Eine Person klebt ein Schild mit der Aufschrift "Maske auf nicht vergessen!" an die Glasscheibe einer Zwischentür. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Hauke-Christian Dittrich)

Steigende Infektionszahlen

Maskenpflicht zum Schutz der kritischen Infrastruktur? So sehen es Verantwortliche

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Martin Heer
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Ein zentrales Argument für verschärfte Corona-Regeln ist die Lage in der kritischen Infrastruktur. Krankenhäuser, Polizei, Energieversorger und Co. sind in BW aber derzeit nicht überlastet.

Die Corona-Fallzahlen steigen auch in diesem Herbst wieder stark an. Doch ist die Situation eine andere als noch vor einem Jahr. Die Krankheitslast ist geringer, die Impfquote und das aufgebaute Maß an Immunität durch überstandene Infektionen schützen große Teile der Bevölkerung vor einem schweren Covid-19-Verlauf.

Wie ist die Corona-Lage in der kritischen Infrastruktur in BW?

Eine SWR-Recherche zeigt nun, wie die Situation in verschiedenen Bereichen der kritischen Infrastruktur in diesem Herbst ist. Ist die Lage durch corona- und sonstige krankheitsbedingte Personalausfälle wirklich ernst genug, um eine Verschärfung der Regeln zu rechtfertigen?

Was bedeutet kritische Infrastruktur?

Unter kritischer Infrastruktur versteht man alles, was für das Leben in einem Land existenziell wichtig ist: "Kritische Infrastrukturen sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden", so die offizielle Definition des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Deshalb gilt es aus Sicht von Bund und Ländern die kritische Infrastruktur ganz besonders zu schützen.

Bund und Länder haben dafür neun Sektoren definiert: Dazu zählen Energie- sowie Wasserversorgung, Gesundheit, Transport und Verkehr, Ernährung, Finanz- und Versicherungswesen, Staat und Verwaltung, IT und Telekommunikation sowie Medien und Kultur.

Warum sind Corona-Infektionen in der kritischen Infrastruktur bedeutsam?

Die kurze Antwort in Bezug auf die Corona-Lage: Weil Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) mit möglichen Personalengpässen für eine Wiedereinführung der Maskenpflicht argumentiert.

Trotz einer gänzlich anderen pandemischen Lage als noch vor einem Jahr hat Lucha am Donnerstag eine baldige Einführung einer Maskenpflicht in Innenräumen ins Spiel gebracht. Seit der neuesten Änderung des Infektionsschutzgesetzes des Bundes sind die Bundesländer befugt, solche Maskenpflichten zu verhängen.

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Einmal mehr führt die Politik also als Begründung für eine mögliche Verschärfung der Maßnahmen an, dass die kritische Infrastruktur - vor allen Dingen das Gesundheitswesen - handlungsfähig gehalten werden müsse. Noch sei die Situation in den Kliniken beherrschbar, erklärte Gesundheitsminister Lucha am Donnerstag (13.10.). Allerdings gebe es wieder eine stärkere Belastung auf den Normalstationen, auch aufgrund des hohen Krankenstands beim Klinikpersonal. Wenn die Experten zu dem Schluss kämen, dass man gegensteuern müsse, sei das Land vorbereitet.

Kliniken und Krankenhäuser

Aufgrund des hohen Krankenstands beim Personal müssten derzeit wieder planbare Operationen verschoben werden, sagte der Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), Matthias Einwag, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Die Zahl der Patientinnen und Patienten auf Wartelisten für eine planbare OP steige. Darüber hinaus erwarte er, dass dieser Trend zunehmen werde, sagte Einwag.

Den überdurchschnittlich hohen Krankenstand beim Personal führt der BWKG-Hauptgeschäftsführer sowohl auf Corona-Infektionen als auch auf andere Atemwegserkrankungen zurück. Zugleich steige die Zahl der Covid-Patientinnen und -Patienten in den Kliniken. Derzeit könnten alle gut versorgt werden. Es seien aber erhöhte Schutzmaßnahmen für die Isolation dieser Menschen notwendig. In Verbindung mit dem hohen Krankenstand beim Personal habe dies zur Folge, dass die Versorgung anderer Patienten eingeschränkt werden müsse.

Außerdem gehen Patientinnen und Patienten mit Corona in die Hospitalisierungsinzidenz ein, auch wenn sie nicht wegen Covid-19 im Krankenhaus sind. Deshalb ist umstritten, wie aussagekräftig dieser Wert für eine mögliche Überlastung der Kliniken ist.

