Um Autofahrerinnen und Autofahrer vor Gefahren wie beispielsweise einem Erdrutsch von Böschungen zu schützen, gibt es entlang der Landesstraßen in Baden-Württemberg Stützwände und -mauern, sogenannte Stützbauwerke. SWR-Recherchen im März hatten herausgefunden, dass 129 der 5.330 Stützbauwerke die Zustandsnote 3,5-4,0 haben und damit in einem "ungenügenden Zustand" sind. Das gab das baden-württembergische Verkehrsministerium nach mehrfachem Nachfragen zu. Für die baden-württembergische Opposition im Landtag sind diese Noten alarmierend - sie fürchtet schwere Unfälle.
Die meisten maroden Bauwerke liegen im Regierungsbezirk Freiburg
Welche Bauwerke konkret betroffen sind - diese Information verweigert bislang das Verkehrsministerium dem SWR. Nun hat die FDP das Ministerium mit einer parlamentarischen Anfrage zur Offenlegung der konkreten Bauwerke veranlasst. Diese Liste liegt dem SWR exklusiv vor.
Knapp 60 Prozent der dringend sanierungsbedürftigen Stützbauwerke befinden sich im Regierungsbezirk Freiburg - insgesamt sind es 77. Weitere 35 liegen im Regierungsbezirk Stuttgart. 15 befinden sich im Regierungsbezirk Karlsruhe und zwei im Regierungsbezirk Tübingen.
FDP: Verkehrsministerium ist die Tragweite der Liste nicht bewusst
Für die Oppositionspartei FDP ist die Auflistung der Bauwerke in ungenügendem Zustand eine "Gefährdungsliste". "Man ist sich offenbar nicht komplett bewusst, was für eine Tragweite diese Liste hat", sagt Christian Jung, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion in Baden-Württemberg, gegenüber dem SWR. Wichtig sei, eine Gefahrenanalyse zu machen, ohne Schreckensszenarien zu verbreiten. Es könnten jedoch "schlimme Dinge passieren" - als Beispiel nennt Jung einen Schulbus mit Kindern, der verunglückt.
Da die Bewertungstabelle nur bis Note 4,0 geht, vergleicht Jung die Bewertung mit der Schulnote 6. "Das ist kein Kavaliersdelikt", sagt er. Jedes einzelne sei "toxisch" und damit gefährlich.
28 marode Stützbauwerke liegen im Münstertal im Schwarzwald
Auffällig an der Liste der maroden Stützwände und -mauern ist nicht nur, dass mehr als die Hälfte im Regierungsbezirk Freiburg liegen. Allein 28 davon befinden sich in einem einzigen Tal: dem Münstertal im Schwarzwald. Doch laut der Sanierungsliste des Verkehrsministeriums, die im März veröffentlicht wurde, soll im Jahr 2022 nur ein einziges dieser 28 Stützbauwerke saniert werden.
"Ist Gefahr im Verzug, wird die entsprechende Straße sofort gesperrt", sagt Matthias Henrich, Sprecher des Regierungspräsidium Freiburg, gegenüber dem SWR. Der Bürgermeister der Gemeinde Münstertal (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald), Rüdiger Ahlers (SPD), vertraut auf die Gefahreneinschätzung des Präsidiums. "Ich gehe davon aus, dass die Straßen sicher sind", sagt Ahlers.

Rätselraten bei den Landkreisen: Wo sind die maroden Stützmauern?
Vier der maroden Stützbauwerke liegen laut der Auflistung des baden-württembergischen Verkehrsministeriums im Landkreis Calw. Im dortigen Landratsamt zeigt man sich erstaunt. "Wir waren nicht an der Aufstellung des Verkehrsministeriums beteiligt", schreibt die Pressesprecherin auf SWR-Anfrage. Sie könnten also "Stand heute nicht bestätigen, ob die Bauwerke in ihrer Liste tatsächlich marode sind". Ein bröckelnder Sandstein an der Oberfläche sage zudem nichts über die Stützfähigkeit der Wand, also den massiven Teil im Inneren, aus.
In der Liste ist auch die Landesstraße L1158 bei Mögglingen (Ostalbkreis) aufgeführt. Wo genau sich das marode Stützbauwerk befinden soll, weiß nach SWR-Recherchen vor Ort niemand. Dem Mögglinger Bürgermeister Adrian Schlenker (parteilos) fällt jedoch sofort der Abschnitt der L1158 in der Nähe der Bahngleise ein. Dort ist eine stark befahrene Straße, die sich durch den Schwerlastverkehr immer stärker absenkt. Dies drückt den Hang nach unten in Richtung Wohnhäuser. Der Druck hat bereits zu Rissen an privaten Mauern geführt, die den Hang stützen.

Eine Stützmauer, um das zu verhindern, gibt es bislang nicht. Seit acht Jahren wendet sich die Gemeinde Mögglingen deshalb nach eigenen Angaben jedes Jahr an das Regierungspräsidium Stuttgart. Dieses hat mittlerweile Bohrungen veranlasst, ein Gutachten wird erstellt. Das Regierungspräsidium habe der Gemeinde nun mitgeteilt, dass der Bereich im Jahr 2024 saniert werden solle, so Schlenker.
Welche Stützbauwerke in BW sind in ungenügendem Zustand?
Aus der Liste des Verkehrsministeriums geht trotz eindeutiger Frage der FDP nicht hervor, in welchem konkreten Abschnitt sich die Stützbauwerke mit der schlechtesten Zustandsnote befinden. Aufgelistet sind lediglich der Straßenname, der Ort, der Landkreis sowie der Regierungsbezirk in Baden-Württemberg.
In dieser vom SWR aufbereiteten Übersichtstabelle lässt sich über die Suchfunktion nach Ortschaften, Landkreisen oder Landesstraßen suchen:
Wo gibt es 2022 in Baden-Württemberg Straßensperrungen?
In der Stellungnahme an die FDP bleibt das Verkehrsministerium in seinen Aussagen ungenau. Wo genau es Straßensperrungen geben wird und welche Bauwerke im Jahr 2022 saniert werden, bleibt offen. Es heißt lapidar: Es werde "nach Erfordernis und Dringlichkeit priorisiert". Und: "Im extremsten Fall würde dies zu einer Vollsperrung der Straße führen". Fragen des SWR zu dem Thema wurden mit Verweis auf eine nicht ausreichende Frist nicht beantwortet.
Nach Ansicht von Christian Jung (FPD) ist das Problem, dass nicht klar sei, ob die Bauwerke halten. "Wir wissen nicht, ob morgen schon etwas passiert", sagt Jung. Es könne aber auch noch fünf Jahre gutgehen. Er ist jedoch überzeugt: "Alle Bauwerke würden wahrscheinlich eine sofortige Streckensperrung rechtfertigen."
So viel kostet die Sanierung der Stützmauern und -wände in BW
Die Kosten für die Sanierung der Stützbauwerke entlang der Landesstraßen mit einer Zustandsnote 3,5 bis 4,0 beträgt 67,5 Millionen Euro, erklärt das Verkehrsministerium auf FDP-Anfrage. Wie viel Geld aus dem aktuellen Haushalt für das Jahr 2022 (161 Millionen Euro) dafür aufgewendet wird, geht trotz klarer Fragestellung aus dem Schreiben nicht hervor.
SWR-Recherche löste eine Landtags-Debatte aus
Die Recherche des SWR über den Zustand der Stützbauwerke an Landesstraßen aus dem März löste Anfang April eine Debatte im baden-württembergischen Landtag aus. Das grün geführte Verkehrsministerium räumte damals Probleme ein.