Im Zuge der Diskussion um die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht wird immer wieder ein zentrales Impfregister als "zwingend notwendig" gefordert - so auch von Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) Mitte Januar. Unterstützung bekommt er von der FDP: "Die Einführung eines Impfregisters ist die unabdingbare Voraussetzung für eine Impfpflicht", sagte der baden-württembergische Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke (FDP).
Impfregister als Pilotprojekt in Baden-Württemberg geplant
Die Landesregierung plant nun ein Impfregister als Pilotprojekt, wie der SWR exklusiv erfuhr. Noch ist nicht klar, wann der Testlauf starten soll, Einzelheiten werden derzeit abgesprochen. Ob das Impfregister testweise auf landesweiter oder kommunaler Ebene eingeführt werden soll, ist im Moment ebenfalls unklar. Kurz zuvor hatten die Länder Baden-Württemberg und Hessen den Bund aufgefordert, ein zentrales Impfregister zu prüfen. Man wolle aber nicht untätig sein, heißt es aus dem Gesundheitsministerium im Land, und nicht immer nur auf den Bund zeigen.

Gesundheitsminister Manfred Lucha drückt auf's Tempo
"Leider kommt das Thema im Bund nicht schnell genug voran. Deshalb wollen wir nicht länger warten, sondern selbst aktiv werden und unsere Konzepte und Erkenntnisse beisteuern", erklärt der Grünen-Politiker.
"Klar ist für mich: Ein Impfregister ist ein wichtiges Element der Verwaltungsmodernisierung und durch die Möglichkeit der Verknüpfung mit digitalen Patientenakten ein zentraler Baustein zur Digitalisierung des Gesundheitswesens."
Zunächst sei ein digitaler Impfpass mit freiwilliger Registrierung aller Impfungen geplant, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Ob ein solcher Pass im Pandemiefall verpflichtend werden kann, soll ebenfalls geprüft werden.
Ist ein Impfregister zur Durchsetzung der Corona-Impfpflicht notwendig?
Die SPD im Land wehrt sich, die "Sinnhaftigkeit einer allgemeinen Impfpflicht an die kurzfristige Einführung eines Impfregisters zu koppeln", wie der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Florian Wahl, auf SWR-Anfrage mitteilte.
Der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink hält es rechtlich zwar für möglich, ein Impfregister zur Durchsetzung einer Impfpflicht einzuführen - also "Informationen über Menschen zu sammeln, damit wir sie bestrafen können". Dies sei jedoch "ultima ratio". Er kritisiert insbesondere, dass die Daten von Geimpften gesammelt werden sollen, um darauf zu schließen, wer nicht geimpft ist.
"Es werden die Daten von weißen Schafen gesammelt mit dem Ziel, durch Rechenoperationen zu den schwarzen Schafen zu kommen."

Brink zeigt sich gegenüber Registern grundsätzlich skeptisch, insbesondere bei sensiblen Daten wie Informationen über den Gesundheitszustand von Menschen. "Der schlimmste Fall wäre, dass Menschen auf medizinische Hilfe verzichten, weil sie Angst haben, dass mit ihren Gesundheitsdaten etwas schief läuft." Für ihn muss zudem der Zweck des Impfregisters klar sein.
Die baden-württembergische AfD lehne nicht nur die Impfpflicht im Allgemeinen, sondern auch "die Einrichtung eines zentralen Impfregisters als ein Instrument zur Durchsetzung der Impfpflicht gegen das Coronavirus ab", sagte Fraktionschef Bernd Gögel (AfD) auf SWR-Nachfrage.
Welche Vorteil- und Nachteile hat ein Impfregister?
Die Soziologin Katharina Paul von der Universität Wien sieht in Impfregistern einen großen Mehrwert. Es gehe nicht primär darum, Impfraten und Individuen zu kontrollieren, sagte sie dem SWR. Vielmehr sei es auf epidemiologischer Ebene interessant, da man beispielsweise Durchimpfungsraten gut berechnen könne. Ebenso sei es auch für die Forschung spannend, da hier Impfungen bewertet, deren Nebenwirkungen sowie die Effektivität und Langzeitwirkung erhoben werden könnten. Der wissenschaftliche Zweck sei in nordischen Ländern wie Dänemark und Schweden sowie in den Niederlanden bereits erwiesen.
Eine mögliche Gefahr sieht der Datenschutzbeauftragte Brink darin, wer auf die Daten zugreifen könne. Bei dem bereits vorhandenen Krebsregister habe er beispielsweise weniger Bedenken. Denn hier würden die Daten von Forschern eingesetzt. Diese seien es gewohnt, mit Verschwiegenheit und sensiblen Daten umzugehen. Er sehe jedoch Schwierigkeiten, ein Impfregister den Ordnungsbehörden in die Hand zu geben. "Ein Ordnungsbeamter, der sonst Knöllchen im Straßenverkehr verteilt, wird mit so einem Register konfrontiert. Ich gehe davon aus, dass er nicht weiß und erst geschult werden muss, wie er mit sensiblen Gesundheitsdaten umzugehen hat", sagte Brink.

