Kinder im Schwimmbecken (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

"Engmaschige Wasserüberwachung kaum zu stemmen"

Nach tödlichen Badeunfällen in der Rhein-Neckar-Region: DLRG fordert mehr Schwimmkurse

Stand
INTERVIEW
Holger Neumann

In den vergangenen Wochen gab es zwei tödliche Badeunfälle - einen im Rheinauer See in Mannheim und einen im Speyerer Binsfeldsee. Lässt sich so etwas verhindern?

Ein SWR-Interview mit Michael Tiesler, Geschäftsführer der DLRG Ortsgruppe Speyer.

SWR Aktuell: Was sind die häufigsten Gründe für tödliche Unfälle im Wasser?

Michael Tiesler: Wenn ich mit meiner eigenen Erfahrung zurückblicke, hatten doch sehr, sehr viele, die wir gesucht haben und letztlich bergen konnten, Alkohol im Blut. Dann gibt es einen gewissen Anteil an Nichtschwimmern, die "klassisch" ertrinken, weil sie in tiefes Wasser geraten. Und dann kommen schon diejenigen, die beim Schwimmen Herz-Kreislauf-Probleme bekommen haben.

SWR Aktuell: Weiß man, ob einer dieser Gründe auch für den Badeunfall am Binsfeldsee verantwortlich war?

Tiesler: Bei dem Fall in Speyer waren wir ja live mit dabei. Da stellt sich die Frage, ob der Mann überhaupt schwimmen konnte, oder ob er ein Herz-Kreislauf-Problem bekommen hat. Er ist jedenfalls sehr, sehr schnell abgesunken – und das an einem voll besetzten Strand.

SWR Aktuell: Wie wäre dieser Mann zu retten gewesen?

Tiesler: Es hätte irgendjemand darauf achten müssen, dass er mit dem Kopf unter Wasser gerät und nicht mehr auftaucht. Wir haben ja oft Schwimmer, die los schwimmen und dann ein paar Züge unter Wasser machen. Das ist normal. Aber man muss genau in diesem Moment auf diesen Menschen achten und feststellen: Der taucht ja gar nicht mehr auf! Das ist selbst für eine Badeaufsicht schon schwer. Für andere Badegäste ist das fast nicht machbar, weil die ja letztendlich mit sich selbst beschäftigt sind und keine Aufsicht führen. Es ist also reiner Zufall, wenn die entdecken: "Ups, da war eben einer, wo ist der denn jetzt?"

Lange Strände an Badeseen "eigentlich nicht mehr überwachbar"

SWR Aktuell: Das heißt: Wirklich vermeiden lässt sich das nicht?

Tiesler: Nein. Wenn es ein Strand wäre, der bewacht ist und an dem wirklich einer auf einem Türmchen sitzt und 50 Meter Strand im Auge behält, dann hat er eine Chance, das zu sehen. Aber an größeren Gewässern, wo die Strände länger werden, ist es eigentlich nicht mehr überwachbar.

SWR Aktuell: Wie auch am Binsfeld-See in Speyer?

Tiesler: Ja. Da haben wir sehr viel Uferlinie mit verschiedenen Ausprägungen, mit verschiedenen Grüppchen, die sich mal hier, mal da niederlassen. Eine engmaschige Überwachung wäre ein Personalaufwand, den könnte niemand stemmen.

SWR Aktuell: Sie haben gesagt: Auch Nichtschwimmer sind oft ein Problem. Viele Eltern würden ihre Kinder gern bei Schwimmkursen anmelden - nur sind die meist restlos überfüllt und es gibt keine Plätze mehr. Warum können denn da nicht mehr angeboten werden?

Tiesler: Das Problem ist, dass man Schwimmunterricht eigentlich nur in einem Hallenbad oder einem beheizten Freibad anbieten kann. Ich kann in einem Baggersee sehr, sehr schlecht mit Kindern Schwimmunterricht machen. Kinder kühlen recht schnell aus. Ich brauche für Schwimmunterricht bei kleineren Kindern ziemlich warmes Wasser. Das ist im Freigewässer nicht garantiert. Außerdem habe ich draußen natürlich Witterungsprobleme. Ich kann also nicht sagen: "Jeden Dienstag um 17 Uhr machen wir einen Kurs." Wenn es dann gewittert oder regnet, muss der Kurs ausfallen. Das ist also nicht machbar.

In den Frei- und Hallenbädern ist außerdem die Wasserzeit begrenzt. Da konkurrieren dann unter anderem auch die Schwimm- und Tauchsportvereine mit uns. Wenn wir trainieren, trennen wir ja Wasserfläche ab, die dann den anderen Badegästen nicht mehr zur Verfügung steht. Nicht jeder hat dafür Verständnis, weil er schließlich Eintritt bezahlt hat, aber dann ein Drittel vom Kinderbecken nicht mehr nutzen kann. Die Bad-Anbieter müssen ja auch irgendwie sehen, dass sie wirtschaftlich arbeiten. Bei kommunalen Bädern geht das. Wenn es aber ein privater Bad-Anbieter ist, dann wird es schon sehr, sehr schwierig für Vereine, da Schwimmunterricht anzubieten.