Also: Die Versorgung klappt gut, die Intensivstationen sind nicht durch Covid-19-Erkrankte überlastet wie in der Vergangenheit. Laut DIVI-Intensivregister ist die Lage derzeit nicht angespannt. Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), sagte in einer Pressemitteilung dazu: "Wir Intensivmediziner sehen derzeit anteilig an den Covid-19-Erkrankten viel weniger Schwerkranke als vor einem Jahr."

Aber: Personal fällt durch Krankheit aus, mehr Menschen haben im Herbst Atemwegsinfekte und Corona, die Belastung steigt - und das hat Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung.

Arztpraxen

Auch Hausärzte in Baden-Württemberg verzeichnen aufgrund der steigenden Corona-Neuinfektionen derzeit ein höheres Patientenaufkommen. Gleichzeitig nehme der Krankenstand beim Praxispersonal zu, so eine Sprecherin des Hausärzteverbands. Das kann mancherorts zu längeren Wartezeiten auf Termine führen, hängt aber auch stark mit der Versorgungslage in einer Region ab. Versorgen ohnehin wenige Ärztinnen und Ärzte viele Patientinnen und Patienten, wiegt auch ein höheres Krankheitsaufkommen schwerer.

Rettungsdienste

Bei den Kliniken zeigt sich eine Verschärfung der Lage auch bei der Notversorgung. Rettungsdienste müssten zum Teil wieder weitere Wege in Kauf nehmen, weil nicht mehr jede Klinik für eine Aufnahme bereit sei, sagte der Hauptgeschäftsführer der BW-Krankenhausgesellschaft Einwag. Wenn ältere Patienten entlassen werden, sei es zudem schwieriger geworden, etwa einen Platz in einem Pflegeheim zu finden. Die Versorgungsketten funktionierten nicht mehr so gut wie noch vor einigen Wochen, befand Einwag.

Lebensmitteleinzelhandel

ALDI SÜD und die Schwarz-Gruppe mit Sitz in Neckarsulm, zu der die Supermärkte Lidl und Kaufland gehören, wollen keine Angaben zum Krankenstand ihrer Mitarbeitenden machen. Die Warenversorgung in den Filialen sei jedoch grundsätzlich sichergestellt, teilte Schwarz auf Anfrage mit. Nur bei einzelnen Produkten könne es zu Lieferverzögerungen kommen.

Polizei, Feuerwehr, IT-Sicherheit und Katastrophenschutz

Aus dem Innenministerium heißt es auf SWR-Nachfrage, die Einsatzbereitschaft der Berufsfeuerwehren und Freiwilligen Feuerwehren in Städten und Gemeinden sei derzeit "uneingeschränkt gegeben". Die Zahl der Einsatzkräfte, die erkrankt oder in Quarantäne sind, sei nach Kenntnisstand des Innenministeriums nicht größer als im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung. Außerdem könnten Krankheitswellen durch die mehr als 112.000 Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehren in Baden-Württemberg ausgeglichen werden. Sollte die Einsatzfähigkeit an einem Ort eingeschränkt sein, so ein Ministeriumssprecher weiter, könnten Städte und Gemeinden zusammenarbeiten, um flächendeckend durch die Feuerwehren für Brandschutz und technische Hilfeleistung zu sorgen.

Das alles gilt laut Innenministerium ebenso für den Katastrophenschutz im Land. Auch das Technische Hilfswerk in Baden-Württemberg befürchtet derzeit durch keine Einschränkung der Arbeit durch Corona, weder bei den ehrenamtlichen Einsatzkräften noch bei den hauptamtlichen Beschäftigten. Ausbrüche in Ortsverbänden oder Dienststellen habe man bislang durch Hygienemaßnahmen, Corona-Tests und Homeoffice verhindern können.

Bei der Polizei in Baden-Württemberg komme es auch in der aktuellen Situation aufgrund von krankheitsbedingten Personalausfällen zu keinerlei Einschränkungen, so das Innenministerium. Dafür sorge etwa, dass Polizistinnen und Polizisten aus anderen Bereichen in besonders belastete geschickt werden. Auch die Anpassung von Schichtdienst- und Arbeitszeitmodellen der Polizeireviere sichere die "dauerhafte Verfügbarkeit an polizeilichen Einsatzkräften". Ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Baden-Württemberg bestätigt diese Darstellung.

