den Wahlkreisen Mannheim und Heidelberg werden. Davon geht auch der Politikwissenschaftler Marc Debus von der Universität Mannheim aus. Ein Interview.
SWR Aktuell: Herr Debus, schauen wir zunächst auf die Ausgangslage im Wahlkreis Mannheim. Die SPD-Abgeordnete Isabel Cademartori will ihr Direktmandat verteidigen und wird herausgefordert unter anderem von Melis Sekmen, der ehemaligen Abgeordneten der Grünen, die inzwischen der CDU angehört. Für die Grünen wiederum tritt Nina Wellenreuther an. Die AfD schickt Heinrich Koch ins Rennen. Wer ist aus ihrer Sicht in Mannheim Favorit?
Marc Debus: Es ist ganz schwer zu sagen. Bei den Erststimmen schlägt natürlich auch immer in gewisser Weise der Bundestrend durch, sodass es momentan für die SPD, vielleicht auch für die Grünen, nicht allzu gut aussieht und die Chancen nicht allzu groß sind. Demnach sollte eigentlich die Union bessere Chancen haben. Gleichzeitig haben natürlich auch immer die einzelnen Kandidaten bestimmte Eigenschaften, Amtsinhaber-Vorteile, Bekanntheits-Vorteile. Das trifft natürlich jetzt auf Frau Cademartori besonders zu, weil sie die Direktkandidatin seit 2021 ist, das mag ein gewisser Vorteil sein. Aber die Schätzungen in den verschiedenen Portalen im Internet sind sehr knapp in Mannheim. Und es kann natürlich noch dazu kommen, dass selbst wenn die Union vorne liegt, es aufgrund der Zweitstimmen-Deckelung dann gar nicht reicht für die hier gewählte Direktkandidatin.
SWR Aktuell: Also einen wirklichen Favoriten oder eine Favoritin würden Sie gar nicht sehen?
Debus: Momentan nicht. Es ist wirklich schwer zu sagen, weil man den Bundestrend nicht allzu leicht von diesen spezifischen Wahlkreiseigenschaften trennen kann.

Wer tatsächlich in den Bundestag einzieht, steht erst spät am Wahlabend fest
SWR Aktuell: Sie haben es schon angedeutet: Wer den Wahlkreis gewinnt, zieht nicht automatisch in den Bundestag ein, dank der Wahlreform und der Reduzierung der Sitze. Was ergibt sich daraus für Mannheim? Wann steht fest, wer es geschafft hat und wer nicht?
Debus: Es wird am Wahlabend wahrscheinlich relativ spät feststehen, wenn zumindest für Baden-Württemberg alle Wahlkreise ausgezählt sind und die Zweitstimmenanteile bekannt sind und gleichzeitig auch die Erststimmen in den jeweiligen Wahlkreisen klar sind. Dann wird beispielsweise klar, ob die CDU einen so hohen Zweitstimmenanteil bekommt, dass sie alle Direktmandate, die sie gewonnen hat, auch behalten kann.
SWR Aktuell: Ist das denn eine Änderung, die vor allem oder vielleicht sogar ausschließlich die CDU treffen kann, weil sie erfahrungsgemäß in Baden-Württemberg die meisten Kreise gewinnt?
Debus: In Baden-Württemberg ist es tatsächlich so, dass es sehr wahrscheinlich hauptsächlich die CDU treffen wird. Es gibt auch eine Reihe von Wahlkreisen, die da betroffen sind - in der Kurpfalz wie auch in Südbaden möglicherweise. Allerdings, wenn Sie in andere Regionen und andere Bundesländer gehen, kann auch die AfD davon betroffen sein, beispielsweise in Ostdeutschland.
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2021 hatte die SPD das Direktmandat in Mannheim geholt. Dieses Jahr ist der Ausgang so offen wie nie: Vier Frauen und zwei Männer haben die besten Chancen.
SWR Aktuell: Aber das hieße hier in Mannheim zum Beispiel, wenn ein Kandidat einer anderen Partei als der CDU den Kreis gewinnt, dann hat er größere Chancen, da auch tatsächlich reinzukommen.
