Die Opposition im baden-württembergischen Landtag übt scharfe Kritik an Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne). SPD und FDP werfen ihm vor, die Pflegeheime nicht auf die neue Corona-Testpflicht für Besucher vorbereitet zu haben. Die Einrichtungen ohne jede Unterstützung durch Freiwillige zu den Tests zu verpflichten, missachte die angespannte personelle Situation in den Heimen, heißt es in einem Schreiben von SPD-Fraktionschef Andreas Stoch an Lucha, das dem SWR vorliegt. Der FDP-Abgeordnete Jochen Haußmann wirft dem Gesundheitsminister eine Corona-Verordnung im "Hoppla-Hopp-Verfahren" vor und spricht von einem "weiteren traurigen Mosaikstein schlechten Managements".
Pflegeverband: "Wir können das nicht mehr stemmen"
Am Dienstag hatte der Verband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) Alarm geschlagen. Die seit Montag (18. Januar) geltende Corona-Testpflicht für Besucher von Pflegeheimen bringe die Einrichtungen an die Grenze ihrer Kapazitäten, sagte Stefan Kraft, Leiter der bpa-Landesgeschäftsstelle. Auch die wöchentlich dreimalige - statt wie bislang zweimalige - Testung der Mitarbeiter sowie die Testung Externer wie Handwerker verschärften die Lage. "Wir können das nicht mehr stemmen", sagte Kraft gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.
Jegliche Hilfe von Soldaten über Mitglieder der Rettungsdienste bis hin zu Ehrenamtlichen sei dringend benötigt. Der Einsatz von Stammpersonal würde die Versorgung der alten Menschen beeinträchtigen. Nach Verbandsangaben sind bundesweit 4.000 Heime im bpa organisiert, davon 340 in Baden-Württemberg.
Pflegeheime fühlen sich mit Corona-Testpflicht allein gelassen
Der bpa-Bundesgeschäftsführer Herbert Mauel wünscht sich mehr Spielregeln für das Umsetzen der Testpflicht für Besucher. "Wir fühlen uns ein bisschen alleine gelassen", sagte er. Um Diskussionen zu vermeiden, hätten die Corona-Verordnungen der Länder seiner Ansicht nach beispielhafte Szenarien für die Abnahme der Abstriche aufführen können. So hätten etwa bestimmte Testzeiten am Tag genannt werden können. Damit würden zwar spontane Besuche eingeschränkt, aber gravierende Versorgungslücken für die Bewohner durch das Abziehen von Betreuungspersonal vermieden.
Von generellen Besuchsbeschränkungen könne keine Rede sein, betonte Mauel. Die Situation könne auch nicht durch Einstellung von Mitarbeitern für die Tests entspannt werden. Der Markt für Pflegekräfte sei leer gefegt. Mauel: "Es geht nicht um Willkür im Umgang mit Besuchern, sondern um den sinnvollen Einsatz einer knappen Ressource."
Heimleiter: "Ich bin mehr als enttäuscht"
"Das Land unterstützt die Heime nicht", kritisierte auch der Einrichtungsleiter des Johanniter-Hauses Waibstadt im Rhein-Neckar-Kreis, Kai Schramm. Die Heime erführen erst am Wochenende vorher, was sie montags darauf schon umsetzen sollten, so seine Erfahrung. "Ich bin mehr als enttäuscht", so Schramm. Um sein Personal zu testen, seien jedes Mal drei Mitarbeiter nötig. Drei Stunden benötigten sie, bis alle Pflegekräfte des Hauses durchgetestet seien. "Teilweise kommen die Mitarbeiterinnen aus ihrer freien Zeit, nur um sich testen zu lassen", berichtete Schramm, um zu zeigen, wie viel Zeit und Personal die Schnelltests binden.
Zwingen könne er niemanden zum Test. Als Arbeitgeber habe er rechtlich nur die Möglichkeit, Testverweigerer unbezahlt vom Dienst freizustellen. Angesichts der dünnen Personaldecke in den Alten- und Pflegeeinrichtungen sei dies jedoch eine "theoretische" Möglichkeit.
Warnung vor "Scheinsicherheit" der Schnelltests
Zweifel an der Schutzwirkung der Schnelltests äußert der Einrichtungsleiter des Seniorenzentrums Sonnhalde in Neuenbürg (Enzkreis) vom evangelischen Diakonissenverein Siloah, Ludger Schmitt. Sie böten eine "Scheinsicherheit und verhindern keine Infektion", sagt Schmitt. Oftmals trügen negativ getestete Besucher dann auch im Zimmer keine Maske mehr, und "küssen die Oma".
Schmitt stützt seine Meinung auf die Einschätzung des Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité. Der Corona-Experte hatte bereits im Herbst vor einer trügerischen Sicherheit falsch negativer, aber auch vor Panik durch falsch positive Ergebnisse der Schnelltests gewarnt. Anders als die PCR-Tests, die in ein Labor eingeschickt werden müssen, sind die Schnelltests weniger zuverlässig.
Pflegepersonal in Corona-Pandemie ohnehin stark belastet
Wie Kai Schramm sieht auch Ludger Schmitt sein Personal an der Grenze des Machbaren angekommen, wenn er noch öfter testen lassen soll. Mit ihrer Beobachtung bestätigen Schramm und Schmitt das Ergebnis einer Studie der Berliner Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) von 2020. Danach hat die Corona-Pandemie vor allem Pflegebedürftige und Pflegepersonal stark belastet. Zusätzliche Aufgaben machten es demnach zunehmend "schwieriger, gute Pflege zu leisten", so das Ergebnis der Umfrage unter deutschlandweit knapp 2.000 Pflegeexperten aus Pflegeheimen und ambulanten Diensten.