Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) entschieden gegen Kritik in Schutz genommen. "Es ist keine Schande, in einer Krise auch mal nachzubessern", sagte Kretschmann am Samstag beim Landesparteitag der BW-Grünen in Donaueschingen (Schwarzwald-Baar-Kreis).
Kretschmann: "Ex-Post-Schlaumeier" bei Energiekrise keine Hilfe
Es sei unredlich, Habeck wegen einer missverständlichen Formulierung in einer Talkshow oder eines handwerklichen Fehlers bei der Gasumlage "runterzumachen". Es muss Schluss sein mit der "ständigen Empörungskultur", sagte Kretschmann. Die "Ex-Post-Schlaumeier", die hinterher alles besser wüssten, seien in der Energiekrise keine Hilfe. Wer jetzt behaupte, die Gasumlage sei Murks, müsse erstmal eine Alternative vorstellen, so der Grünen-Politiker.
Trotz Senkung der Mehrwertsteuer Gasumlage: Preise in BW steigen ab Oktober deutlich
Viele Gaskunden in Baden-Württemberg müssen sich ab Oktober trotz der Senkung der Mehrwertsteuer auf kräftige Preissteigerungen einstellen. Auch die Strompreise gehen nach oben.
Der Regierungschef ermahnte vor allem die Union und die Sozialdemokraten: "Jetzt fallen uns die strategischen Fehlentscheidungen der letzten Bundesregierungen auf die Füße", sagte er. Sie hätten Deutschland von russischem Öl, Kohle und Gas abhängig gemacht und zugelassen, dass Gazprom Speicher, Leitungen und Raffinerien aufgekauft habe. "Das war einfach leichtsinnig und naiv", kritisierte Baden-Württembergs Ministerpräsident. "Da würde ich mir schon ein bisschen mehr Demut wünschen." Außerdem hätten die großen Koalitionen aus Union und SPD den Ausbau der Erneuerbaren Energien hart ausgebremst. "Dafür bezahlen wir jetzt die Zeche", sagte Kretschmann.
SWR-Reporterin Annika Jahn hat die Themen auf dem Parteitag der BW-Grünen am Samstag zusammengefasst:
"Wahnsinnstempo" - Kretschmann würdigt Habecks Leistung
Habeck leiste dagegen Großes. "Er hat in nur sieben Monaten dafür gesorgt, dass wir heute von russischem Öl und russischer Kohle unabhängig sind und dass die Gasspeicher trotzdem zu 90 Prozent gefüllt sind", sagte Kretschmann unter großem Applaus der 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Landesparteitags. Dass bei dem "Wahnsinnstempo" auch mal etwas schiefgehe, sei ganz normal, so der Ministerpräsident.
Kretschmann will Solarpflicht auf alte Gebäude
Um unabhängiger von Gas, Öl und Kohle zu werden, will Kretschmann bald eine Solarpflicht auch für ältere Gebäude einführen. "Jedes geeignete Haus im Land soll ein kleines Sonnenkraftwerk werden", so Kretschmann. Wenn alle geeigneten Dächer mit einer Photovoltaikanlage ausgestattet würden, könne man 60 Terawattstunden Strom erzeugen. Das entspreche der Jahresleistung von mehr als fünf Atomkraftwerken. Damit könne man 17 Millionen Haushalte versorgen und damit dreimal mehr als Baden-Württemberg habe, sagte er.
Er wisse aber, dass das nicht von heute auf morgen gehe - auch weil die Krise viele Haushalte finanziell stark belaste. Aber bis 2035 sei das machbar und zumutbar, so der Grünen-Politiker. Er hoffe, dass die grün-schwarze Koalition im nächsten Jahr so weit sei, die generelle Pflicht zu beschließen. Bei den jüngsten Verhandlungen über das Klimaschutzgesetz war diese Pflicht zunächst auf Druck der CDU ausgelassen worden.
Kretschmann erneuert Kritik an Entlastungspaket
Außerdem hat Kretschmann in seiner Rede erneut die Ampel-Koalition in Berlin dafür kritisiert, dass die Länder einen großen Teil der Kosten des Entlastungspakets zu tragen hätten.
Gerade in der Krise sei eine faire Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern nötig. Wichtig sei, dass bedürftige Haushalte unterstützt würden und der Staat eine Insolvenzwelle verhindere, so der Grünen-Politiker weiter.
Baden-Württemberg sieht noch viel Klärungsbedarf Kretschmann droht mit Nein zu Entlastungspaket
Ministerpräsident Kretschmann hat das neue Entlastungspaket des Bundes scharf kritisiert. Wo es keine klare Finanzierung und Regelung gebe, werde sich das Land nicht beteiligen.
Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte Anfang September ein drittes Maßnahmenpaket als Ausgleich für die rasant steigenden Preise vorgestellt. Baden-Württembergs Landesregierung befürchtet, dass sich das Land und seine Kommunen mit etwa 4,8 Milliarden Euro an dem Entlastungspaket der Ampel beteiligen müssen. Kretschmann will wie andere Regierungschefs eine höhere Beteiligung des Bundes. An diesem Mittwoch verhandeln die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über das Paket.
Grünen-Chefin fordert Investitionen wegen Energiekrise
Grünen-Chefin Ricarda Lang hat weitere massive Investitionen der Ampel-Regierung im Kampf gegen die Energie- und Inflationskrise und den Klimaschutz gefordert. "Aus so einer Krise kann man sich nicht raussparen", sagte Lang am Sonntag beim Grünen-Parteitag. "Die Antwort auf die Inflation darf keine Rezession sein." Der wirtschaftliche Kern Deutschlands dürfe nicht gefährdet werde, von der Krise bedrohten Unternehmen müsse geholfen werden. An die Adresse von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte Lang: "Dann lassen Sie uns jetzt diese Unternehmen retten. Dann lassen Sie uns jetzt dieses Geld in die Hand nehmen."
Die Grünen-Vorsitzende unterstrich, dass der Klimaschutz in der Krise nicht unter die Räder kommen dürfe. "Im Verkehrsbereich sind wir am weitesten entfernt von unseren Klimazielen." Auch hier müsse sich die FDP bewegen. Lang forderte ein "Ja zu einem befristeten Tempolimit", bis das Land unabhängig sei von russischen Energien. Zudem müsse die FDP mehr Investitionen für die Schiene möglich machen. Die Länder bräuchten mehr Regionalisierungsmittel für den Ausbau der Schiene. Es sei gut, wenn es einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket gebe, aber wichtiger sei, dass die Bahnen auch führen, vor allem im ländlichen Raum.
Özdemir sichert Ukraine weitere Unterstützung zu
Neben Ministerpräsident Kretschmann trat auch der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, als Redner auf. Die Grünen würden die Ukraine weiter unterstützen, versicherte er beim Parteitag. Man werde immer an der Seite der Opfer stehen, es gebe keine Täter-Opfer-Umkehr. Die Grünen seien eine klar antifaschistische Partei, so Özdemir.
Mit Blick auf die Sorgen der Bäuerinnen und Bauern kündigte der gebürtige Bad Uracher (Kreis Reutlingen) Staatshilfen an. Wer seine Ställe umbauen wolle, damit es den Tieren besser gehe, solle mehr Geld bekommen. Jeder Cent dafür sei gut angelegt, so Özdemir.
Parteitag beschließt Leitantrag zu Stärkung ländlicher Räume
Auf dem Parteitag wollen die Grünen zeigen, dass sie fähig sind, die ländlichen Räume auf allen Ebenen zu stärken. Gleichzeitig wollen sie dem Eindruck entgegenwirken, sie seien eine Großstadtpartei. Ein entsprechender Leitantrag des Landesvorstands wurde auf dem Parteitag bei einer Gegenstimme und wenigen Enthaltungen angenommen. In dem Antrag heißt es unter anderem, die ländlichen Räume spielten bei der Bewältigung der Klimakrise eine große Rolle: "Die künftige Stromerzeugung und Energiebereitstellung aus Biomasse, Wind, Sonne, Wasser oder Erdwärme wird die ländlichen Räume durch Arbeitsplätze und zusätzliche Wertschöpfung weiter stärken."
Es gab in der Aussprache aber auch Kritik an dem Leitantrag, weil er zu vage bleibe. Annette Reif aus dem Kreisverband Tuttlingen sagte, den Schwerpunkt im Leitantrag auf die Landwirtschaft zu legen, werde dem ländlichen Raum nicht gerecht. Es gebe dort zahlreiche "hidden champions", also mittelständische Unternehmen, die in ihrem Marktsegment Marktführer in Europa oder in der Welt seien. An diesen Orten werde noch oft CDU oder FDP gewählt. "Um diese Stimmen zu bekommen, hilft der Leitantrag nicht wirklich", sagte Reif, die selbst Managerin bei einem Autozulieferer in Rietheim-Weilheim (Kreis Tuttlingen) ist. Die Landeschefs Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller haben sich zu ihrem Amtsantritt Ende vergangenen Jahres vorgenommen, die Grünen auf dem Land stärker zu verankern und so auch die Basis der Partei zu verbreitern.
BW-Grüne fordern Reformen
Die baden-württembergischen Grünen fordern eine Reform der Schuldenbremse im Bund, um genügend Geld für den Klimaschutz lockermachen zu können. Die Südwest-Grünen drängen die grün-schwarze Koalition, den Ausbau von erneuerbaren Energien noch rascher voranzutreiben. Der Landesparteitag der Grünen nahm am Sonntag in Donaueschingen einen Antrag des Landesvorstands mit großer Mehrheit an, in dem angesichts des Klimawandels und des Ukraine-Kriegs ein schnellerer Ausbau der Öko-Energien gefordert wird.