Debus: Genau, weil die SPD in Baden-Württemberg wahrscheinlich maximal ein Mandat gewinnen würde. Das wäre wahrscheinlich das Mannheimer. Das ist natürlich auf jeden Fall dann über den Zweitstimmenanteil gedeckt.
AfD könnte in Mannheim vom Bundestrend profitieren
SWR Aktuell: Wie stark schätzen Sie die AfD in Mannheim ein?
Debus: Die AfD war, wenn Sie das jetzt historisch betrachten, 2016 schon mal relativ stark hier bei den Landtagswahlen. Sie konnte ein Direktmandat im Mannheimer Norden gewinnen. Generell ist momentan der Trend, wenn Sie auf die Bundesebene schauen und die entsprechenden Umfragen, für die AfD relativ gut. Die Frage ist natürlich, inwiefern es auch für die Erststimme jeweils reicht. Also man kann hier möglicherweise sehen, dass wir hier ein Rennen zwischen vier Kandidatinnen und Kandidaten haben.
SWR Aktuell: Und es könnte auch am Ende so sein, dass Mannheim keinen einzigen Bundestagsabgeordneten mehr hat?
Debus: Das kann durchaus passieren in Abhängigkeit des Gesamtwahlergebnisses der Parteien in Baden-Württemberg, wie natürlich auch aufgrund des Wahlkreisergebnisses.
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SWR Aktuell: Wie nehmen Sie denn den Wahlkampf in Mannheim wahr? Spielen lokale Themen überhaupt eine Rolle? Oder dreht sich doch alles dann um Bundesfragen wie Migration?
Debus: Bundesfragen schlagen natürlich generell durch. Allerdings, wenn man sich die Wahlkämpfer und die Wahlplakate anschaut, die Inhalte, die Flyer, dann versuchen die entsprechenden Kandidaten natürlich auch mit ihrer lokalpolitischen Erfahrung oder den erzielten Ergebnissen aus der letzten Legislaturperiode für sich zu werben. Mannheim hat momentan vier Bundestagsabgeordnete, sodass die mit ihrem Record, um es mal in einem Anglizismus auszudrücken, durchaus für sich werben könnten, beispielsweise Frau Cademartori.

Wahlkreis Heidelberg: Zweikampf Brantner gegen Föhr?
SWR Aktuell: Dann schauen wir mal nach Heidelberg, Herr Debus. Dort sieht es nach einem Zweikampf zwischen der Grünen-Spitzenkandidatin Franziska Brantner und dem CDU-Abgeordneten Alexander Föhr aus. Würden Sie da eine Prognose wagen?
Debus: In Heidelberg ist es wahrscheinlich durchaus auch knapp. Allerdings gibt es aufgrund des Milieus in Heidelberg, der Universitätsstadt, ein größeres Fundament für die Grünen. Und Frau Brantner mag wahrscheinlich auch einen Prominenz-Vorteil haben als Vorsitzende der Grünen bundesweit. Das mag durchaus den Wahlkreis knapp machen und eine Herausforderung für Herrn Föhr sein. Allerdings ist er auch lokalpolitisch durchaus prominent. So dass es auch hier schwer zu sagen ist. Die SPD ist sehr wahrscheinlich aus diesem Rennen raus.
SWR Aktuell: Droht denn auch in Heidelberg die Gefahr, dass vielleicht gar keiner den Einzug in den Bundestag schafft?
Debus: Frau Brantner wird, wie auch Frau Cadematori in Mannheim, sehr wahrscheinlich über die Liste abgesichert sein. Die Frage ist, ob Herr Föhr es schafft, wenn er nicht direkt gewählt wird. Sehr wahrscheinlich muss er das Direktmandat erreichen und dann einen so hohen Erststimmenanteil, dass er von der Zweitstimmen-Deckelung nicht betroffen ist, um in den Bundestag einzuziehen.
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SWR Aktuell: Also ist auch hier im Prinzip alles offen. Wie nehmen Sie den Wahlkampf in Heidelberg wahr?