Datenchaos bei Impfzahlen ist ein strukturelles Problem
Ein Impfregister ermöglicht einen genauen Überblick darüber, wie viele Menschen bereits welche Impfung erhalten haben. Genau daran hakt es seit Beginn der Impfungen gegen das Coronavirus. Grund dafür ist ein mangelhaftes Impfquotenmonitoring in Deutschland, weil die Daten der Geimpften nicht einheitlich erfasst werden.
Doch dieses Datenchaos betrifft nicht nur die Corona-Impfungen - es ist ein strukturelles Problem in Baden-Württemberg. Auch bei den Grippeimpfungen ist die grün-schwarze Landesregierung ahnungslos. Gesundheitsminister Lucha verweist zwar immer wieder auf die Notwendigkeit zur Impfung gegen die Grippe als gefährliche Krankheit - dem Landesgesundheitsamt jedoch "liegen keine Daten zu den ausgelieferten beziehungsweise verimpften Impfstoffdosen vor", bestätigt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums dem SWR. Er verweist auf Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) und des Robert Koch-Instituts (RKI). Diese würden "zeitlich nachgelagert, aber wie üblich weitere Daten, inklusive der abrechnungstechnisch erhobenen verimpften Dosen" veröffentlichen.
Fakt ist jedoch: Diese Zahlen sind höchst unvollständig. Der KVBW liegen nur die Daten derjenigen Menschen vor, die sich bei Kassenärzten haben impfen lassen. Ausgenommen sind jedoch Kassenpatienten, die bei ihrem Hausarzt über das sogenannte "Hausarztmodell" geimpft werden. Dies wird nach Angaben der KVBW vom Hausärzteverband direkt mit den Krankenkassen abgerechnet. Auch die Daten derjenigen Personen, die sich in Apotheken haben impfen lassen, sind der KVBW nicht bekannt. Ebenso wenig die Zahl Geimpfter, die über betriebliche Impfaktionen ihren Piks erhalten - sowie die Daten geimpfter Privatpatienten. Das RKI wiederum legt seinen Auswertungen die Zahlen der KVBW zugrunde.
Opposition im Land teils verärgert über Datenmangel
"Es zeigt einmal mehr, dass die Aussagen der Landesregierung mitunter willkürlich und wenig datenbasiert sind", so FDP-Fraktionschef Rülke. Die Corona-Krise halte uns den Spiegel vor Augen, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Florian Wahl. Er verweist auf andere Länder wie Großbritannien oder Israel. Diese hätten Patientendaten, aus denen man "äußerst wichtige Schlüsse etwa zur Wirksamkeit von Impfstoffen oder zu ihren Nebenwirkungen ziehen kann". Wahl ist überzeugt: "Der Ständigen Impfkommission wäre ihre Arbeit viel einfacher gefallen und sie hätte auch viel schneller entscheiden können, wenn es vergleichbare Daten in Deutschland gegeben hätte." Die SPD befürworte deshalb grundsätzlich die Einführung eines Impfregisters.
Die AfD hingegen sehe keine Notwendigkeit, einen Überblick über die Zahl der gegen die Grippe geimpften Menschen zu haben. Die saisonale Erkrankung sei nicht mit anderen lebensgefährlichen Infektionskrankheiten vergleichbar und bedürfe daher keiner strengen Kontrolle, so Fraktionschef Gögel. "Wir wollen nicht, dass Bürger zu einer Impfung gegen ein Virus verpflichtet werden, das für 99 Prozent der Bevölkerung nicht lebensgefährlich ist."
Kommt ein zentrales oder dezentrales Impfregister?
Ob und wann ein Impfregister in Baden-Württemberg eingeführt wird, ist derzeit noch unklar. Die Landesregierung spricht sich deutlich für eine bundesweite Lösung aus. Der Landesdatenschutzbeauftragte Brink hingegen befürwortet aus Sicherheitsgründen ein dezentrales Register. Eine Testphase findet er grundsätzlich sinnvoll, um mögliche Probleme feststellen zu können. Das Pilotprojekt will er eng begleiten.