Das andere Problem: Schulschwimmen findet nicht mehr in der Dichte statt, wie man es sich wünscht. Das ist sehr aufwändig. Ich kann mich an meine Jugend erinnern. Da hieß es dann: "Wir fahren in der ersten großen Pause mit einem Fahrrad ins Freibad. Und in der zweiten großen Pause fahren wir mit dem Rad wieder zurück zur Schule." Es wäre heute allein wegen der Unfallverhütungs-Vorschriften gar nicht mehr erlaubt, dass ein Lehrer seine Klasse mit dem Fahrrad quer durch die Stadt schickt. Er müsste dann eine Fahrgelegenheit oder Eltern organisieren, die Taxi spielen. Das ist vielen Lehrern einfach organisatorisch zu aufwändig, das kann ich nachvollziehen. Und einer allein kann im Prinzip dann auch keinen Schwimmunterricht machen, weil er ja in einer Klasse sowohl Schwimmer als auch Nichtschwimmer hat. Auf eine Hälfte kann er sich konzentrieren, die andere Hälfte ist dann ohne Aufsicht. Also müsste er immer noch eine weitere Aufsichtsperson mitnehmen. Keine leichte Aufgabe für eine Lehrkraft.

SWR Aktuell: Das heißt: Eigentlich wäre Schwimmtraining in der Jugend eine gute Prävention…

Tiesler: Ja. Wenn alle Kinder mit dem deutschen Schwimmabzeichen in Bronze aus der Grundschule kämen, dann hätten wir zumindest Schwimmer, die nicht gleich untergehen, wenn sie ins Wasser fallen. Damit habe ich schon mal viele Ertrinkungs-Unfälle von Nichtschwimmern verhindert. Leichtsinnigkeit und Alkohol sind natürlich Zusatzfaktoren. Die werde ich damit nicht verhindern können. Aber ich kann natürlich im Schwimmunterricht auch darüber aufklären, dass Alkohol und Baden eine sehr schlechte Mischung ist.

SWR Aktuell: Jetzt gibt es die Diskussion, dass möglicherweise Hallenbäder im Winter wegen drohender Gasknappheit schließen müssen. Wie verfolgen Sie diese Diskussion?

Tiesler: Mit Grausen. Wir haben zwei Jahre Corona hinter uns und sehen, dass eigentlich anderthalb Jahrgänge an Schwimmunterricht bei den Kindern weggefallen sind. In dem Bereich der Rettungsschwimmer hat über ein Jahr kein Unterricht stattgefunden. Wir haben also an beiden Enden ein Problem: Zum einen lernen die Nichtschwimmer nicht mehr schwimmen. Zum anderen fehlt es an fähigen Rettungsschwimmern. Ich habe jetzt schon wieder Kurse, die bis in die Weihnachtszeit ausgebucht sind. Wenn jetzt eine Schließung käme, das wäre katastrophal. Da hätten wir gleich wieder ein Riesenloch.

Das Problem liegt bei uns auch darin, dass Schwimmen in Deutschland nicht als Kulturgut anerkannt ist und Frei- und Hallenbäder im Prinzip als Luxus gelten. Sie sind nicht Bestandteil der Grundversorgung. Sobald eine Kommune in finanzielle Schwierigkeiten gerät, kann die Aufsichtsbehörde durchaus sagen: "Euer Hallenbad ist Luxus. Das müsst ihr jetzt schließen, um den städtischen Haushalt auszugleichen." Das ist auch der Grund dafür, dass immer mehr Hallen- und Freibäder in Deutschland schließen. Wir können wirklich von einem Bädersterben sprechen.

DLRG: Haben "Lücken in der Versorgung mit Bädern"

SWR Aktuell: Wie ist dieses Dilemma zu lösen?

Tiesler: Indem alle ihren Teil dazu beitragen. Zum einen müsste die Wichtigkeit des Schwimmens anerkannt werden. Es müsste klar sein, dass Bäder, die eine Kommune vorhält, wichtig sind für die Grundversorgung der Bevölkerung und dass sie nicht mehr aus fiskalischen Gründen geschlossen werden dürfen. Wir haben in der Vorderpfalz zum Teil Strecken von 20 oder 30 Kilometern, die die Eltern fahren müssen, um ihre Kinder ins Bad zu bringen, wenn sie schwimmen lernen sollen. Wir haben einfach Lücken in der Versorgung mit Bädern. Eine Schieflage. Weil: Welche Eltern fahren ihre Kinder tatsächlich 30 Kilometer zum nächsten Schwimmunterricht? Wenn es eine allgemeine Lösung für dieses Problem gäbe, hätte man sie schon gefunden. Aber es sind viele, viele kleine Puzzleteile, die das Bild vielleicht verbessern. Wir werden wohl nie zu dem Punkt kommen, dass wir am Ende sagen: "In Deutschland ist niemand mehr ertrunken." Aber unser Traum als DLRG ist es schon, dass die Ertrinkungszahlen deutlich absinken. Wir hatten im vergangenen Jahr 299 Ertrinkungstote in Deutschland, da sind wir tendenziell dieses Jahr schon drüber weg. Wir haben in vielen Ecken dieses Bädersterben. Das ist wohl einfach der politische Wille. Wenn man sagen würde: "Schwimmen ist Grundgut und jeder Deutsche hat das Recht, schwimmen zu können und zu gehen", dann wird das auch ein bisschen anders aussehen. Man sieht doch in der momentanen Krise: Wenn etwas gewollt ist, dann geht es auch.

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