Debus: Da man dort einmal eine bundespolitisch erfahrene oder bekannte Politikerin hat als Vorsitzende einer momentanen Regierungspartei, ist die bundespolitische Überlagerung natürlich noch einmal deutlicher und größer zu sehen. In Mannheim ist das Spannende, dass man natürlich auch mit dem Parteiwechsel von Frau Sekmen von den Grünen zur CDU noch mal eine gewisse Polarisierung hat. Es ist ja ein Thema, was durchaus in Mannheim bis heute präsent ist und diskutiert wird, ob das denn so in Ordnung war, während der Legislaturperiode zu wechseln. Das sieht man in Heidelberg beispielsweise jetzt nicht.
SWR Aktuell: Wenn Franziska Brantner als Spitzenkandidatin und Parteivorsitzenden in Heidelberg nicht gewinnen sollte, wird ihr das schaden?
Debus: Ich denke nicht. Die momentane Lage in den Gesamtumfragen, wo die Grünen ja möglicherweise ihr Ergebnis halbwegs halten können auf Bundesebene, ist das für die Bundesparteien ein sehr gutes Abschneiden. Gerade wenn man bedenkt, im Hinblick auf die Heizungs-Gesetzgebung, in welcher Stimmung die Grünen hier momentan operieren. Insofern glaube ich nicht, dass ein Verlieren des Direktmandats für Frau Brantner irgendwie schädlich wäre.
Rhein-Neckar, Odenwald-Tauber, Bruchsal-Schwetzingen: CDU weiter dominant?
SWR Aktuell: Die sogenannten ländlichen oder ländlicheren Wahlkreise Rhein-Neckar, Odenwald-Tauber, Bruchsal-Schwetzingen zum Beispiel, sind ja seit Jahrzehnten in der Hand der CDU. Ist das auch in diesem Jahr nach Ihrer Prognose so?
Debus: Ich würde vermuten, dass das so ist. Sämtliche Schätzungen deuten darauf hin, dass das wieder sehr sichere Wahlkreise für die Union werden. Dementsprechend glaube ich, dass es da keine Überraschung gibt.
SWR Aktuell: Und woran liegt das?
Debus: Es sind ja gefestigte Strukturen. Die Union kann in diesen ländlichen Regionen einmal auf ein großes Netzwerk zurückgreifen und auf bestimmte grundlegende, etablierte Muster langfristiger Bindung vieler Wählerinnen und Wähler an die Christdemokraten. Gleichzeitig haben Sie im ländlichen Raum Interessenlagen, die es für die Grünen beispielsweise schwer machen. Denken Sie einfach an Infrastruktur, Mobilität – das sind Wählerinnen und Wähler, die beispielsweise ein Interesse am Autofahren haben, die ein Interesse daran haben, ihr Haus heizen zu können, ohne es mit übergroßen Kosten zu versehen. Und das macht es für die Union dort relativ leicht.
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SWR Aktuell: Zum Schluss noch ein kurzer Blick, über den man wahrscheinlich stundenlang sprechen könnte, auf die bundesweiten Trends. Kommt die große Koalition, wenn man von "groß" überhaupt angesichts der SPD noch sprechen kann?
Debus: Das ist eine gute Frage. Und ich habe keine schlussendliche Antwort drauf. Die entscheidende Frage ist, ob Union und Sozialdemokraten überhaupt eine Mehrheit bekommen im nächsten Bundestag. Das ist, je nach Umfrage, möglich. Aber auch vielleicht unwahrscheinlich, weil wir auch nicht wissen, wie viele Fraktionen insgesamt im Parlament vertreten sind. Es sind momentan die Linke, die FDP und das BSW, die an der Fünf-Prozent-Hürde jeweils stehen. Kommen alle diese drei kleinen Fraktionen oder Parteien in den Bundestag rein und schneidet die AfD stark ab mit einem Wert von deutlich über 20 Prozent, dann wird es schwer, mehrheitsfähig Schwarz-Rot oder auch Schwarz-Grün zu bilden. Und dann ist das Koalitions-Spiel nochmal eine Nummer komplizierter, als es ohnehin schon ist.
SWR Aktuell: Das heißt, auch für Sie als Politikwissenschaftler wird der Wahlabend spannend wie selten?
Debus: Er wird spannend. Einmal dahingehend, wer in den Bundestag kommt und in welcher Stärke. Und dann werden die Wochen danach extrem spannend, wie einfach oder schwierig es sein wird, Kompromisse zwischen diesen momentan sich durchaus voneinander entfernenden Parteien zu bilden.