Auch bei der IT-Sicherheit sei es durch krankheitsbedingte Personalausfälle nicht zu Einschränkungen gekommen, so das Innenministerium.

Energie- und Wasserversorgung

Derzeit werden bei der Energie- und Wasserversorgung in Baden-Württemberg keine Betriebsstörungen befürchtet, heißt es vom Verband für Energie- und Wasserwirtschaft in Baden-Württemberg (VfEW). Die Zahl der Krankheitsfälle steige derzeit, auch corona-bedingt, derzeit würden jedoch deutlich weniger Mitarbeitende ausfallen als während der Corona-Welle Anfang des Jahres. Die Unternehmen hätten sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren an die Situation angepasst - es werde weiter getestet, ein Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleibe im Homeoffice und es gebe die Möglichkeit, voneinander getrennte Teams einzusetzen, um bei Coronaausfällen handlungsfähig zu bleiben.

Wie sich Corona auf die kritische Infrastruktur auswirkt (Grafik: Corona-Virus vor einem Strommasten) (Foto: SWR, Montage (Hintergrund: picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd - Virus: MAGO / Future Image))
Bedrohen corona-bedingte und andere Krankheitsausfälle auch die Energieversorgung in BW? Aktuell befürchten die Energieversorger keine Betriebsstörung durch Corona. (Symbolbild)

Deutsche Bahn und Verkehrsbetriebe

Krankenstände von 15 bis 20 Prozent seien derzeit keine Seltenheit und liegen damit weit über dem Durchschnitt, heißt es vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Einige Bus- und Bahnbetreiber hätten bereits ihr Angebot eingeschränkt und beispielsweise die Taktung einzelner Linien verringert. Auch die Deutsche Bahn gibt an, dass aktuell bei der S-Bahn Stuttgart wegen kurzfristiger Krankheitsfälle vereinzelt Züge ausfallen oder durch Busse ersetzt werden.

In welchem Umfang der Personalausfall tatsächlich corona-bedingt ist, lasse sich allerdings nur mutmaßen, da die Unternehmen nicht die Art der Erkrankung erfassen, so der VDV. Zudem leide die Branche grundsätzlich an einem Fachkräftemangel. Bis zu einem gewissen Grad könnten Ausfälle durch andere Mitarbeiter ausgeglichen werden, die teilweise an einem freien Tag einspringen. Sollte sich die Lage weiter verschärfen, müssten ganze Linienbündel zurückgefahren werden - "dann würde es Richtung Notbetrieb gehen", sagte ein Sprecher.

Das bedeutet die aktuelle Lage in der kritischen Infrastruktur in BW

Weder Polizei noch Energieversorger oder Gesundheitswesen sind wegen vermeintlich zu vielen erkrankten Mitarbeitenden nicht mehr handlungsfähig. Auf SWR-Nachfrage spricht man in keinem der genannten Bereiche der kritischen Infrastruktur in Baden-Württemberg von unmittelbarer Überlastung. Im Lebensmitteleinzelhandel will man sich nicht zur Personalsituation äußern, die Versorgung mit Waren sei aber grundsätzlich sichergestellt.

Spürbare Einschränkungen bereits in der aktuellen Corona-Lage gibt es in den Bereichen, in denen der Fachkräftemangel seit langem ein Problem ist. Wo generell qualifizierte Arbeitskräfte fehlen, verschlimmern Krankheitsausfälle durch Corona und andere Atemwegsinfekte im Herbst und Winter die Situation. Das trifft vor allem Gesundheitswesen, Bahn und Verkehrsbetriebe.

Aber reichen die sich andeutenden Engpässe im Gesundheitswesen und im öffentlichen Nahverkehr, um damit die Verschärfung der Corona-Regeln für alle zu rechtfertigen?

Noch Ende September forderte BW-Gesundheitsminiter Lucha zusammen mit einigen Länderkollegen, die Isolationspflicht für Corona-Infizierte nach dem Vorbild Österreichs abzuschaffen. Damals argumentierte Lucha mit der Eigenverantwortung des Einzelnen, eine Corona-Infektion müsse irgendwann wie eine andere Infektionskrankheit behandelt werden.

Nun muss er sich die Frage gefallen lassen, ob sich die Situation seitdem wirklich so maßgeblich geändert hat, um eine Maskenpflicht in Innenräumen für alle zu rechtfertigen.

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